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Das Unsichtbare sichtbar werden lassen – Ausstellung „Standing for Freedom“/ „Poser pour la liberté“ zeigt Forschende im Exil

Gesichter, die mehr sind als nur Momentaufnahmen: 15 Portraits von Frauen und Männern lassen das Unsichtbare sichtbar werden. Mit einer spannenden Diskussion über akademische Freiheit ist am Mittwoch, dem 23. November, die Ausstellung „Standing for Freedom“/ „Poser pour la liberté“ eröffnet worden. Bis Ende Dezember kann die Schau im Atrium des Gräfin-Dönhoff-Gebäudes betrachtet werden.

Ein Mann in einem weißen Kittel lächelt in die Kamera. Sein Profil verschwimmt mit Häusern und Palmen im Hintergrund. Die Konturen sind undeutlich. Was zunächst wie eine Fotomontage wirkt, ist vielmehr das Werk mehrerer Ebenen, die Pierre-Jérôme Adjedj mittels eines Spiegels zusammengefügt hat. So sind auf seinen Bildern nicht nur die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu sehen, sondern auch deren Herkunftsorte, das Aufnahmeland und wichtige persönliche Gegenstände wie Bücher oder Zeitungen. „Allein das Exil zu zeigen, wäre zu wenig gewesen, um ihre Geschichten zu erzählen“, sagt der Fotograf. Vier Sekunden ließ er seine Protagonistinnen und Protagonisten jeweils in die Kamera schauen: „Das ist eine lange Zeit zum Sitzenbleiben. Aber genau das hat eine Menge Tiefe in die Bilder gebracht.“

Blick ins akademische Exil: Standing for Freedom zeigt Portraits von Frauen und Männern, die ihrer wissenschaftlichen Freiheit beraubt wurden und nun in Frankreich leben. Fotos: Viadrina/Katrin Hartmann und Christina Behrendt


Viadrina unterstützt die Werte der Ausstellung

plakat Viadrina_web ©Standing for Freedom

Geschickt erzählt Pierre-Jérôme Adjedj in 15 Portraits, was es für Forschende bedeutet, ins Exil gehen zu müssen, um wissenschaftliche Freiheit zu erleben und ihren Beruf ungehindert ausüben zu können. Darüber hinaus beleuchten Texte die Geschichte des Wissenschaftsasyls, vermitteln Eindrücke über Forschende in Lebensgefahr und Wissenschaft im Exil. „Wir haben versucht, das Unsichtbare sichtbar zu machen“, sagt Prof. Dr. Pascale Laborier, Kuratorin der Schau, bei der Vernissage. In den vergangenen drei Jahren konnten sie und Adjedj Forschende, die aus ihrer Heimat flüchten mussten und heute in Frankreich leben sowie Wissenschaftler*innen, die Zuflucht boten, vor die Kamera holen. Insgesamt sind 51 Porträts entstanden. Viele Förderer waren dafür notwendig: die französische Botschaft, das französische Programm PAUSE zur Notaufnahme von Forschenden im Exil, die Universität Paris-Nanterre (ISP) mit Unterstützung der Französischen Botschaft in Berlin, die Open Society Foundations, der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF), die Universität Paris-Lumières sowie die französische Regierungsorganisation Cité du Design.

Die Ausstellung an der Europa-Universität begrüßen zu dürfen, ist eine Freude, sagt Viadrina-Kanzler Niels Helle-Meyer: „Wissenschaft und Kunst sind untrennbar mit Austausch und Kommunikation verbunden. Dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihren Job unter Freiheit ausüben dürfen, ist ein hohes Gut. Denen, die dieses Gut nicht besitzen und trotzdem ihren Job weiter ausführen, zollen wir Respekt. Wir sind stolz, dass die Viadrina mit dieser Ausstellung zur Aufmerksamkeit auf akademische Freiheit beitragen kann.“

Wenn das akademische Exil zur persönlichen Erfahrung wird

Das Viadrina-Programm Pensées Françaises Contemporaines hat zur Eröffnung – moderiert von Viadrina-Professorin Dr. Kira Kosnick – drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geladen, die aus eigener Erfahrung und Expertise berichten. Der Minsker Historiker Aliaksei Bratachkin, der aktuell als Gastwissenschaftler an der Viadrina lehrt, erzählt von den Entwicklungen der Hochschulen in Belarus seit dem Zerfall der Sowjetunion. Insbesondere in den vergangenen Jahren seien die Zahlen zurückgetretener bzw. vertriebener Hochschulangehöriger stark angestiegen: „492 Studierende wurden inhaftiert, 272 aus politischen Gründen ausgewiesen, 177 Lehrende sehen sich starkem politischen Druck ausgesetzt, zwölf Rektorinnen und Rektoren wurden entlassen“, zählt er auf und fügt hinzu: „Es sind zwei Realitäten entstanden.“

Prof. Dr. Oksana Mikheieva, Soziologin aus der Ukraine und ebenfalls Viadrina-Gastwissenschaftlerin, macht auf das Schicksal eines Kollegen in Donezk aufmerksam, der mehr als ein Jahr im Gefängnis saß: „Eine solche Erfahrung zu machen, ändert die Wahrnehmung vieler Themen.“  Dr. Jérôme Heurtaux, Politikwissenschaftler und Leiter des Französischen Zentrums für Sozialforschung (CEFRES) in Prag, spricht davon, dass die wissenschaftliche Unabhängigkeit für viele Forschende in Zentral-Europa angespannter geworden sei: „Akademische Freiheit ist eher ein Privileg als ein Grundrecht. Sie ist nicht mit Meinungs- bzw. Pressefreiheit gleichzusetzen.“

Auch Fotograf Pierre-Jérôme Adjedj ist Teil der Portraitierten in der Ausstellung. „Wir wollten nicht nur das Exil darstellen, sondern auch Menschen, die dieser Wissenschaftscommunity nahestehen“, sagt er. Das Interesse an seinem „Mann im Kittel“ ist noch nicht erloschen. Eine Besucherin staunt über die verschiedenen Ebenen in dem Portrait: „Sogar die Texte sind durch die Spiegelung nicht mehr lesbar. Es scheint, als stünden die Elemente selbst für die Gefährdung akademischer Freiheit“, sagt sie. Fotograf Adjedj nickt und deutet mit dem Finger auf die Stelle, an der die Kinder des Portraitierten zum Vorschein kommen. Er zeigt auf die Jackentasche des Kittels, aus der sie zur Hälfe herausschauen: „Auch wenn wir sie im Bild suchen müssen, sind sie doch immer nah bei meinem Fotomodell.“

(KH)

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