Die vergessenen Geschichten der Urgroßmütter – Studierende erarbeiten Online-Ausstellung

Das Leben ihrer Urgroßmütter haben Studierende in einem Seminar von PD Dr. Izabella Parowicz nachgezeichnet und dabei festgestellt, wie schwierig es ist, die Geschichte von Frauen zu erforschen. Umso eindrucksvoller sind die Geschichten und Fotografien, die sie für die Online-Ausstellung „Weibliche Vorfahren in Fotografien und Dokumenten“ zusammengetragen haben.

Die 14-jährige Frieda Margarete Schulze hatte 1919 acht Jahre Schule hinter sich und arbeitete in einer Berliner Schokoladenfabrik. Zehn Jahre später heiratete sie ihren ersten Mann, der aber nach nur vier Ehejahren starb. Ihren zweiten Ehemann fand sie über eine Heiratsannonce in der Zeitung. Diese und weitere Details aus dem Leben ihrer Urgroßmutter hat Anna Beuchel in einem Seminar herausgefunden. Ein Semester lang hat sie in Archiven gesucht und Gespräche mit ihrer Familie geführt, um das Leben der Urgroßmutter, die sie nie kennengelernt hat und an die sie bisher nur eine Porzellandose erinnert hat, nachzuzeichnen. „Ich wusste immer mehr über meine männlichen Vorfahren; es ist toll, nun auch die Details aus dem Leben meiner Urgroßmutter zu kennen“, sagt die Kulturwissenschaftsstudentin. Aus vielen kleinen Puzzleteilchen habe sich dabei ein großes Bild zusammengefügt. Das meiste habe sie aus Gesprächen mit ihrer Mutter erfahren.

Bild 1: Anna Beuchel mit einem Bild ihrer Urgroßmutter Frieda Margarete Schulze
Bild 2: Emilia Zimmermann mit einem Bild ihrer Urgroßmutter Hedwig Gööck (2.v.r.) im Kreis ihrer Schwestern
Bild 3: Jan Hofmann mit dem Bild seiner Urgroßmutter Hermine Rak


Frieda Margarete Schulze ist eine von sieben Frauen, die Besucherinnen und Besucher der Webseite https://weiblichevorfahrenviadrina.wordpress.com/ kennenlernen können. Ihre Leben sind von Eltern, Geschwistern, Ehemännern, Freunden und Kindern geprägt. Aber auch von mehreren Kriegen und dem Umgang mit persönlichen und politischen Schicksalen. Besucherinnen und Besucher der Webseite erfahren unter anderem, dass die 1888 geborene Emma Steger ihre jüdischen Freunde bei der Flucht nach England unterstützte und in den 1940er-Jahren für ihre Gewohnheit getadelt wurde, „Grüß Gott“ statt „Heil Hitler“ zu sagen. Sie lernen auch Hedwig Gööck kennen, die als Pfarrerstochter unter deutschen Kolonisten in Russland aufwuchs, Violine im Konservatorium spielte und Angestellte hatte, bis der Erste Weltkrieg und die Revolution sie über Umwege nach Thüringen führten. Dort heiratete sie selbst einen Pfarrer, der zuvor schon mit zwei ihrer Schwestern verheiratet war, die beide jung verstarben. Kurz vor dem Mauerbau reiste Hedwig Gööck nach Bayern aus.

Es sind die großen historischen Umbrüche, die man aus diesen Biografien herausliest, die Vielfältigkeit der Lebensläufe und die spezifisch weiblichen Erfahrungen. „Die Entdeckungen meiner Studierenden waren nicht nur für sie, sondern auch für mich faszinierend“, sagt Seminarleiterin PD Dr. Izabella Parowicz. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Denkmalkunde und erfahrene Genealogin sagt: „Obwohl es auf den ersten Blick so aussah, als könnten die Studierenden das Schicksal ihrer entfernten Vorfahrinnen nicht rekonstruieren, holten sie aus dem Dunkel des Vergessens die Biografien von Frauen hervor, die oft sehr ungewöhnlich waren und es wert sind, dass man sich an sie erinnert und ihrer gedenkt.“ Aufgrund ihrer eigenen Ahnenforschung und vorheriger Seminare wisse sie, dass es viel schwieriger ist, die Geschichte von Frauen zu erforschen, als die von Männern. „Sie haben in der Vergangenheit selten öffentliche Ämter bekleidet oder exponierte Berufe ausgeübt und ihr Leben in vielen Fällen auf die Versorgung des Haushaltes beschränkt“, beschreibt sie einige der Gründe dafür, dass es neben Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden meist kaum Quellen etwa in der historischen Presse oder offiziellen Schriften gebe. Doch auch das Wirken im Haushalt möchte sie ausdrücklich nicht als untergeordnet betrachten: „Diese tapferen Frauen, oft Mütter vieler Kinder, haben Generationen von Menschen großgezogen; dank ihrer Aufopferung für ihre Lieben, gehen wir – ihre Nachkommen in fernen Generationen – heute durch die Welt.“

Nachdem die Studierenden in einem ersten Seminar die weiblichen Familiengeschichten erforscht hatten, war Izabella Parowicz klar, dass die Ergebnisse einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. In einem zweiten Seminar erarbeiteten die Studierenden daher die Ausstellungswebseite. Wer auf ihr durch die Biografien stöbert, stellt sich schnell selbst die Frage: Was weiß ich eigentlich über meine Urgroßmütter? Eine Wirkung, über die sich die Studierenden genauso freuen wie Dozentin Izabella Parowicz. Sie ist überzeugt: „Eine solche Online-Ausstellung kann andere dazu inspirieren, sich die Mühe zu machen, die Geschichte ihrer eigenen weiblichen Vorfahren zu rekonstruieren, was oft zu einer tieferen Reflexion über die eigene Identität und die eigenen Wurzeln führt.“

Text: Frauke Adesiyan
Fotos: Sebastian Pape/Privat

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