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Deutsch - polnisch - russisches
wissenschaftliches Kooperationsprojekt

Bericht zur 3. Konferenz in Kaliningrad 2012

Bericht von Karl-Konrad Tschäpe (Europa-Universität Viadrina Frankfurt/ Oder), karltschaepe@yahoo.de

 

Zu der vom Auswärtigen Amt und vom DAAD großzügig unterstützten dritten Konferenz des deutsch-polnisch-russischen wissenschaftlichen Kooperationsprojekts „Trialog“, die in diesem Jahr in der Baltischen Föderalen Kant-Universität Kaliningrad einen freigiebigen Gastgeber fand, kamen Teilnehmer aus verschiedenen Orten Deutschlands, Österreichs, Polens und Russlands zusammen, um Probleme des historischen Gedächtnisses für einen Raum zu beschreiben, dessen Durchquerung, etwa bei einer viele Stunden währenden Busreise, allein Stoff zu Beobachtungen und Diskussionen geben kann: Die Veränderungen der Infrastrukturen in Polen im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft etwa, die spürbaren wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen in Polen und im Kaliningrader Gebiet, der für viele schon nicht mehr selbstverständliche, mit dem Besitz eines Reisepasses verbundene Grenzübertritt am Rande der Europäischen Union oder die Fahrt entlang von zahllosen Kulturdenkmälern und Erinnerungsorten wie etwa Gnesen, Marienburg, Thorn oder Elbing. Einen solchen Raum mit dem Bus zu durchqueren, führt die Größe des Unternehmens schnell vor Augen, Problemen „des“ historischen Gedächtnisses zwischen Oder und Neman nachzuspüren, das aus trinationaler Perspektive durch eine überreiche Geschichte gekennzeichnet ist, geprägt von Brüchen, Innovationen, brutalen Umwälzungen, kulturellem Neubeginn und einem gemeinsamen europäischen Erbe. Scheint dies schon anhand der Fülle bedeutender Orte, Landschaften und regionaler Geschichten ein kaum zu ermessendes Unterfangen, so kristallisierten sich während der Konferenz trotz ihres dazu interdisziplinären Ansatzes doch schnell Fragen heraus, um die sich die Referate in ihrer Verschiedenheit klar gruppieren lassen. Solche Fragen wären beispielsweise: Wie materialisiert sich Erinnerung? Wie materialisiert sich Empfinden? Was bewirkt materialisierte Erinnerung, die aber nicht immer widerspruchslos als „die Eigene“ angenommen werden kann? Wie manifestiert sich überhaupt „Eigenes“ und „Fremdes“ bzw. „Fernes“ (Irina Belinceva) an einem Ort und in der Zeit – und wie sind diese Termini aus einer kulturübergreifenden Perspektive überhaupt zu fassen? Was bedeutet Wandel der Erinnerung anhand der scheinbaren Kontinuität der historischen Artefakte aus verschiedenen Epochen und Kulturen? Wie verständigt man sich kulturübergreifend zu diesen Themen – und über welche Medien?

Es ist das Verdienst des deutsch-polnisch-russischen wissenschaftlichen Kooperationsprojekts „Trialog“, Wissenschaftler vor allem aus den genannten drei Ländern zu interdisziplinären Konferenzen zusammenzubringen, bei denen die Horizonterweiterung nicht nur aus wissenschaftlicher, sondern auch aus kultureller und „kulturpraktischer“ Sicht programmatisch ist. Der Blick auf Spezialprobleme ist dabei durchaus Türöffner zu Fragen, die in einem über Fachgrenzen hinaus gehenden Rahmen besprochen werden können und sollten. Für eine trinationale Diskussion über das „historische Gedächtnis zwischen Oder und Neman“ ist diese Konferenz jedoch vor allem ein erster und sehr wichtiger Schritt, dem hoffentlich weiterer Austausch folgen wird.


In seinem eröffnenden Vortrag diskutierte VALERIJ GAL’CEV die im sogenannten Ru-Net, also auf russischsprachigen Internetseiten, zugänglichen Informationen zur Geschichte Kaliningrads und des Kaliningrader Gebiets. Diese wurden im Rahmen des Vortrags systematisiert und die Zuverlässigkeit, Provenienz, der Funktionsrahmen, innerhalb dessen diese Informationen zugänglich gemacht werden, sowie ihre Fähigkeit zur Identitätsstiftung kritisch hinterfragt.

MARINA ŠENDERJUK problematisierte in ihrem Vortrag die regionale Identität des Kaliningrader Gebiets, also das Empfinden der Zugehörigkeit zu einer Region mit einem europäischen und sowjetischen Erbe. Identität wurde dabei einerseits als etwas begriffen, das als Prozess stetem Wandel ausgesetzt ist, wobei es andererseits eben die „Ergebnisse“ dieses Prozesses sind – etwa in Umfragen –, die für das Messen von Identität herangezogen werden müssen.

  • In der ersten Sektion der Konferenz zu den „Problemen des historischen Gedächtnisses“ setzte sich  IL’JA DEMENT’EV in seinem Vortrag zunächst kritisch mit Erinnerungsorten auseinander, deren Theorie sich russische Historiker bisher allerdings kaum zueigen gemacht hätten, und versuchte dann eine Systematisierung dieser „Lieux de mémoire“ des Kaliningrader Gebiets, auf dem sowjetisches und deutsches Erbe auf einmalige Weise einander begegnen. Als interessantes Phänomen wurde dabei eine sich zunehmend abzeichnende Wertschätzung der preußischen Königin Luise im Kaliningrader Gebiet gewürdigt, die auch in den folgenden Diskussionen und Vorträgen immer wieder Erwähnung fand.
  • YVONNE PÖRZGEN setzte sich mit dem Konzept der Gedächtnisorte auseinander, das ursprünglich aus der Angst vor der Auflösung der Nation entstanden sei und einer Kultur entstamme, in der Nation als eine Art Religionsersatz fungierte. Besonderes Augenmerk wurde aus dieser Perspektive Ritualen gewidmet, wie sie in der Sowjetunion und Russland etwa zum „Tag des Sieges über den Hitlerfaschismus“ am 9. Mai begangen werden. Demonstriert wurde dabei, welche Wandlungen sich in der Begehung dieses Tages verzeichnen lassen, welche Ereignisse ausgeblendet, welche erinnert werden – was schließlich in der Frage mündete, ob die Übertragung der etablierten Gedenkrituale im Zusammenhang mit dem Sieg von 1945 auf die postsowjetische Gesellschaft ohne Widersprüche möglich sei.
  • Der Vortrag von PIOTR ZARICZNY war der Frage nach dem historischen Gedächtnis und dessen Rolle in postmodernen Gesellschaften gewidmet, wo es bedeutenden Einflüssen von Wirtschaft und Politik ausgesetzt ist. Am Beispiel der deutschen „Qualitätspresse“ konnte Zariczny einen Wandel der Gedächtnisbilder im Zuge des Beitritts Polens zur Europäischen Union nachweisen und kam so zu dem Schluss, dass der Einfluss von Diplomatie, PR, Tagespolitik und Wirtschaftsinteressen in den Medien auch im Zeitalter der digitalen Berichterstattung mehr denn je von Bedeutung für die Herausbildung stereotyper Bilder und damit für gegenseitige Wahrnehmung ist.
  • In der zweiten Sektion, welche dem „Kollektiven Gedächtnis und der regionalen Identität“ gewidmet war, spürte ROLAND CERNY-WERNER in seinem Vortrag Kirchengrenzen als Zankapfel und identitätsstiftende Symbole nach. Gezeigt wurde, wie sich die Veränderung politischer Grenzen trotz der Kontinuität in der (von der polnischen und deutschen Nation unabhängigen) Konfession nach und nach auf innerkirchliche Grenzen auswirkte und diese ebenfalls modifizierte, welche komplizierten diplomatischen, politischen, aber auch seelsorgerischen Verwicklungen und Schwierigkeiten mit diesem Prozess verbunden waren.
  • BEATA LAKEBERG untersuchte in ihrem Vortrag den „Schlesischen Heimatkalender“. Kritisch setzte sie sie sich mit der tendenziösen Sicht auseinander, welche über diesen Almanach verbreitet wurde, indem dort etwa die vormals multikulturelle Zusammensetzung Schlesiens, die Zugehörigkeit der Region zu Polen, Böhmen und Österreich oder die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs – abgesehen von Flucht und Vertreibung der Deutschen – zugunsten einer romantisierenden Sicht auf die alte Heimat ausgeblendet wurden.
  • Nicht weniger kritisch ging KATARZYNA WONIAK am Beispiel der Städte Łobez / Złotów polnischen Erinnerungsmythen im Zusammenhang mit der Rhetorik von den „Wiedergewonnenen Gebieten“ und damit verbundenen Feiern auf regionaler Ebene nach. Bei aller Widersprüchlichkeit in der Genese dieser Rituale und der inhaltlichen Ausrichtung des Gedenkens zeige die Popularität der jährlichen Feiern und Rituale, dass diese für die regionale Erinnerungskultur von großer Wichtigkeit waren und sind.
  • OLGA KURILO fragte nach der speziellen Identität des Samlands in Geschichte und Gegenwart, vor allem anhand von Medien wie Reiseführern, Postkarten oder narrativen Quellen. Traditionell waren für die Identität des Samlands Wirtschaftsbereiche wie Bernsteingewinnung und Fischereiwesen sowie Natur und Bädertourismus identitätsstiftend – über die Brüche der Zeit hinweg werden diese Traditionslinien erstaunlicherweise teilweise offenbar bis in die Gegenwart fortgesetzt, allerdings werden sie heute über andere Medien transportiert und in einem anderen kulturellen Umfeld kommuniziert.
  • Die Toponymik von Orten und geographischen Bezeichnungen des Kaliningrader Gebiets war Gegenstand des Referats von PAVEL POLCH. Dabei wies er darauf hin, dass die nicht selten auch mehrmalige Veränderung von Ortsnamen in der Sowjetunion generell keine Seltenheit war. Im Bereich des Kaliningrader Gebiets erfolgten Namensänderungen häufig nach kurzfristiger Entscheidung und eher zufälligen Kriterien. Andererseits wurde dem Referenten zufolge bei der Vergabe dieser Namen häufig vor allem auf Wohlklang geachtet. Diskutiert wurde die Frage, wieweit die ständig präsente Möglichkeit der Veränderung von Ortsnamen und anderen geographischen Bezeichnungen auch die Identität der Bewohner beeinflussen konnte.
  • In der dritten Sektion „Mythen, Stereotype und Symbole im Kontext des historischen Gedächtnisses“ untersuchte PATRYK WAWRZYŃSKI in seinem Vortrag die Präsenz der Gedächtnispolitik in der Außenpolitik Polens des 21. Jahrhunderts, wobei der Schwerpunkt des Referats auf dem Übergang Polens aus dem Ostblock in den Westblock lag. Dieser sei mit größeren Schwierigkeiten verbunden gewesen, als zunächst vermutet, wofür der Referent u.a. Polens nicht immer eindeutige Identifizierung mit der „westlichen Welt“, einen Widerspruch zwischen lokalen und offiziellen Gedächtnissen und schließlich die Praxis, unangenehme Episoden der Geschichte aus der offiziellen Kommunikation zu verbannen, verantwortlich machte.
  • Deutsche und sowjetische Feind-Typologien auf Propagandabildern des Zweiten Weltkriegs standen im Vordergrund des Vortrags von KARL-KONRAD TSCHÄPE, der auf deutscher Seite den Typus des „Jüdischen Kommissars“ und auf sowjetischer Seite den Typus des „zachvatčiks“, also des „Eindringlings“, herausarbeitete und schließlich versuchte, die Vergleichsmöglichkeiten solcher Bild-Typen als „innere Bilder“ auszuloten und sie in die Gewaltgeschichte des Zweiten Weltkriegs einzuordnen.
  • LARISSA GAVRILINA ging Symbolen in der Struktur des ‚Kaliningrader Textes’ nach, wobei sie Symbole einerseits als Grundlage für neue Erkenntnis und anderseits als „Wurzeln des Unterbewussten“, also als etwas emotional stark Aufgeladenes, beschrieb. Als mit dem Kaliningrader Gebiet verbundene Symbole standen im Vordergrund des Referats vor allem Wappen und Entwürfe zu einer Hymne für das Kaliningrader Gebiet sowie die Frage, welche Persönlichkeiten, Kunstwerke, Themen, Bilder in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit als identitätsstiftend für die Region gelten könnten.
  • Die vierte Sektion „Denkmale und Architektur als Erinnerungsorte und kulturelles Erbe“ eröffnete HANS-CHRISTIAN PUST, der für seinen Vortrag das Thema der „Nagelungsdenkmäler“ gewählt hatte. Dies waren hölzerne Denkmäler, die in der Zeit des Ersten Weltkriegs von der Öffentlichkeit mit zu Verkauf stehenden Nägeln, Plaketten und ähnlichem verziert wurden und mit deren Hilfe auf diese Weise vordergründig Geld zur Unterstützung des Krieges eingeworben wurde. Untersucht wurden in diesem Zusammenhang Typen, Rituale, Funktionen, Formen und die propagandistische Wirkung einer einst weit verbreiteten Denkmalskultur, die heute weitgehend aus dem Gedächtnis verschwunden ist.
  • Für Kriegsgedenkstätten und Friedhöfe interessierte sich GENNADIJ KRETININ in seinem Referat. Dabei versuchte er, diese zu systematisieren und fragte nach den Bedingungen, die es ermöglichten, gewisse Traditionslinien nach 1945 beizubehalten und nach den Gründen, warum andere Traditionslinien nach der sowjetischen Besetzung des Königsberger Gebiets unterbrochen wurden. Letzteres Schicksal sei vor allem Gedenkstätten und Friedhöfen beschieden gewesen, die es nicht geschafft hätten, in das sowjetische und russische kulturelle Gedächtnis einzugehen und daher verfielen bzw. vernichtet wurden.
  • Ganz in diesem Sinne untersuchte DOMINIKA CZARNECKA sowjetische Denkmäler und Friedhöfe in Polen, denen die polnische Bevölkerung meist negativ gegenüber gestanden habe. Während Denkmäler auf Friedhöfen aus Gründen der Pietät Akzeptanz oder Duldung finden konnten, wurden die meist in den nach 1945 zu Polen gekommenen polnischen Gebieten befindlichen sowjetischen Denkmäler seit den achtziger Jahren bis heute oftmals abgetragen, auch wenn diese Abrisspraxis in der Bevölkerung nicht unumstritten ist und gelegentlich zu Protesten führt.
  • IRINA BELINCEVA kam in ihrem Vortrag auf das „Fremde“, „Eigene“ und „Ferne“ in der Architektur des Kaliningrader Gebiets zu sprechen. Unter der Rubrik des „Fremden“ und „Fernen“ wurde hier vor allem das deutsche Erbe besprochen, dem in der Sowjetunion zunächst widersprüchlich begegnet wurde: Deutsche Architektur, die, etwa in neogotischen Formen, die Architektursprache der Deutschen Ritterorden wieder aufgenommen hatte, wurde hier mit Militarismus und „deutschem Wesen“ in Verbindung gebracht und stand aus diesen Gründen nicht selten auf den Abrisslisten. Andererseits konnten solche Denkmäler gerade als „warnendes Beispiel“ oder in Kontrast zur neuen sowjetischen Architektur bestehen bleiben, wie etwa die Ruine des alten Königsberger „Doms“. Entsprechend war das Kaliningrader Gebiet Experimentierplatz für Stadtplanung und  für den Umgang mit überkommenen Traditionen einerseits und andererseits der Ort des Aufeinanderstoßens von Formen, die als einander feindlich wahrgenommen wurden und die es zu überwinden galt.
  • In der fünften und letzten Sektion der Konferenz, welche sich dem „Historischen Gedächtnis in Erinnerungen, Musik, Lyrik und Gesprächen“ widmete, stellte JURIJ KOSTJAŠOV in seinem Referat historische Reiseberichte russischer Reisender über Ostpreußen vor. Zahlreiches Quellenmaterial spiegelt recht widersprüchliche Eindrücke über diese Region wider, es finden sich Tagebücher, in denen mit größter Abfälligkeit und Missfallen berichtet wird, demgegenüber finden sich gelegentlich Schilderungen eines ostpreußischen Paradieses. Oftmals werde gerade in diesem Zusammenhang die Frage gestellt: „Warum leben wir (Russen) schlechter als die anderen?“. Die Widersprüchlichkeit des Materials führt Kostjašov zu der Vermutung, dass sich diese Reiseberichte vor allem als Zeugnis für ein „Nachdenken über Russland nach einem Besuch in Ostpreußen“ lesen lassen.
  • Die Emigration von außerhalb der Russländischen Föderation lebenden Russen in die Region Kaliningrad untersuchte LARISA EMEL’JANOVA in ihrem Vortrag „Bewohner des Kaliningrader Gebiets: ihr historisches Gedächtnis und ihre neue Heimat“. Von insgesamt 50.000 Einwanderern in die Russländische Föderation kamen etwa 10.000 seit 2006 vor allem aus Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan und der Ukraine in einen vergleichbar kleinen Teil des Landes, das somit einen  einen Großteil der Einwanderer aufzufangen scheint. Diese hat Larisa Emel’janova zu einem Teil interviewt und dabei eine Antwort auf die Frage gesucht, inwieweit sich diese Einwanderer als russische Staatsbürger (sootečestvenniki) fühlen, welche historischen Erinnerungen sie mit der Region verbinden, aus der sie ausgewandert sind und wie sich diese Erinnerungen wiederum bei der Integration in die neue Heimat auswirken.
  • Der Bedeutung des Rhythmus in der polnischen Lyrik für das polnische historische Gedächtnis ging MICHAŁ MRUGALSKI nach. Dabei untersuchte er Sprache als Feld der Inszenierung von Ideen, des Theatralischen, der Selbstempfindung und –darstellung und letztlich der Freiheit, die im Rhythmus begründet liege. 
  • Der Vortrag von MICHAEL RUNOWSKI schließlich verglich musikalisches Gedenken an Krieg und Gewaltherrschaft in Polen und Deutschland an zwei ausgesuchten Kompositionen für Orgel von Volker Bräutigam und Jan Pancas, die beide auf bereits bestehende Traditionen der Trauermusik (Bach, Orłowski) auf teilweise subtile Weise zurückgreifen. Dabei sieht Runowski die bemerkenswerte Verbindung von politischem Auftragswerk, Aufführungsort und Verwendung eines „sakral konnotierten“ Instruments, der Orgel, in seinem Vortrag durchaus kritisch im Sinne einer möglichen Vereinnahmung dieses Instruments bzw. von Musik durch das Politische. Andererseits räumt er der Kirchen- und Orgelmusik auch in Zukunft eine bedeutende Rolle für den musikalischen Ausdruck von Trauer ein.

 

In den abschließenden Diskussionen wurden die verschiedenen Facetten eines nicht nur in Bezug auf das Kaliningrader Gebiet im Wandel befindlichen historischen Gedächtnisses besprochen. Scheint ein solcher Wandel für überkommene Rituale (z.B. aus sozialistischen Zeiten) und geistige Traditionen allgemein nachvollziehbar und in gewissen Grenzen „machbar“ zu sein, gilt dies nicht in gleichem Maße für materielles Erbe, dessen Formensprache bis heute als „fremd“ oder „fern“ angesprochen werden kann. Doch auch hier kommt es vielleicht nur auf die Suche nach Traditionen an, die dem eigenen Zeitgeist entsprechen, wie etwa die allgemein positive Einstellung gegenüber einem möglichen Denkmal für Königin Luise gezeigt hat.

Ein Ausflug nach Arnau (heute Teil Kaliningrads), Černjachovsk (Insterburg), Gusev (Gumbinnen) und in das Seebad Svetlogorsk (Rauschen) führte in guter Tradition der Trialog-Konferenzen den Teilnehmern vor Augen, dass unsere Vorstellungen nicht in Konferenzsälen geprägt werden, sondern eine Suche vor Ort zum Ausgangspunkt haben. Anlass für eine solche Suche gibt es zwischen Oder und Neman mehr als genug.