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Fabien Théofilakis mag die Position des Außenseiters. Schon sein anfängliches Interesse für die deutsche Sprache hatte mit dem Gefühl zu tun, etwas ganz Eigenes zu haben. „Niemand in meiner Familie konnte Deutsch, das war mein eigener Garten“, sagt er über die damalige Entscheidung. Er lernte Deutsch an seiner Pariser Schule, studierte Germanistik, wurde schließlich Gymnasiallehrer in München, bevor er seine Doktorarbeit schrieb und seither im Wissenschaftsbetrieb arbeitet.
Möchte mit seinem französischen Blick die Debatten erweitern: Dr. Fabien Théofilakis bei einem seiner zwei Lehrangebote an der Viadrina im Wintersemester 2022/23.
Die Position des Außenstehenden half ihm bei seinen Recherchen für die Promotion, für die er rund 80 frühere Soldaten in ganz Deutschland interviewte, die einst in französischer Kriegsgefangenschaft waren und ihn nun in ihre Wohnzimmer einluden. Und sie war auch hilfreich bei seiner späteren Forschungsarbeit über den einstigen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann und dessen umfangreiche Notizen während des Prozesses gegen ihn in Jerusalem 1961. Es handelt sich um viele Tausend per Hand beschriebene Seiten, die schon seit Jahrzehnten im Bundesarchiv zugänglich sind. Fast niemand habe sich vor ihm dafür interessiert. „Vielleicht konnte das nur ein Franzose machen; als Deutscher ist es wohl kompliziert zu rechtfertigen, warum man einem deutschen Täter so viel Aufmerksamkeit schenkt“, vermutet er.
Über den Eichmann-Prozess hat Théofilakis im Wintersemester 2022/23 ein Seminar an der Viadrina gegeben und auch das zweite Lehrangebot beschäftigt sich mit den Verbrechen der Nationalsozialisten. In einem gemeinsamen Seminar mit seiner Heimatuniversität, der Université 1 Paris Panthéon Sorbonne, betrachtet er den Völkermord an den europäischen Juden im Vergleich mit dem Genozid an den Tutsi im ostafrikanischen Ruanda. „Ich sehe das als Asymmetrie-Vergleich, der nichts mit Bagatellisierung zu tun hat. Wenn die Shoah-Forschung nur unter sich bleibt, steckt sie irgendwann in der Sackgasse“, so seine Überzeugung. Auch wenn die Völkermorde sehr unterschiedlich seien, könne man sie dennoch vergleichend betrachten und so auf neue Fragestellungen kommen. „Zum Beispiel spielte bei dem Genozid in Ruanda 1994 die Nachbarschaft eine große Rolle. Die Frage, inwieweit mein Bruder, mein Nachbar oder mein bester Freund zum Mörder werden kann, hilft uns auch besser zu verstehen, warum der Holocaust in Osteuropa so effizient war“, so Théofilakis. Hinzu komme die Notwendigkeit auch bei historischen Fragestellungen, den Blick über Europa hinaus zu öffnen. „Auch bei mir selbst habe ich einen eurozentristischen, rassistischen Blick auf den Genozid in Ruanda festgestellt. Wir müssen lernen, dass Europa nur einer der Hauptakteure ist und die europäische nur eine Perspektive. Das ist auch für mich eine Herausforderung“, gibt er zu.
Der Lehrveranstaltung über die Shoah und den Genozid an den Tutsi im Viadrina-Seminarraum folgen per Videokonferenz auch Studierende in Paris.
Diese Eröffnung neuer Perspektiven sieht Théofilakis als einen seiner Aufträge in Deutschland. Nach zwei Jahren am Berliner Centre Marc Bloch wollte er gern in Deutschland bleiben und nahm die Möglichkeit der Gastprofessur an der Viadrina an – auch, um weiter in der Position des Außenseiters zu bleiben. „Ich habe mir die Frage gestellt: Was kann ich den Studierenden beibringen? Ich fühle mich hier nützlicher als in Frankreich, wo ich einer von vielen bin. Hier kann ich mit meinem französischen Blick die Debatte ein bisschen erweitern.“ Hinzu komme sein Bedürfnis, die deutsch-französischen Beziehungen zu verbessern. Als einen kleinen Beitrag dazu sieht er das – bisher virtuell – gemeinsame Seminar mit den Pariser Studierenden, das im Juli in einer gemeinsamen Studienreise ins ruandische Kigali münden soll. Er erhofft sich davon eine „Gefühlserfahrung“ nach der theoretischen Beschäftigung: „Die Studierenden sind vielleicht keine zukünftigen Historikerinnen und Historiker, aber sie sind Bürgerinnen und Bürger und sollten daher sehen, welche Lehren wir für heute und morgen aus der Vergangenheit ziehen können.“ Die deutsch-französische Kooperation spiele für ihn dabei eine besondere Rolle: „Es geht darum, den Standpunkt des anderen zu berücksichtigen und nicht immer nur unter sich zu arbeiten – wenn wir das nicht tun, hat all die Mühe keinen Sinn.“
(FA; Fotos: Heide Fest)
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