Medieninformation Nr. 57-2022

vom 22. April 2022

„Er war ein ‚kritischer Theoretiker‘“ – Europa-Universität Viadrina trauert um Prof. Dr. Dariusz Aleksandrowicz  

Die Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) trauert um Prof. Dr. Dariusz Aleksandrowicz, der am 11. April 2022 verstorben ist. Von 1993 bis 2015 hatte Aleksandrowicz den Lehrstuhl für Philosophische Grundlagen der kulturwissenschaftlichen Analyse an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät inne.

Ein Nachruf von Prof. Dr. Harald Weydt, dem ersten Dekan der Kulturwissenschaftlichen Fakultät.

„Am 11. April 2022 ist unser Kollege Dariusz Aleksandrowicz gestorben. Mit ihm verlässt uns ein Viadrina-Kulturwissenschaftler der ersten Stunde. Alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die bereits einen Ruf an die noch zu gründende Kulturwissenschaftliche Fakultät erhalten hatten – eine interessante Gruppe von Individuen aus verschiedenen Fächern, aus den USA, aus Polen, aus Finnland und aus den beiden Teilen Deutschlands, die gerade begannen, sich an einander zu gewöhnen –, hatten zuvor ein Wochenende in einem Heim in Briesen bei Frankfurt verbracht und dort gemeinsam die interdisziplinäre und interkulturelle Konzeption der künftigen Kulturwissenschaftlichen Fakultät entworfen, diskutiert und modelliert. Ich teilte mit Dariusz Aleksandrowicz ein spartanisches Doppelzimmer und war von da an gut mit ihm bekannt.  

Seine Antrittsvorlesung thematisierte die Berliner Mauer und ihre Übermalungen. Er war damals und auch später im Gefüge der Kulturwissenschaften nicht in einer der größeren Gruppen vernetzt, wie etwa in der der Historiker oder der Literatur- und Sprachwissenschaft; vielmehr stellte er als Philosoph eine scharfsinnige, eigenständige und oft kritische Ergänzung dar. So beteiligte er sich in Wort und Schrift an der Debatte über Sinn und Inhalt der Kulturwissenschaften, säte und erntete Widerspruch. Überhaupt halte ich seine strenge und in der Sache unbestechliche Haltung zu vielen Varianten des wissenschaftlichen Mainstreams für einen bedeutenden und vielleicht den bezeichnendsten Zug seiner wissenschaftlichen Arbeit. Und sie war eminent wichtig für die Studierenden. 

Wenn ich an Dariusz Aleksandrowicz denke, fallen mir nicht nur seine wissenschaftlichen und beruflichen Leistungen ein: Ich habe auch andere Seiten kennen gelernt. Wir haben lange über den Beruf des Tierarztes gesprochen. Seine Tochter wollte Veterinärmedizin studieren. Ich kannte mich in dem Bereich aus, und habe ihn mit ihm, und dann mit ihr, lange erörtert.

Dariusz saß auf unserer Reise nach Breslau (Wrocław) am Steuer des Ruder-Mannschaftsbusses der Viadrina (die Mannschaft war verstärkt durch Ruderer des Frankfurter Ruderclubs und Berliner Ruderer). Damals war ein galgenhumoriger Spruch verbreitet: „In Berlin verdrängen die habilitierten Taxifahrer allmählich die promovierten.“ Wir witzelten, dass bei uns schon Lehrstuhlinhaber fahren mussten. In der Tat durfte der Uni-Bus aus Versicherungsgründen nur von Beschäftigten der Viadrina gefahren werden. Ich selber hatte an den Trainingsfahrten aktiv teilgenommen, bin dann aber in Breslau die Vor- und Zwischenläufe und den Endlauf nicht mitgerudert (war immerhin schon um die 60 Jahre alt). Aber die Kulturwissenschaftliche Fakultät war gut vertreten: am Schlag des Achters saß Michał Czapara, Philosoph und Assistent bei Aleksandrowicz, am Steuer eine Kuwi-Studentin namens Dagna Wilniewicz, inzwischen promoviert und als Dr. Dagna Zinkhahn Rhobodes Akademische Mitarbeiterin im Projekt „Linking Borderlands“ an der Viadrina. Und wie gesagt, den Mannschaftsbus lenkte der Philosophieprofessor Aleksandrowicz. 

Zurück zur Philosophie: Wenn ich es richtig übersehe, waren vor allem die Religion(en), die politischen Ideologien (und ihre Freunde und Feinde) sowie die Kultur die Gegenstände seines philosophischen Denkens; wichtige Autoren: Hegel, Lukács, Popper. Beim Versuch, sein Denken in weiten Horizonten auf einen einzigen Begriff zu reduzieren, fällt mir nur ein: Er war ein „kritischer Theoretiker“. 

Überall in seinen Schriften findet der aufmerksame Leser Bezüge zu seiner eigenen politischen Gegenwart. Das wäre auch heute so: Wie gerne hätte ich aus seinem Mund oder aus seiner Feder eine Analyse der augenblicklichen Situation in der Ukraine bekommen! Ich bin sicher, ich hätte sie ernst genommen, und sie hätte mich bereichert. 

Nun ist Dariusz Aleksandrowicz verstummt. Er fehlt uns sehr. 
,Sit tibi terra levis!‘“  

Prof. Dr. Harald Weydt, erster Dekan der Kulturwissenschaftlichen Fakultät und ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls „Deskriptive Linguistik und interlinguale Soziolinguistik“ an der Europa-Universität Viadrina


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