„Die Spendenbereitschaft von Viadrina-Akteur*innen hat mich total beeindruckt“ – Bilanz des Ukraine-Notfallfonds

Dank des Viadrina Förder- und Notfallfonds für ukrainische Studierende und Forschende konnten seit April 2022 mehr als 100 Hilfesuchende aus der Ukraine mit insgesamt 100.000 Euro unterstützt werden. Über das Ausmaß und die Art der Hilfe, die Herausforderungen dieses einmaligen Projektes und ihre Mitarbeit daran, spricht Olena Kulygina in diesem Interview.

Olena Kulygina, wie ist die Idee für den Fonds nach der Ausweitung des russischen Krieges gegen die Ukraine im Februar 2022 entstanden?

In dieser erschütternden Situation war schnell klar, dass die Viadrina mit ihrer speziellen Brückenfunktion nach Osteuropa mehr ukrainischen Studierenden und Forschenden ermöglichen wollte, an die Viadrina zu kommen. Dafür war eine finanzielle Basis notwendig, die zu dem Zeitpunkt nicht zur Verfügung stand – auch noch nicht auf der staatlichen Ebene. Auf Initiative der damaligen Viadrina-Präsidentin Prof. Dr. Julia von Blumenthal wurde der Notfallfonds gegründet. Es ging darum, eine Lücke zu schließen und auf die eingehenden akuten Anfragen so schnell wie möglich reagieren zu können. Schon Mitte März 2022 flossen die ersten Spenden in den Fonds und seit April standen die Strukturen, mit denen wir Geld an Antragsteller*innen auszahlen konnten. Bis zum Frühjahr 2024 haben wir dank dieser Initiative insgesamt 101.667 Euro an Bedürftige weitergegeben.

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Von wem kam das Geld?

Viele Menschen haben sich privat beteiligt und Beiträge zwischen zehn und 5.000 Euro gespendet, darunter sind Wissenschaftler*innen und nichtwissenschaftliche Mitarbeitende sowie Alumni der Viadrina. Die Spendenbereitschaft von Viadrina-Akteur*innen hat mich total beeindruckt. Sie hat eine äußerst starke persönliche Verbundenheit mit der Viadrina gezeigt und Interesse für ihre aktuellen Herausforderungen bewiesen. Auch die gute Vernetzung der Viadrina mit der Stadt sorgte für weitere Spenden. Ich nenne es „Glück im Unglück“, so viel Einigkeit und Hilfsbereitschaft bei uns an der Universität zu beobachten.
Außerdem gehören Stiftungen wie die Ingeborg und Eberhard Beckherrn Stiftung (5.000 Euro) und die Meyer-Struckmann-Stiftung (30.000 Euro) zu den größten Förderern des Fonds. Auch Stipendiengeber*innen, die sich in anderen Viadrina-Programmen engagieren, haben sich zusätzlich an dem Viadrina Förder- und Notfallfonds beteiligt, darunter der Mebus-Pleuger-Stipendienfonds und Rotary International Distrikt 1940 e.V. Vereinzelte Beiträge kamen von externen Akteuren aus der Stadt und der Region, kleinen Unternehmen und Vereinen sowie Benefizkonzerten. Insgesamt haben 177 Spenderinnen und Spender geholfen. Unser Dank geht an alle, die die finanzielle Basis für den Fonds ermöglicht haben.

Und wem kam das Geld zu Gute? Was konnte damit finanziert werden?

Zu Beginn wurden die gesammelten Gelder ausgegeben, um die Ankunft zu erleichtern, Unterkünfte auszustatten und den täglichen Lebensbedarf zu finanzieren. Hinzu kamen Welcome-Stipendien und Fellowships sowie psychologische Beratung. Profitiert haben davon zwölf Wissenschaftler*innen, die durch die Unterstützung ihre wissenschaftliche Tätigkeit an der Viadrina, ohne ständigen Katastrophenalarm, fortsetzen und sogar neue Kooperationen eingehen konnten. Außerdem wurden 90 ukrainische Studierende und Studieninteressierte mit Sofortbeihilfen und Überbrückungsstipendien unterstützt. Sie haben über den rasch von der Abteilung Internationale Angelegenheiten eingerichteten Track Via Support eine Anbindung an die Viadrina gefunden. 54 von ihnen wurden tatsächlich immatrikuliert und viele befinden sich momentan bereits in ihrem Fachstudium, in manchen Fällen über eine zusätzliche Stufe im Viadrina College Programm.
Die bereits vor der Ausweitung des Krieges an der Viadrina bestehende Community ukrainischer Studierender und ihrer Familien war natürlich auch stark betroffen. Auch sie haben wir unterstützt, damit sie trotz der Belastung weiter studieren konnten.

Sie haben den Aufbau des Fonds als Mitglied der Koordinierungsrunde Ukraine von Anfang an begleitet und später als eigenes Projekt übernommen. Was waren aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?

Der Aufbau und die Integration des Fonds in die öffentliche Verwaltung erforderten einen höheren bürokratischen Aufwand als gedacht. Alles musste Richtlinien und Regularien entsprechen und wir konnten nicht einfach freihändig Geld auszahlen. Es gab dadurch einen hohen Dokumentationsaufwand, der teilweise der Notwendigkeit, schnell zu helfen, entgegenstand. Dennoch waren die Regularien aus dem Sicherheitsgedanken für eine Institution wichtig. Es kamen sehr viele Anfragen, die unter enormem Zeitdruck bearbeitet werden mussten. Die erste Hälfte der Mittel wurde schnell für die rasant wachsende Welle von Anträgen bereitgestellt und innerhalb der ersten sechs Monate nach dem Angriff im Februar 2022 für Studierende und Forschende ausgegeben. Die zweite Hälfte wurde so verplant, dass die Mittel für längerfristige Stipendien für Forschende und Studierende ausgereicht haben.

Wie schauen Sie auf diese Zeit zurück – schließlich betraf diese Ausnahmesituation Sie auch persönlich als ukrainische Viadrina-Mitarbeiterin, die 2012 zum Studium aus der Ostukraine nach Frankfurt gekommen war?

Obwohl ich zu der Zeit sehr eingeschränkte Ressourcen hatte, um ein neues Projekt zu übernehmen, habe ich aus einem Bauchgefühl heraus – nein, eher aus dem Herzen – doch zugesagt. Es war für mich ein persönlicher Beitrag aus der Ferne, eine Hilfeleistung für die Kriegsbetroffenen aus meiner Heimat. In der Situation war es unmöglich für mich, einfach tatenlos an der Seite zu stehen; mich einzubringen hat mir Kraft verliehen. Gleichzeitig war es ziemlich schwierig, die Schilderungen mit einer persönlichen Distanz anzuhören, weil auch ich große Schmerzen für mein Land, das Geschehene dort und die Zukunft spürte. Für die besonders komplexen Fälle standen mir aber Kolleg*innen mit einer kollegialen Fallberatung zur Seite, wofür ich sehr dankbar bin.
Um eine persönliche Befangenheit auszuschließen, habe ich die Förderentscheidungen an die Leitung delegiert, während ich die Sachbearbeitung, die Kostenkalkulation und die Dokumentation übernommen habe. Dabei hat meine Ukraine-Kompetenz geholfen, um unter anderem den Grad der Notlage besser zu verstehen.

Was nehmen Sie aus dem Kontakt mit den Geförderten mit?

Durch den direkten Austausch mit den Antragsteller*innen habe ich zunächst natürlich die allgemeine starke Betroffenheit der Eingereisten durch den Heimatverlust und den Verlust des Alltags in der gewohnten Form gesehen. Das hat das Ankommen und Akklimatisieren erschwert; viele sind schwer traumatisiert eingereist. Auch durch den Fonds konnten wir ihnen die Möglichkeit bieten, ihre Forschungstätigkeit an einem ruhigen Ort fortzusetzten. Einem Ort, so wurde mir gesagt, „wo das Leben noch in Ordnung“ war. Sie haben mir von ihrer Dankbarkeit dafür berichtet, nach Tagen und Wochen wieder nachts durchschlafen zu können.  

Inzwischen ist das Geld ausgegeben, es wird derzeit kein weiteres eingeworben. Soll der Fonds nun abgeschafft werden?

Ich unterstütze die Idee, dass die Struktur weiterhin erhalten bleibt, auch wenn die Mittel ausgeschöpft sind und der Fonds erstmal ruht. Ich möchte keine düsteren Prognosen abgeben und hoffe sehr, dass kein weiterer Spendenaufruf erforderlich sein wird. Dennoch leben wir in unsicheren Zeiten und es ist gut, die Struktur – bei Bedarf auch für einen anderen Förderzweck – schnell wiederbeleben zu können.
Sporadisch erreichen mich auch jetzt noch Anfragen, die ich zurückweisen muss. Ein glücklicher Umstand ist, dass wir über den Kompetenzverbund Interdisziplinäre Ukrainestudien (KIU) alternative Fördermöglichkeiten für Forschende, PhD-Studierende und Postdoktorand*innen haben. Hierhin leite ich Anfragen künftig weiter.

Interview: Frauke Adesiyan
Foto: Sebastian Pape

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