Wie trifft man Entscheidungen in scheinbar unlösbaren Konflikten? - Zweiter ViAPACS-Durchlauf endet mit dem Modul „Dilemma Management“
Der zweite Durchlauf des Zertifikatsprogramms Viadrina Applied Peace and Conflict Studies (ViAPACS) für Viadrina-Studierende ist abgeschlossen. Am 1. und 2. Oktober 2024 fand das sechste Modul zum Thema Dilemma-Management statt. Dabei sind Mitarbeitende und Studierende der Viadrina unter anderem auf Gäste des Auswärtigen Amtes und aus dem Bundestag getroffen, um aktuelle Dilemmata mit Blick etwa auf den Ukraine-Krieg und grundsätzliche Fragen der Angewandten Friedens- und Konfliktforschung zu debattieren.
Der Campus ist an diesem Dienstag ungewohnt still. Die Mensa-Stühle sind hochgestellt, die HörsäIe leer. Noch ist vorlesungsfreie Zeit, doch im Foyer des Gräfin-Dönhoff-Gebäudes sitzt eine Gruppe Studierender an einem großen Tisch und diskutiert angeregt. Nachdenklich schieben sie bunte, beschriftete Zettel über ein großes Plakat, lachen hin wieder und tauschen sich aus. Sie sind Studierende, die den zweiten Durchlauf des ViAPACS-Programms beenden und an diesem Tag über einem besonders schwerem Dilemma-Szenario brüten.
ViAPACS ist ein englischsprachiges Zertifikatsprogramm für Viadrina-Studierende aller Fakultäten, in dem sie in sechs Modulen ein breites Spektrum der Angewandten Friedens- und Konfliktforschung kennenlernen und eigene Schwerpunkte mit einbringen können. Das Programm verbindet die Einführung in grundsätzliche theoretische Fragen zum Umgang mit Konflikten mit praktischen Übungen zu Methoden der Konfliktlösung und Entscheidungsfindung. Da das Programm neben dem eigentlichen Studium absolviert wird, finden die Veranstaltungen in der vorlesungsfreien Zeit statt.
Zum letzten Modul „Dilemma Management“ kamen Anfang Oktober Vertreterinnen und Vertreter aus dem Auswärtigen Amt, der Kyjiw Mohyla Akademie und dem Bundestag sowie Mitarbeitende der Viadrina hinzu, um sich mit den Studierenden auszutauschen und praktische Beispiele zu besprechen. Dr. Anne Holper, Co-Leiterin des Center for Peace and Mediation und Wissenschaftliche Leiterin von ViAPACS, erklärt, dass es in diesem Modul um die schwierigste Art von Konflikten geht, nämlich solche, die unlösbare eigene Entscheidungskonflikte darstellen. „Es geht also nicht um Konflikte zwischen Konfliktparteien, die man mediieren kann, sondern es geht um Fälle, in denen man selbst nicht weiß, wie man weiter vorgehen kann, also um eigene Entscheidungskonflikte von politischen Akteuren, aber auch von den Studierenden selbst“, so Holper.
Dr. Tetiana Kyselova, die als Konfliktforscherin der Kyjiw Mohyla Akademie teilnahm und Fellow des Kompetenzverbundes Interdisziplinäre Ukrainestudien Frankfurt (Oder) – Berlin (KIU) ist, stellte den Studierenden am zweiten Tag des Moduls drei Dilemmata vor, in denen sich die Ukraine angesichts des russischen Angriffskrieges gerade befindet. Ein Dilemma war nicht zuletzt eng mit der Frage nach der zukünftigen Unterstützung Deutschlands verknüpft. In einer gemeinsamen Beratung wurde daher an diesem Beispiel ausgelotet, wie konkrete Lösungsoptionen auf Basis der aktuellen politischen Entwicklungen aussehen könnten.
Die Motivation der Studierenden am ViAPACS-Programm teilzunehmen, ist ganz unterschiedlich. Für den Studenten Maxwell Boamah Amofa ist der direkte Bezug zu seiner Arbeit beispielsweise wichtig: „Ich studiere International Rights and Humanitarian Law und spezialisiere mich auf bewaffnete Konflikte. Außerdem arbeite ich als Research Officer im West African Transitional Justice Centre. Dort beschäftigen wir uns damit, wie wir verschiedenen Ländern bei dem Übergang von konfliktanfälligen zu friedlichen, demokratischen Nationen helfen können. Deswegen ist es sehr wichtig für mich, an so einem Programm teilzunehmen, denn es hilft mir, die Probleme dieser Konflikte und der einzelnen Konfliktparteien zu verstehen und wie man sie tatsächlich angehen kann.“ Der European Studies-Student Sebastiano Dallabona war vor allem von der breiten Anwendbarkeit überzeugt: „Als ich das Programm entdeckt habe, war ich sofort sehr interessiert daran, weil es sich vielen Themen widmet, die in jeder Situation wichtig und nützlich sind. Konfliktmanagement, Konfliktlösung, Friedensprozesse – das spielt sowohl eine Rolle in großen geopolitischen Konflikten, an denen viele Akteure beteiligt sind, aber auch in kleineren Konflikten im Alltag. Das hat mich sehr interessiert.“
An diesem Nachmittag teilen sich die Studierenden in verschiedene Gruppen auf und besprechen unterschiedliche Dilemmata, die einen aktuellen Bezug haben. Anne Holper erklärt: „Die Ergebnisse werden danach zusammengeführt und dann schauen wir uns vor allem an, wie die Methodik, die wir hier vorstellen, funktioniert. Man kommt sonst in Dilemma-Situationen nicht so weit in der Lösung. Mit der Methodik, die wir hier im ViAPACS vermitteln, kommt man in der Regel tatsächlich weiter.“ Die Studierenden zeigen sich vor allem beeindruckt von der Vielfältigkeit und Alltagsnähe dessen, was sie lernen.
Kateryna Kiianova studiert International Business Administration. Sie findet vor allem die Praxis- und Alltagsnähe des Programmes hilfreich: „Es ging darum, wie wir Dilemmata tatsächlich lösen können. Wie kann man den Lösungsprozess angehen? Ich habe dabei vor allem gelernt, dass man den Prozess in verschiedene Schritte unterteilen muss.“ Marcin Szekiel, der ebenfalls International Business Administration studiert, sagt, dass er bei dieser letzten Sitzung gelernt hat, wie man sich zwischen zwei schlechten Optionen entscheidet. Ursprünglich kommt er aus Polen – damit ist auch seine Motivation an ViAPACS teilzunehmen verbunden: „Wir haben viele Konflikte, im Inneren und Äußeren. Wir haben einen Krieg an unserer Ostgrenze. Da war es für mich irgendwie natürlich, mehr über Konflikte und Kriege wissen zu wollen und wie man dafür tatsächlich Lösungen findet.“
Die Vielfältigkeit der Gruppe, die unterschiedlichen Blickwinkel und Lebensrealitäten der Teilnehmenden vergrößern den Erkenntnisgewinn, betont Anne Holper. Sie unterstreicht, dass all diese Perspektiven auch wirklich Platz finden und einen großen Mehrwert für das Programm haben: „In so einer bewusst klein gehaltenen Gruppe können wir es sehr gut nutzen, dass alle zwar mit ganz unterschiedlichen Herangehensweisen kommen, aber damit eben nicht konkurrieren müssen, sondern genug Platz haben, um sich die unterschiedlichen Weltsichten und auch Meinungsverschiedenheiten gemeinsam anzuschauen.“
Der nächste ViAPACS-Durchgang startet in der vorlesungsfreien Zeit des Wintersemesters 2024/25. Die Bewerbungsfrist endet am 30. November. Weitere Informationen gibt es bei einer Online-Infoveranstaltung per Zoom am 11. November um 18 Uhr oder auf der ViAPACS-Webseite.
Text: Lea Schüler
Foto.: Heide Fest