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Studierende erforschen Heimkehrer-Spuren: Wie geht deutsch-polnisch-europäische Erinnerung an die Rückkehr von Wehrmachts-Soldaten nach 1945?

In einem polnischsprachigen Seminar zur Nachkriegszeit in der Oderregion beschäftigt sich eine polnisch-deutsche Projektgruppe mit dem „Heimkehrerlager Gronenfelde“ in Frankfurt (Oder). Mit dem Wissen um die Gräueltaten der Wehrmacht, aber auch mit Neugier und Offenheit für individuelle Biografien erkundeten sie mit Kamera und Mikrofon die historischen Orte in der heutigen Grenzstadt. Im Interview sprechen Natalia Łuszczyńska und Tomek Darda von ihrer Perspektive, Motivation und Ideen für eine angemessene Darstellung.

Texte und Fotos: Peggy Lohse

Warum haben Sie das Seminarprojekt über das Heimkehrerlager Gronenfelde gewählt?
Natalia Łuszczyńska (NŁ): Ich habe mich für dieses Projekt entschieden, weil ich die Geschichte Frankfurts, des Lagers Gronenfelde und die Geschichte der Heimkehrer von dieser Seite noch nicht kannte. Ich dachte, dass es ein sehr interessantes Thema und eine gute Gelegenheit ist, mehr darüber zu lernen.

Tomek Darda (TD): Als ich nach Frankfurt kam, war ich überrascht, wie viel Geschichte sich gleich um die Ecke verbirgt. Diese Überraschung verwandelte sich in Neugier – Neugier auf das, was hier passiert ist, und die Überraschung, dass diese so bedeutende Geschichte fast unbekannt ist. Ich möchte dazu beitragen, das ein wenig zu ändern.
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Was haben Sie vor der Projektarbeit unter dem Wort „Heimkehrer“ verstanden?
TD: Die Rückkehr in die Heimat ist ein sehr universelles Konzept; in diesem Fall dachte ich zuerst an deutsche Kriegsgefangene, die nach Jahren in ihr Land zurückkehren konnten. Ich wusste nicht, dass es auch viele Menschen gab, die die Lager durchliefen, um in ihre Heimatländer im Osten zurückzukehren.

NŁ: Unter Heimkehrern verstand ich die Menschen, die in ihr Heimatland oder in ihre Heimat zurückkehrten. Nun verstehe ich als Heimkehrer auch Kriegsgefangene und Zivilisten, die aus der Gefangenschaft in ihr Heimatland zurückkehren.

Welche Emotionen weckt die Geschichte dieser deutschen Soldaten und ihre Rückkehr nach Deutschland bei Ihnen?
NŁ:
Einerseits ist das eine bedauerliche Geschichte, die traurige Gefühle hervorruft. Die heimkehrenden Soldaten sind oft durch die Hölle gegangen und haben brutale Erfahrungen gemacht. Einige von ihnen waren bewusst dort, andere waren unfreiwillig dort, mussten trotzdem kämpfen und wussten nicht, ob sie überleben und in ihre Heimat zurückkehren würden. Andererseits war ihre Rückkehr ein Symbol für die wiedererlangte Freiheit, die Rückkehr zu ihren Familien und normalem Leben, was eher positive Gefühle hervorruft.

TD: Sie rufen den menschlichen Reflex hervor, sich vorzustellen, wie es für sie als normale Menschen gewesen sein muss – Erleichterung, Freude, aber auch Unsicherheit. Ich versuche mir vorzustellen, wie ich mich in so einer ähnlichen Situation fühlen würde, aber das ist sehr schwierig, weil unser Leben heute viel einfacher ist.

Ist für Sie Mitgefühl mit deutschen Wehrmachtssoldaten aus polnischer Perspektive möglich?
TD:
Ich denke, dass die menschliche Natur bei allen ähnlich funktioniert: Natürlich ist die erste Assoziation eines Polen mit deutschen Soldaten, selbst mit Flüchtlingen, oft von historischen Konflikten und Vorurteilen geprägt. Auf menschlicher Ebene sind diese Geschichten aber vergleichbar mit jeder Person, die nach einer schweren Zeit nach Hause zurückkehrt. Auch die polnischen Soldaten kehrten zurück, auch sie wurden entlassen – obwohl, wie wir wissen, viele von ihnen aufgrund des wachsenden Einflusses der Sowjetunion nicht zurückkehren durften.

NŁ: Ich verstehe einerseits den Schmerz der Soldaten und ihr Leiden. Viele von ihnen wurden Zeugen brutaler Ereignisse, an denen sie vielleicht nicht hätten teilnehmen wollen. Auch sie hatten Familien, sie litten, sie träumten davon, zurückzukehren und den Krieg zu beenden. Andererseits kämpften sie im Namen des Deutschen Reiches und begingen schändliche, oft unverzeihliche Taten. Dieses Thema ist sehr kontrovers und ich weiß nicht, ob und wie man mit den „Deutschen“ sympathisieren könnte. Ich denke, für die jüngeren Generationen, die nicht am Krieg beteiligt waren, ist es leichter zu verzeihen und auch das Leid auf Seiten der deutschen Armee zu sehen, als für die älteren Generationen, die emotional stärker an diesen Ereignissen beteiligt waren. Aber ich denke, wir sollten nicht nachtragend sein und zumindest versuchen, uns gegenseitig zu verstehen.

Ist es ein guter Zeitpunkt, der Schicksale deutscher „Tätergruppen“ zu gedenken – parallel zu denen der Opfer? Oder ist diese Einteilung überhaupt schon gar nicht mehr gültig?
TD: Wir sollten an alle denken, denn alles kann uns eine Lehre sein. Im historischen Narrativ sollte eine klare Trennung gezogen werden zwischen dem konkreten menschlichen Schicksal, das oft kaum bis keinen Einfluss hatte, und der politischen Geschichte, in der die Verantwortung für die schlimmen Dinge deutlich hervorgehoben werden sollte. Und denken wir immer daran: menschliche Geschichten sind nie 0 oder 1 – sondern bewegen sich immer dazwischen.

NŁ: Ich denke, dass die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts sich bereits bewusst in die Lage einfühlen und Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven analysieren kann. Die Herangehensweise an dieses Thema wird nicht mehr so viele Emotionen wecken, sondern eher auf Basis „trockener Fakten“ erfolgen. Es geht nicht darum, die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges vollständig zu vergessen oder gar die Schuldigen mit den Opfern gleichzusetzen. Ich denke sogar, dass die Welt nie vergessen wird, wer die Schuld an diesem Krieg trug.

HINTERGRUND

Frankfurt (Oder) war während und nach dem Zweiten Weltkrieg ein bedeutender Knotenpunkt der Migrationswege und Transporte von Menschen, die die Nationalsozialisten und der Krieg aus ihrem Zuhause gerissen, entwurzelt und millionenfach getötet haben. Wie die Oderstadt im Jahr 1945 von einer Festungsstadt zur Drehscheibe menschlicher Schicksale wurde, thematisierte bereits im Juni 2020 Prof. Dr. Werner Benecke in seinem Vortrag „Bahnhof Europas. Frankfurt (Oder) 1945“. Ein wichtiger Aspekt für die Nachkriegszeit ist Frankfurt (Oder) aber auch als Entlassungsort für die aus Kriegsgebieten und Kriegsgefangenschaft zurückkehrenden Soldaten der Wehrmacht.

Im Rahmen des polnischsprachigen Seminars „‚Polski Dziki Zachód‘ i ‚Zimna Ojczyzna‘ – wypędzenia i ucieczki w regionie nadodrzańskim“ („‚Polens wilder Westen‘ und ‚Kalte Heimat‘ – Vertreibung und Flucht in der Oderregion“), geleitet von Prof. Dagmara Jajeśniak-Quast und Ewa Bagłajewska, hat sich im Herbst 2021 eine polnisch-deutsche Projektgruppe mit den Spuren jener Kriegsheimkehrer in Frankfurt (Oder) beschäftigt und einen Film (siehe unten) produziert. Unterstützt wurden sie dabei von Dr. Konrad Tschäpe von der Gedenkstätte für die Opfer politischer Gewaltherrschaft, dessen Einrichtung jüngst knapp zwei Millionen Euro vom Land Brandenburg zugesprochen bekam, um die Gedenkstätte auszubauen, das Heimkehrer-Thema aus der kleinen und veralteten „Satellitenausstellung“ in der Frankfurter Hornkaserne zu holen und in aller Komplexität in der Gedenkstätte an der Oderpromenade zu präsentieren.


Das im Seminar entstandene Video von Natalia Łuszczyńska, Peggy Lohse und Tomek Darda in polnischer und deutscher Sprache (mit Untertiteln über Youtube abrufbar):

Drei Schwerpunkte für komplexes Erinnern

Die Historikerin Dr. Magdalena Abraham-Diefenbach von der Professur für Denkmalkunde ist gleichzeitig Vorsitzende des Vereins Institut für angewandte Geschichte. Sie ergänzt drei Aspekte, die bei der Darstellung dieses sensiblen Themas im deutsch-polnischen, aber auch europäischen Diskurs beachtet werden sollten.

1.   Gesamtkontext heimkehrender Wehrmachtssoldaten: „Dazu gehört auch die Geschichte der Verführung, der Faszination für die Hitlerjugend und den Krieg im Osten“, so Abraham-Diefenbach. Letztlich waren es deutsche Soldaten, die den Krieg verloren. Und: „Persönliche Geschichten geben noch keine Gesamtübersicht, man muss dann also auch eine Vielfalt unterschiedlicher ‚Typen‘ zeigen“ – zum Beispiel Kriegsverbrecher, reguläre Wehrmachtssoldaten, unfreiwillig und sehr jung Eingezogene, …

2.  Unvergleichbarkeit der Soldatenschicksale: Aus der Vertriebenen-Thematik kennt die Forscherin jene kitschigen und stark vereinfachenden Versöhnungsnarrative wie „Letztlich waren wir alle Opfer Hitlers“ und „Wir sind alle vertrieben worden“ – das dürfe mit den Heimkehrern nicht passieren. Sowohl während des Krieges als auch in der Behandlung danach, machten polnische und deutsche Soldaten völlig andere Erfahrungen. Das Paradoxe: Deutschen, die die sowjetische Gefangenschaft überlebten, wurden mit „Willkommen in der Heimat“ in den zwei Staaten des Nachkriegsdeutschlands begrüßt. Sie erhielten sogar Denkmale. Und jenseits der Oder? Unter sowjetischem Einfluss warteten für viele die sibirischen Lager, aus denen zahlreiche nicht mehr heimkehrten. Andere, beispielsweise  polnische Soldaten der Anders-Armee, fürchteten die Rückkehr aus England oder anderen westeuropäischen Ländern in die kommunistisch regierte Volksrepublik.

3.   Interkulturelle Sensibilität: „Aus polnischer (und osteuropäischer) Sicht sind deutsche Soldaten immer ‚Täter‘. Wenn man sie direkt hier an der Grenze auch als ‚Opfer‘  zeigen will, müssen Polen sehr offen dafür sein.“ Dafür brauche es laut Abraham-Diefenbach vor allem einen „tiefgreifenden Dialog“.