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Prof. Dr. Dr. h.c. Fritz Stern wurde 1926 in Breslau als Sohn einer deutsch-jüdischen Arztfamilie geboren. 1938 floh die Familie vor dem Nationalsozialismus in die USA. Fritz Stern studierte Geschichte an der Columbia Universität in New York und lehrte dort und zeitweise auch am Institute for Advanced Study in Princeton bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1997. (LW)
Wissenschaftlicher Nachruf von Viadrina-Historiker Prof. em. Dr. Gangolf Hübinger, der dem US-amerikanischen Historiker in seinem Band „Engagierte Beobachter der Moderne“ einen Beitrag gewidmet hatte:
Fritz Stern, bedeutender Historiker und Ehrendoktor der Viadrina, gestorben
Der Festakt zum 500. Gründungsjubiläum der Viadrina am 26. April 2006 geriet zeitlich aus den Fugen. Im Rahmen der Feier erhielten zwei intellektuelle Schwergewichte die Ehrendoktorwürde der Europa-Universität: Bronisław Geremek, der frühere polnische Außenminister, und Fritz Stern, der große Vermittler zwischen europäischer und amerikanischer Welt. Buffet und Konzert wurden um eine gute Stunde verschoben. Nicht zum Schaden der Feiernden, denn Stern hielt seine Festrede über „Universitäten in Europa“, und er hatte viel zu sagen: Über den Wandel Deutschlands in Europa und Europas in der Welt. Und das nicht nur an diesem speziellen Ort, sondern als kritischer Beobachter des 20. Jahrhunderts bis zu seinem Lebensende.
In seiner Laudatio auf den Viadrina-Ehrendoktor warnte Heinz Dieter Kittsteiner davor, Sterns in der Regel sanfte Rhetorik fehl zu verstehen. Seine „Geschichten machen nachdenklich. Und Nachdenklichkeit zu erzeugen, ist des Historikers bester Teil.“ In der Tat sind Sterns Geschichten zur Ausgrenzung der jüdischen Deutschen, zu den europäischen Bildungsgütern oder zur amerikanischen Perspektive auf die freiheitlichen Lebensordnungen „des Westens“ so nachdenklich wie klar, und immer deutlich im politischen Urteil.
Fritz Stern war stets stolz auf das jüdische Bildungsmilieu Breslaus, in das er am 2. Februar 1926 hineingeboren wurde. Als Zwölfjähriger flüchtete er 1938 mit der Familie in die USA, fasste in New York Fuß und erwarb mit 21Jahren die amerikanische Staatsbürgerschaft. Seine wissenschaftliche Heimat war die renommierte Columbia University, an der er 1997 emeritiert wurde. Die europäischen Universitäten kennen ihn durch vielfache Gastprofessuren. Von 1993 bis 1996 war er Berater des amerikanischen Botschafters Richard Holbrooke.
Über die Aufgabe des Historikers hat er ein wunderbares Wort geprägt: Historiker müssen zwei Herren dienen und in zwei Welten leben, in Gegenwart und Vergangenheit zugleich. Wie das gehen kann, hat er exemplarisch vorgelebt. Berühmt sind seine Bücher, die Studie über den Kulturpessimismus der Deutschen und die Angst vor der Demokratie, die Doppelbiographie über Bismarck und seinen jüdischen Bankier Bleichröder oder zuletzt die bewegenden Porträts über Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi im Widerstand gegen Hitler, verfasst zusammen mit seiner Frau Elisabeth Sifton. Gegen die Gefährdung der Gegenwart durch politische Dummheit hielt er in Jena eine stark beachtete Vorlesung über den Westen im 20. Jahrhundert, ganz im Gestus der Aufklärung. Solche Gefährdungen erinnerten ihn an die Zerstörungskräfte der 1920er Jahre und trieben ihn bis zu seinen letzten Interviews in diesem Frühjahr um, sei es zu den europäischen Rechtspopulisten, sei es zu erschreckend erfolgreichen amerikanischen Wahlkämpfern.
Die politische Öffentlichkeit kannte Fritz Stern bis zuletzt als eingreifenden Denker. Attacken auf den Liberalismus von Richard Nixon bis Ronald Reagan verurteilte er in der „New York Times“ als Angriffe auf die „nobelsten Traditionen“ der amerikanischen Verfassung. Im Deutschen Bundestag hielt er am 17. Juni 1987 die Rede zum Gedenken an den Aufstand von 1953. Er stellte die Demonstrationen der Ostberliner Aufständischen in die Tradition der Freiheitsbewegungen von 1848, statt sie in der üblichen Rhetorik für die Wiedervereinigung zu vereinnahmen. Das rührte an die Tabus der deutschen Erinnerungspolitik, und in seinen Memoiren, den „Fünf Deutschland und ein Leben“, hält Stern fest, wie die rechtskonservative Presse gegen die Einmischung eines „amerikanischen Historikers und jüdischen Flüchtlings“ wetterte.
1999, die deutsche Vereinigung war inzwischen vollzogen, erhielt Stern den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Nunmehr richtete sich das geschichtspolitische Sensorium ganz auf das erweiterte Europa, auf die Ost-West-Transfers zur „Europäisierung Europas“ und speziell auf die deutsch-polnische Versöhnung. Seine Dankesrede mündete in ein Bekenntnis zur kritischen Selbstbeobachtung der westlichen Kultur: „Für mich bleibt das deutsch-amerikanische Verständnis ein Gebot der Geschichte, der Politik und des eigenen Lebens. Ich bin Bürger eines Landes, aber meine Liebe gehört zwei Sprachen, gleich gefährdet, einer alten Kultur, gleich vernachlässigt.
Nicht nur Fritz Sterns Bücher werden bleiben. Bleiben wird nicht weniger seine Leistung als Vermittler zwischen Europa und Amerika, zwischen Juden und Deutschen, zwischen Ost und West. Auch die Viadrina-Studenten kommen in den Genuss des Fritz-Stern-Stipendiums in Breslau. Drei Monate nach seinem 90sten Geburtstag ist Fritz Stern am Mittwoch, dem 18. Mai, in New York gestorben.
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