zum Viadrina-Logbuch (2022-2024)

„Der Oderraum dürfte Ihnen zu jedem Aspekt der theoretischen Auseinandersetzung mit Grenzen ein praktisches Beispiel geben“

Prof. Dr. Karl Schlögel eröffnete am 28. August die dritte internationale Sommerschule „Viadrinicum“. In seinem Vortrag über die aktuelle Bedeutung von Grenzen erläuterte der emeritierte Viadrina-Historiker, warum sich die Oderregion perfekt eignet, um Grenzziehungen und -verschiebungen nachzuvollziehen.  

„Entlang der Oder können Sie nachverfolgen, wie Grenzen in der Geschichte verschoben und Gebiete erst germanisiert und später polonisiert wurden. Der Oderraum dürfte Ihnen zu jedem Aspekt der theoretischen Auseinandersetzung mit Grenzen ein praktisches Beispiel geben“, erklärte Schlögel während der Eröffnung und animierte die Teilnehmenden der Sommerschule, das deutsch-polnische Grenzgebiet zu erkunden.

Der ehemalige Inhaber der Professur für Osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität skizzierte in seinem Vortrag, wie mit dem Fall der Berliner Mauer und der Unabhängigkeit der Warschauer Pakt-Staaten Grenzen zunächst unwichtiger wurden. „Es sah danach aus, dass es nur eine Entwicklung geben würde – die der Globalisierung, bei der Grenzen nur eine Nebenrolle spielen. Die jüngere Geschichte mit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien und dem Ukraine-Konflikt hat gezeigt, dass dem nicht so ist“, so Schlögel. Aus weichen Grenzen seien in den vergangenen Jahren harte, kaum durchlässige Grenzen geworden. Dies lasse sich auf der Krim und in der Ost-Ukraine, aber auch in den abtrünnigen georgischen Republiken Abchasien und Südossetien sowie in Transnistrien beobachten: „Ich war 2014 in Donezk und habe miterlebt, wie Separatisten das Rathaus besetzt und Checkpoints errichtet haben. Für mich als Historiker war es ein seltenes Phänomen, dabei zu sein, wenn Grenzen neu gezogen werden.“

Über die Bedeutung von Grenzen macht sich der Geschichtswissenschaftler keine Illusionen: „Ich halte offene Grenzen für eine Utopie. Die Europäische Union muss ihre Außengrenzen schützen, weil nicht alle Menschen aufgenommen werden können, die gern zu uns kommen möchten. Wenn die Grenzen nicht gesichert werden, ist die staatliche Ordnung in Gefahr“, konstatierte Schlögel. 

Grenzen, Identitätspolitik und daraus entstehende Konflikte in Grenzregionen in postsowjetischen Staaten, wie der Ukraine, stehen im Mittelpunkt der diesjährigen Sommerschule „Borderland Experiences: Conflict, Dialogue, and the Arts“. 35 internationale Studierende, Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie junge NGO-Mitarbeitende eignen sich theoretische Grundlagen der Grenzforschung an und bearbeiten diese in Projektworkshops filmisch, künstlerisch und journalistisch. Seit 2015 vermittelt die Europa-Universität mit dem „Viadrinicum“ vertiefte Kenntnisse über die Länder der östlichen Partnerschaft mit Schwerpunkt auf der Ukraine. (LW)

>>> zum Mitschnitt des Vortrags von Prof. Dr. Karl Schlögel auf Facebook (ab Minute 12,30)

>>> zum Blog der Sommerschule

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