zum Viadrina-Logbuch (2022-2024)

Plötzlich Grenzstädte – Frankfurt (Oder) und Słubice im Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg

Großes Leid durch millionenfache Verluste, Flucht und Vertreibung, Zerstörung und Krankheit zerrten 1945 an der übrig gebliebenen Bevölkerung östlich und westlich der Oder. Welch ein Kraftakt der Weg von den Grenzstädten Frankfurt (Oder) und Słubice zur Doppelstadt gewesen sein muss, wurde am 20. Januar in einer Online-Podiumsdiskussion deutlich. Prof. Dr. Beata Halicka von der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań, Dr. Andreas Kossert von der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung sowie Dr. Martin Schieck, ehemaliger Leiter des Museums Viadrina Frankfurt (Oder), schauten zurück auf das Jahr der Grenzziehung und Neuordnung. Moderiert wurde die Veranstaltung mit rund 50 Teilnehmenden von Viadrina-Historiker Prof. Dr. Gangolf Hübinger.

„Ethisch und human“ sollte die Umsiedlung der Deutschen laut Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 verlaufen. „Doch ethisch und human läuft so etwas selten ab“, sagt Martin Schieck. Es sei nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kaum zu erwarten gewesen, dass sich Polen, Tschechen und Deutsche freundlich gesonnen sind, besonders nach den Gräueltaten und dem millionenfachen Leid, das Nazi-Deutschland über die Welt gebracht hatte. Auch Frankfurt (Oder) sei durch und durch nationalsozialistisch geprägt gewesen, so Martin Schieck. Die Frankfurter, die aus der damaligen Dammvorstadt auf der rechten Seite der Oder auf die andere Seite „vertrieben“ wurden, waren ja noch immer in Frankfurt: „Das war eine andere Sache als für Flüchtlinge, die in für sie komplett neue Regionen kamen.“

ohne-brucke ©Stadtarchiv Frankfurt (Oder)

Blick aufs östliche Ufer vom Brückenkopf der gesprengten Oderbrücke gesehen, Ende April/Anfang Mai 1945. Foto: Stadtarchiv Frankfurt (Oder)


Während des Krieges verlief die Front über Monate entlang der Oder. „Es gab deshalb hohe Verluste in der Zivilbevölkerung“, erklärt Beata Halicka. Das neue Słubice wurde ab 1945 spärlich besiedelt, zumal die Stadt nur schwer erreichbar war: „Die Bahnverbindung war zerstört, 30 Prozent der Bausubstanz ebenso.“ Lange habe das Recht des Stärkeren geherrscht, es sei der „Wilde Westen“ Polens gewesen – so auch der Titel eines Buches von Beata Halicka. Im September 1945 waren in Słubice 500 Bewohnerinnen und Bewohner registriert, 1946 waren es 4.000 von vormals 17.000 Menschen. Eine Bewegung in Richtung Normalität und Alltag fand nur sehr langsam statt. Erst 1951 wurden wieder erste Beziehungen zum Nachbarn westlich der Oder aufgenommen.

In Frankfurt (Oder) wurde die Lage verschärft durch die Vertriebenen aus der Dammvorstadt, die in der Stadt „Dämmler“ genannt wurden. Die Stadt wurde zu einem „Menschenumschlagsplatz“, sagt Martin Schieck. Tausende Heimkehrer schoben sich durch die Straßen, die medizinische Bedürftigkeit war immens. Viele, die Frankfurt (Oder) schließlich den Rücken kehrten, ließen ihre Kinder zurück. „Die meisten haben Frankfurt nicht wegen der Grenzziehung verlassen, sondern aus anderen Gründen“, sagt Martin Schieck. Die wenigsten Einwohnerinnen und Einwohner seien heutzutage „Urfrankfurter.

Für Andreas Kossert wirft dieser Teil der Geschichte Fragen nach Erinnerungen und Identität auf, denn: „Gesellschaften verändern sich durch Zwangsmigration“. Doch das Wissen darüber, wie die Nachkriegsjahre die Städte geprägt haben, sei voller Lücken. „Zu DDR-Zeiten wurde darüber nicht öffentlich gesprochen oder geforscht“, erklärt Martin Schieck.

Und welche Spuren gibt es in Słubice? „Die Spuren der deutschen Vergangenheit sind in der Baukunst teilweise noch sichtbar“, sagt Beata Halicka. Nach und nach setzen sich Polinnen und Polen in Słubice mit diesem Kulturerbe auseinander. Und auch damit, woher sie selbst eigentlich stammen. (HST)

 

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