Romain le Quiniou, Projektleiter von „From West to East“ und Mitgründer des Think Tanks Euro Créative
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„Endspurt“ heißt es in der Abschlussphase des aktuellen Jahrgangs von Ukraine Calling: Jetzt werden die transnationalen Projektideen implementiert, die im Herbst 2020 eingereicht worden waren und an denen seither in Weiterbildungs-Workshops und Netzwerk-Veranstaltungen gefeilt wurde. Ein Teilnehmer spricht im Logbuch-Interview über sein Projekt. Zudem stellt die Viadrina-Präsidentin Ukraine Calling im Videointerview vor.
Migrationsbewegungen vom Westen in den Osten Europas stimulieren, um die zunehmende Abwanderung von Fachkräften und jungen Kreativen anzugehen – das ist das Hauptziel des Projektes „From West to East“ des französischen Think Tanks „Euro Créative“. Romain le Quiniou, Projektleiter und Mitgründer von Euro Créative, erzählt im Interview, welchen Einfluss Ukraine Calling auf die Projektidee und -umsetzung hatte.
Wie sind Sie auf die Projektidee zu „From West to East“ gekommen?
Mit unserer neu gegründeten Denkfabrik „Euro Créative“ wollen wir das Wissen und das Verständnis über Mittel- und Osteuropa in Frankreich erhöhen. Diese Länder leiden – mehr als drei Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs – immer noch unter vielen Klischees und Migrationsfragen gehören zu den Themen, die häufig verzerrt dargestellt werden. In Westeuropa herrscht der Glaube, dass Menschen, die von Ost- nach Westeuropa migrieren, von einer großen Chance profitieren. Natürlich kann man einige Vorteile nicht leugnen – zumindest die finanziellen. Allerdings bringt die Auswanderung auch viele Herausforderungen mit sich. Ein aktuelles und konkretes Beispiel ist der Mangel an medizinischem Personal in vielen osteuropäischen Ländern im Kampf gegen Covid-19. Neben der Abwanderung von Fachkräften sind die Herausforderungen aber auch mit demografischen oder identitätsbezogenen Fragen verbunden; ganz zu schweigen von individuellen und familiären Belastungen.
In dieser Hinsicht ist die Ukraine ein sehr interessantes Beispiel. Es gibt eine starke Abwanderung, gleichzeitig hat das Land aber inzwischen auch große Potenziale. Allerdings hat die Ukraine in Westeuropa einen schlechten Ruf (Krieg, Korruption, Armut, etc.) – trotz der Entwicklung von innovativen und interessanten Möglichkeiten im IT-Sektor, der Landwirtschaft oder der Infrastruktur. Daher erscheint uns die Steigerung der Attraktivität der Ukraine für westeuropäische Jugendliche ein entscheidender Faktor für die aktuelle Entwicklung und für die zukünftige europäische Integration der Ukraine zu sein.
Wie hat sich das Projekt seit dem Start von Ukraine Calling entwickelt und was sind die nächsten Schritte?
Zu Beginn war unsere Projektidee sehr vage. Ich wusste, dass ich über die Migrationsströme von West nach Ost sprechen wollte, aber ich wusste nicht, welche konkrete Richtung ich einschlagen will. Das Intensivprogramm von Ukraine Calling hat mir in dieser Hinsicht sehr geholfen. Zwei Wochen lang gab es Workshops und Veranstaltungen, in denen wir die Möglichkeit hatten, mit verschiedenen Stakeholdern zu diskutieren. Ich bekam viele Kommentare, Ideen, Ratschläge und Vorschläge, die mir halfen, unsere Projektidee detaillierter und (wie ich hoffe) effektiver zu gestalten.
Gleichzeitig war es für mich sehr wichtig, von den verschiedenen Erfahrungen anderer Leute zu profitieren, da ich relativ unerfahren bin, was die Umsetzung von Projekten angeht. Für mich war es besonders gewinnbringend, mit Menschen zu sprechen, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren. Einige Teilnehmende und Referierende gaben wirklich nützliche Ratschläge, wie man eine Fundraising- oder Disseminationsstrategie entwickelt.
Wir planen, das Projekt in der zweiten Jahreshälfte 2021 zu implementieren. Im Moment bauen wir unser Konsortium um Partnerinnen und Partner aus Frankreich, Deutschland, Polen und der Ukraine auf und diskutieren das Fundraising mit mehreren Institutionen.
War es eine Herausforderung, dass Ukraine Calling ausschließlich online stattgefunden hat?
Im Moment haben wir ja keine andere Möglichkeit. Ob wir wollen oder nicht, der Anteil der Online-Aktivitäten wird steigen; und das hat ja auch einige Vorteile. Die Möglichkeiten, mit Menschen aus der ganzen Welt zu sprechen, sind jetzt viel einfacher: Ich habe von meinem Zimmer in Südfrankreich aus am Forum von Ukraine Calling teilgenommen, das von der ukrainischen Denkfabrik CEDOS organisiert wurde.
Natürlich kommt man aber nicht umhin, auch die „Zoom-Müdigkeit“ zu erwähnen. Aber nach fast einem Jahr Covid-19 habe ich mich persönlich daran gewöhnt. Das größte Problem des 100%igen Online-Formats liegt meiner Meinung nach in der konkreten Vernetzung. Natürlich kann man bei Online-Formaten eine Menge Leute von überall auf der Welt treffen, aber tiefgehende Diskussionen sind fast unmöglich. Wir sollten nicht vergessen, dass zivilgesellschaftliche Projekte in der Regel eine starke menschliche Dimension haben – nicht nur in der Umsetzung, sondern auch in der Konzeption. Das hat zur Folge, dass es online viel schwieriger ist, einen Partner zu finden oder eine Kooperation aufzubauen. Eine fruchtbare Zusammenarbeit kann nicht nur über Computer entstehen, man braucht informelle Gespräche und echte Interaktionen bei einem Kaffee oder noch besser bei einem deutschen Bier... (UP) |