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„Das Vergessen stellt sich nicht ein“ – Vielfältige Erinnerung an den geschichtsträchtigen 9. November

Mit einer Ausstellungseröffnung und einem Symposium erinnerten die Viadrina und das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) am 9. November gemeinsam an die Reichspogromnacht 1938 – ohne dabei das Gedenken an den 9. November 1989 zu vergessen. Auch die antisemitischen Anschläge von Halle einen Monat zuvor wurden dabei thematisiert.

Über den Stellenwert des Jüdischen in der DDR sprach Dr. Christian Dietrich vom Axel Springer-Lehrstuhl für deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte, Exil und Migration im Zeitzeugengespräch mit Dr. Irene Runge. Im Mittelpunkt stand ihr Buch „Pogromnacht 1938“, das die Soziologin zum 50. Jahrestag der Pogrome – der 1988 erstmals gesamtdeutsch begangen wurde – gemeinsam mit dem Historiker Kurt Pätzold herausgegeben hatte. Darin rekonstruierte sie mithilfe von Zeitzeugengesprächen sowie Wetterberichten und Kinoprogrammen aus Zeitungen den „Alltag“ der Novemberpogrome – und das lange bevor die „Oral-History-Methode“ in der Geschichtswissenschaft angewandt wurde.
Eine Öffnung zum Jüdischen gab es in der DDR erst in den 1980er Jahren, wusste Irene Runge zu berichten. 1989 gründete sie den Jüdischen Kulturverein Berlin als offene Gruppe für alle mit jüdischem Hintergrund, um „das Jüdische zu erleben jenseits einer männlich dominierten Religionsgemeinde“.
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Fotos: Ulrike Polley

Beim zweiten Teil des Symposiums „Überschriebenes Gedächtnis? – Die Reichspogromnacht im Spiegel kultureller Erinnerungen“ diskutierten drei Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin aus Ost und West über die Erinnerungskultur zum 9. November in der DDR. „Ich frage mich, wie weit wir mit der Erinnerungskultur gekommen sind, wenn Dinge wie in Halle nach wie vor passieren. Ich will nicht sagen, unsere ganzen Aufklärungen sind gescheitert, aber wir müssen diesen Ereignissen jetzt einen großen Stellenwert beimessen“, merkte die Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Irmela von der Lühe am Ende der Diskussion kritisch an. Historiker Alexander Walther pflichtete ihr bei: „Deutschland wird weltweit für seine gute Gedenkarbeit gelobt; nach solchen Ereignissen wird auch oft auf diese verwiesen. Aber man muss auch einmal sagen, dass diese Arbeit hauptsächlich von Ehrenamtlichen gemacht wird und die meisten Gedenkstätten unterfinanziert sind“, so der Doktorand am Europäischen Kolleg Jena.

Passend schloss Christian Dietrich die Gesprächsrunde mit einem Zitat aus Irene Runges Aufsatz: „Geblieben ist weit mehr als ein unangenehmes Gefühl. Das Vergessen stellt sich nicht ein. Der triviale Satz, dass aus Geschichte zu lernen sei, bekommt Namen für das eigene Verhalten: Zivilcourage, Mitleid, Verantwortung, Verweigerung, Solidarität, Widerstand.“

Das Catori-Quartett des Brandenburgischen Staatsorchesters bereicherte das Symposium mit stimmungsvollen Stücken von Hans Krása, Simon Laks und Felix Mendelssohn – drei Komponisten mit jüdischem Hintergrund, die Musikwissenschaftler Dr. Albrecht Dümling vom Podium aus für das Publikum spannend einzuordnen wusste.

Zum Gedenktag wurde auch die Wanderausstellung „Im Fluss der Zeit. Jüdisches Leben an der Oder“ eröffnet, die noch bis zum 12. Dezember an der Viadrina zu sehen ist. Die Kuratorinnen Dr. Magdalena Gebala vom Kulturforum östliches Europa und Viadrina-Wissenschaftlerin Dr. Magdalena Abraham-Diefenbach zeigen in der Schau eine bisher einzigartige Beschäftigung mit jüdischem Leben beidseits der Oder, die einen Vergleich der lokalen Erinnerungskulturen in Deutschland und Polen ermöglicht. Einige der insgesamt eher spärlichen historischen Quellen über das Metier konnten für die Ausstellung erstmals erschlossen werden. (UP)

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