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Er hat Menschen auf der Straße angesprochen und in Facebook-Gruppen gesucht. Marcin Wierzbowski, Masterstudent der Soziokulturellen Studien im dritten Semester, wollte mit früheren polnischen Angestellten des Halbleiterwerkes Frankfurt (Oder) sprechen. Fündig wurde er schließlich in einem Laden kurz hinter der Stadtbrücke in Słubice. Dort traf er zufällig auf Irena Sokołowska, die zwischen 1971 und 1991 in dem Volkseigenen Betrieb (VEB) gearbeitet, die dortige Betriebsschule und dann auch die Meisterschule besucht hat. Täglich ist sie dafür über die zeitweise eigentlich geschlossene Grenze zwischen Polen und der DDR gependelt. >>>weiterlesen
Ihre Geschichte ist nun eine von vielen, die in der Ausstellung „Menschen Maschinen Mikroelektronik. Industriekultur am Beispiel des Halbleiterwerkes Frankfurt (Oder) 1959 – 1990“ im Frankfurter Stadtarchiv zu sehen sein wird. Sie wird im Jahrbuch des Museums Viadrina erzählt werden und in einer Serie der Märkischen Oderzeitung. „Man kann nicht nur Papier ausstellen. Durch die intensive Beschäftigung mit den Materialien und die Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wird die Geschichte erlebbar“, beschreibt Prof. Dr. Rita Aldenhoff-Hübinger, Leiterin des Seminars, den Ansatz ihrer Lehrveranstaltung in Kooperation mit dem Stadtarchiv.
Der Bestand des Archivs zum Halbleiterwerk ist groß und weitgehend unerschlossen. Unter anderem bewahrt man dort die kompletten Ausgaben der Betriebszeitung „Kristallspiegel“ auf, ungezählte Fotoalben, Filme, Wimpel, Urkunden… „Ohne dieses Seminar hätten wir viele Dinge nicht in die Hand genommen“, sagt Saskia Beyer, Mitarbeiterin des Archivs. „Es ist toll, die Dinge zugänglich zu machen; schließlich ist es nicht nur unsere Aufgabe, sie aufzubewahren.“ Auch neue Archivalien sind durch die Vorbereitung der Ausstellung hinzugekommen, beispielsweise ein eindrucksvoller Übungscomputer, der zur Ausbildung im Halbleiterwerk genutzt wurde. Eine frühe Spielkonsole, mit der man auf dem Fernseher Tennis spielen konnte, ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.
Allerdings ist es nicht Anliegen der Schau, Technik- oder Betriebsgeschichte zu erzählen. Vielmehr wird der Einfluss des Halbleiterwerkes auf die Gesellschaft Frankfurts und der Region nachvollziehbar. Sportvereine, Kunstzirkel, Kinderbetreuung – vieles wurde um den Betrieb herum geplant. Eine interaktive Stadtkarte, auf der Besucherinnen und Besucher ihre Verbindung zum einstigen Volkseigenen Betrieb (VEB) markieren können, wird im Laufe der Ausstellung die Prägung der Stadt durch das Werk vor Augen führen. „Wir sind sehr gespannt auf die Reaktionen. Schon jetzt erreicht uns viel Interesse“, sagt Constanze Rehfeld vom Stadtarchiv.
Für Marcin Wierzbowski war das Seminar ein spannender Einblick in die soziokulturellen (Um)-Brüche der regionalen Gesellschaft und eine wertvolle Erfahrung im Gespräch mit der Zeitzeugin Irena Sokołowska, die zunächst nicht wollte, dass ihr Gespräch überhaupt aufgezeichnet wird. Doch Marcin Wierzbowski konnte ihr Vertrauen gewinnen. Inzwischen ist sie mit der Veröffentlichung einverstanden und wird voraussichtlich zur Eröffnung der Ausstellung am 17. Oktober wieder über die Stadtbrücke nach Frankfurt kommen – zum ersten Mal seit 20 Jahren.
Am Tag der Ausstellungseröffnung am 17. Oktober 2021 werden zwischen 14.00 Uhr und 17.00 Uhr Führungen angeboten. Weitere Informationen zur Ausstellung und zum Rahmenprogramm
(FA)
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