„Die großen Parteien haben sich zu sehr auf den Diskurs der AfD eingelassen“ – Analyse zur Landtagswahl mit Prof. Dr. Theresa Gessler

Frankfurt (Oder), 

Am 22. September 2024 wurde in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Die SPD wurde mit 30,9 Prozent knapper Wahlsieger vor der AfD mit 29,2 Prozent. In den Landtag schaffen es zudem noch das BSW (13,5 Prozent) und die CDU (12,1 Prozent). Kurz nach der Wahl spricht Prof. Dr. Theresa Gessler, Inhaberin der Juniorprofessur für Vergleichende Politikwissenschaft, über mögliche Koalitionen, den Umgang mit der AfD und über die ostdeutsche Perspektive auf die jüngsten Wahlen.

Theresa Gessler, mit Brandenburg wurde am Sonntag im dritten ostdeutschen Bundesland gewählt. Welche Szenarien der Regierungsbildung im Brandenburger Landtag sind realistisch?

Angesichts der Machtverhältnisse in allen drei Parlamenten wird es in Thüringen, Sachsen und Brandenburg nicht leicht, sich auf Regierungskoalitionen zu einigen. In Brandenburg würde die SPD gerne auch mit der CDU sondieren, um einen bereits bekannten Partner an Bord zu haben. Für die CDU ist eine solche Beteiligung – gerade als kleinster Partner in einer Dreierkoalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) – aber unattraktiv. Für SPD und BSW wird es andererseits auch schwer, sich auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag zu einigen. Die Vorstellungen beider Parteien liegen in einigen Bereichen weit auseinander. Außerdem waren viele der BSW-Forderungen im Wahlkampf Themen, die auf Landesebene nicht umsetzbar sind. Hier ist auch das Wahlprogramm des BSW, das „Frieden“ als ersten Bereich listet, eher unkonkret geblieben.

Portrait Theresa Gessler

Die AfD hat sich im Vergleich zu 2019 von 23,5 Prozent auf 29,2 Prozent verbessert. Wie lief die Zusammenarbeit der anderen Parteien mit der AfD im Landtag bisher und was wird sich nun voraussichtlich ändern?

In Brandenburg gibt es bereits viel Erfahrung mit der AfD im Landtag und es gab schon in der vergangenen Wahlperiode einige kleinere und größere Skandale. Was nun aber anders ist, ist die sogenannte Sperrminorität: Die AfD hält ein Drittel der Sitze, Beschlüsse mit Zweidrittelmehrheit können also nicht ohne die AfD verabschiedet werden. Das ist aber vor allem bei Verfassungsänderungen, verfrühten Neuwahlen und der Neuwahl von Verfassungsrichtern relevant. Besonders ist, dass die AfD in Brandenburg mit nur 29 % schon ein Drittel der Sitze erreicht hat – das liegt daran, dass mehrere Parteien nicht mehr im Parlament vertreten sind; hätte sich aber auch durch die Begrenzung der Überhangmandate ergeben können. 

Welche Rolle spielt bei der Zusammenarbeit das BSW?

In allen drei Landtagen wird viel davon abhängen, wie sich SPD und CDU jeweils mit dem BSW verständigen. Gerade bei einer so jungen Partei, die weder inhaltlich noch personell wirklich gefestigt ist, gibt es viel Konfliktpotenzial. Einige der neuen Parlamentsmitglieder sind auch noch neu in der Politik, das wird bei möglichen Regierungen mit dem BSW eine große Herausforderung. Das zeigt sich bereits jetzt an der Diskussion um die Rolle der Unterstützung für die Ukraine in möglichen Koalitionsvereinbarungen.

Wie schauen Sie auf den Umgang der Parteien mit der AfD im Wahlkampf?

Eine große Rolle für die Wahlentscheidung spielt, welche Themen den Wahlkampf beherrschen. Dazu tragen natürlich aktuelle gesellschaftliche Ereignisse bei, aber Parteien haben auch selbst Gestaltungsmöglichkeiten mit ihrer eigenen Kommunikation. Aus meiner Sicht haben sich die großen Parteien hier zu sehr auf den Diskurs der AfD eingelassen, der die Begrenzung von Migration in den Vordergrund gestellt hat. Das war nicht erst bei dieser Wahl so, auch für die Vergangenheit konnten wir ähnliche Effekte beobachten. Die Forschung zeigt aber, dass das Hervorheben der Themen populistischer Parteien und auch die Anpassung an ihre Positionen nicht erfolgsversprechend sind.

Medial wird bei der Betrachtung der Wahlen viel die Besonderheit der ostdeutschen Bundesländer betont. Sind die hohen Zustimmungswerte für AfD und BSW eine spezifisch ostdeutsche Entwicklung oder lassen sie sich in deutschlandweite oder auch europäische Trends zu populistischen Wahlerfolgen einordnen?

Sowohl als auch. Die Zustimmungswerte für die AfD und auch für das BSW sind in Ostdeutschland höher. Aber: Die meisten Stimmen für die AfD kommen aus Westdeutschland, wo mehr Wähler*innen leben. Man kann die AfD also nicht einfach als ostdeutsches Phänomen betrachten. Grundsätzlich nutzen wir in der Politikwissenschaft sehr ähnliche Erklärungen für das Wahlverhalten in Ost -und Westdeutschland – aber die Umstände in den ostdeutschen Bundesländern sind nach wie vor anders, was auch die Wahlerfolge populistischer Parteien erklärt. Beide Parteien, BSW und AfD, versuchen zudem viel stärker ein spezifisches Angebot „für Ostdeutschland“ zu machen. Angesichts der Unterrepräsentation von Menschen mit ostdeutscher Biographie in Führungspositionen spielt das für viele Wähler*innen eine Rolle.

An der Regierung beteiligt wird die AfD voraussichtlich weder in Sachsen und Thüringen, noch in Brandenburg. Wie kann es gelingen, nicht für noch mehr Enttäuschung über „die Politik“ zu sorgen?

Letztlich werden die Regierungsparteien daran gemessen, was sie in den nächsten Jahren bewirken können. Es gilt also nicht einfach eine Koalition gegen die AfD zu schmieden, sondern Bündnisse zu finden, die auch für etwas stehen. Dabei ist es wichtig, sich nicht einfach von der AfD vor sich her treiben zu lassen und ihre Politik zu übernehmen, sondern dem eine positive Vorstellung unserer Gesellschaft und Zukunft entgegenzustellen.

Frauke Adesiyan


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