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Herr Lahusen, Ihr Forschungsprojekt trägt den Titel „Recht ohne Recht“. Was steckt dahinter?
Mit dem Titel wollte ich aufgreifen, dass man bei der Restitution einerseits eine klare juristische Semantik verwendet, auf deren Grundlage jahrzehntelang bis in die 1960er-Jahre und noch einmal nach dem Ende der DDR einklagbare Ansprüche existierten. Dies geht zurück auf ein alliiertes Militärregierungsgesetz von 1947. Andererseits verweigert man dieser Semantik in der Gegenwart die Existenz als Recht. In allen Dokumenten, etwa in der sogenannten Handreichung der Bundesregierung, die den Umgang mit Raubkunst regelt, steht immer oben drüber: Dies ist kein juristisches Dokument, dies ist unverbindlich und soll auf keinen Fall zu gerichtlichen Ansprüchen führen. In meinem Projekt tue ich jetzt einfach so, als wäre das Recht. Ich glaube tatsächlich, dass es mittlerweile eine so belastbare Praxis dazu gibt, dass man nicht mehr von Unverbindlichkeit sprechen kann.
Als Ergebnis Ihres Projektes wollen Sie einen juristischen Kommentar zur Handreichung der Bundesregierung erarbeiten. Welchen Nutzen erhoffen Sie sich davon?
Wir wollen den Stand der Dinge aufarbeiten und einen juristischen Gebrauchstext verfassen. Es gibt ungezählte Zweifelsfragen, etwa, wer unter den Verfolgten-Begriff gefasst wird – beispielsweise auch die sogenannte arische Ehefrau? Und was ist eigentlich Kulturgut? Bei einem Picasso ist das klar, aber was ist mit einem alten Radio oder einem Biedermeier-Schrank? Auch die Frage, was „NS-verfolgungsbedingt entzogen“ heißt, ist sehr komplex. Der Kommentar soll einen ganz praktischen Nutzen haben, denn im Moment beginnt fast jedes Restitutionsverfahren bei null. Alle tun so, als wäre jeder Fall der erste Fall. Insofern ist eines der Ziele des Kommentars, diesem Rechtsgebiet, das sich weigert, ein Rechtsgebiet zu sein, ein rechtliches Dasein einzuschreiben.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass es aktuell keine Gesetze in diesem Gebiet gibt?
Ich weiß nicht, ob es eine politische Fehleinschätzung ist, die dahintersteckt, oder eine politische Strategie. Deutschland ist in den 1990er-Jahren ahnungslos in das Thema hineingeschlittert – in dem vollständigen Irrglauben, dass nicht Deutschland auf Raubkunst sitzt, sondern dass die anderen Länder auf deutscher Kunst sitzen, die sie wieder zurückgeben müssen. Es gab aber gleichzeitig die Sorge, dass es zu Klagen kommt und die Museen leergeräumt werden. Deshalb hält man das heute immer auf der Ebene des Einzelfalles; es gibt keine Regeln, keine Normen, nichts Einklagbares, keine Institution. Denn sobald man Regeln hat, erzeugt man eine Regelmäßigkeit und eine Verwaltungspraxis, auf die man sich berufen kann. Das erscheint wie eine Strategie: Man beschäftigt sich nur dann gern mit der Vergangenheit, wenn für die Gegenwart nichts daraus folgt.
Die Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft (EVZ) fördert Ihr Projekt mit 600.000 Euro. Wofür verwenden Sie das Geld?
Diese Finanzierung ist ein großes Glück. Ich bestreite daraus vor allem die Personalkosten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir sind ein Team mit Expertinnen und Experten aus der Rechts-, Wirtschafts- und Kunstgeschichte. Neben dem Kommentar sind weitere Komponenten geplant. Unsere Erkenntnisse sollen etwa in die Hochschullehre und in Weiterbildungsprogramme einfließen.
Sie planen auch öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen zu dem Thema; am 4. Juli kommt Max Czollek mit seinem Buch „Versöhnungstheater“ an die Viadrina. Wie passt er in das Projekt?
Max Czollek soll uns den Spiegel vorhalten. Dieses ganze Feld ist historisch sehr belastet, durchsetzt von Angst, und über allem schwebt das schreckliche Wort der Wiedergutmachung. Man kommt immer wieder auf die Frage zurück: Für wen macht man das eigentlich? Für den deutschen Staat ist die Restitution immer eine Verlustgeschichte – so lautet die Narration. Da ist etwas, das der Öffentlichkeit gehört, dem Volk, der Allgemeinheit und dann kommt irgendeiner, der nimmt es einem weg. Auf dieses Verlustnarrativ wird das der Wiedergutmachung gesetzt und dass man seiner historischen Verantwortung gerecht wird. Aber wieso glaubt man daran, dass man irgendetwas wieder gut macht, wenn man ein Kunstwerk aus einem Museum zurückgibt? Ich habe häufig den Eindruck, dass die einzigen Adressaten der sogenannten Wiedergutmachung wir selber sind, um unseren Stolz als selbsternannte Aufarbeitungsweltmeister weiter bedienen zu können. Um das einmal aus einer anderen Perspektive betrachten zu können, fand ich Max Czollek mit seinem Buch „Versöhnungstheater“ sehr passend. Vielleicht ist die wichtigste Funktion von Restitutionsfällen, dass sie einen dazu zwingen, sich immer wieder mit dem vergangenen Unrecht auseinanderzusetzen. Das gibt dem „Theater“ noch einmal eine andere Komponente.
Vor Ihrer Zeit an der Viadrina haben Sie die Geschäftsstelle der Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts geleitet. Welche Erfahrungen haben Sie selbst dabei mit Restitutionsfällen gemacht?
Ich habe sehr oft erlebt, dass jüdische Anspruchsteller kommen und der deutsche Staat sofort in die Verteidigung geht, bis hin zur Beauftragung von Anwaltskanzleien. Man mobilisiert öffentliche Gelder, um den öffentlichen Kunstschatz zu verteidigen gegen die, die von außen kommen. Einige versuchen seit 15, 20 Jahren, Kunstwerke zurückzubekommen, die unstreitig im Besitz ihrer Vorfahren waren, die auch unstreitig entzogen wurden und nun von deutscher öffentlicher Hand wegen haarsträubender Gründe zurückgehalten werden. Wenn das ganze Setting so kämpferisch und agonal aufgezogen wird, dann kann man am Ende aber nur verlieren. Auch eine Restitution wird dann nicht mehr als Geste der Versöhnung wahrgenommen. Wenn es gelingt, den Rahmen etwas stärker zu verrechtlichen, kann das zwar zu mehr Restitutionen führen. Aber davon haben am Ende möglicherweise alle etwas.
Interview: Frauke Adesiyan
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