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Wer in den Wiesen am östlichen Oderufer steht und auf Frankfurt (Oder) schaut, hat sie unweigerlich im Blick: die Halbe Stadt. Der Name eines Straßenzuges entlang des Lennéparks steht seit den 1970er-Jahren für ein imposantes Neubau-Wohnviertel, das bis heute die Silhouette der Stadt prägt. In den Oderwiesen war vor mehr als 50 Jahren auch der frühere Stadtarchitekt Dr. Manfred Vogler viel unterwegs, als er das Wohnquartier Halbe Stadt entworfen hat. So hat er es Viadrina-Absolventin Antje Wilke in ausführlichen Gesprächen geschildert, die sie mit ihm für ihre Masterarbeit über die Entstehung und die Bedeutung der Halben Stadt geführt hat. Eine imposante sozialistische Stadtkrone sollte das Viertel werden und zugleich tausenden Frankfurterinnen und Frankfurtern als Wohnort dienen – ganz nah am Stadtzentrum, in dem Wohnungen durch den Zweiten Weltkrieg großflächig zerstört worden waren.
Viadrina-Alumna Antje Wilke in der Halben Stadt
Die optische Dominanz des Viertels, die enge Verzahnung von Neubauten in typischer DDR-Optik mit historischer Bausubstanz und die zentrale Lage – all das macht die Halbe Stadt besonders. Aus heutiger Sicht kommt hinzu: Kein anderes Neubauviertel in Frankfurt steht noch komplett. Die weitläufigen Freiflächen, die durch Abriss in vielen anderen Wohnquartieren entstanden sind, gibt es hier nicht.
Antje Wilke durchforstete für ihre Abschlussarbeit Akten und Architekturzeitschriften, betrachtete alte Fotografien und Postkarten, spazierte durch das heutige Viertel. „Ohne da durchzulaufen, kann man es nicht verstehen“, sagt sie. Interviews mit Stadtarchitekt Vogler, weiteren Architekten und einem Bauleiter machten die Recherchen zusätzlich lebendig. „Der Blick auf die Akteursebene war mir wichtig“, sagt Antje Wilke. Auch, weil die Entscheidungen in der Bezirksstadt mitunter nicht mit den Weisungen des Zentralkomitees der DDR übereinstimmten. „Die Sanierung einiger Altbauten wurde damals in den Bebauungsplan integriert; das war ziemlich geschickt“, findet sie. Und so kann man auch heute noch neben den typischen Plattenbauten Wohnhäuser des berühmten Architekten Martin Kießling aus den 1920er-Jahren sehen; und von so manchem Hochhaus-Balkon blickt man auf das mächtige, schlossartige Schulgebäude, das 1911 eingeweiht worden war.
Ein historisches Dia von Stadtarchitekt Dr. Manfred Vogler aus dem Jahr 1978 zeigt den Blick auf die Allende-Höhe und Pablo-Neruda-Block.
Kurz bevor Antje Wilke ihre Masterarbeit fertiggeschrieben hatte, erfuhr sie von der Ausschreibung im Rahmen des Förderprogrammes „Kulturland Brandenburg“, das in diesem Jahr Projekte zur Baukultur fördert. Schnell war ihr und Magdalena Scherer – eine befreundete Mitarbeiterin des städtischen Kulturbüros – klar, dass sie sich gemeinsam mit einem Projekt über die Halbe Stadt bewerben wollen. Aus der Masterarbeit wurde ein stadtgeschichtliches und soziokulturelles Projekt. „In einem ersten Schritt sind wir im Mai dieses Jahres in das Wohnquartier gegangen“, berichtet Antje Wilke. Eine Art Feldforschung sei das gewesen, kombiniert mit Angeboten an die Anwohnerinnen und Anwohner, sich mit ihrem Umfeld und dessen Geschichte auseinanderzusetzen. Ergebnisse von einer ersten Ausstellung, Umfragen und Workshops sind nun neben Plänen, Fotografien und Kunstwerken Teil der Ausstellung in der Marienkirche.
Für Antje Wilke sind die Masterarbeit und das Ausstellungsprojekt weitere Bausteine ihrer Auseinandersetzung mit der Wahlheimat Frankfurt (Oder). Aufgewachsen an der Nordseeküste hatte es sie zunächst zum Studium nach Halle und für Auslandssemester nach Polen gezogen. Das Polen-Interesse war dann ausschlaggebend für den Wechsel an die Viadrina – 2018 begann sie ihren Master in Soziokulturellen Studien. „Ich war wegen der Nähe zu Polen gekommen. Interessanterweise habe ich mich dann aber immer mehr mit der DDR beschäftigt“, erzählt sie. Praxisseminare über die Große Scharrnstraße und die dort präsente Kunst im öffentlichen Raum sowie über die Geschichte des Halbleiterwerkes folgten. „Ich interessiere mich für die Erfahrungen der Menschen, die hier leben“, erklärt sie ihren Schwerpunkt. „Die geteilte Erinnerung an das Leben in einem Staat, den es nicht mehr gibt, ist für viele hier sehr wichtig“, hat sie schnell gemerkt – und ist am Thema drangeblieben. In den Betreuern ihrer Masterarbeit – Prof. Dr. Paul Zalewski vom Viadrina-Lehrstuhl für Denkmalkunde und Harald Engler vom IRS Erkner – fand sie genauso verlässliche Unterstützer wie im Kulturbüro der Stadt.
Dass Antje Wilke auch nach erfolgreichem Studien- und Projektabschluss nicht mit der Beschäftigung mit DDR-Themen fertig ist, lässt ihre derzeitige Arbeit erahnen: Sie ist Projektreferentin am Museum Utopie & Alltag im Kunstarchiv in Beeskow – eine beispiellose Sammlung staatlich finanzierter Kunst aus der DDR.
Text: Frauke Adesiyan
Fotos: Saskia Heller, Manfred Vogler
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