Von der Saar bis zur Oder – Sprachwissenschaftlerinnen erforschen grenzüberschreitende Ausbildung an der Grenze zu Frankreich und Polen

Seit zwei Jahren erforscht das Verbundprojekt „Linking Borderlands“ Dynamiken grenzregionaler Peripherien. Forscherinnen der Viadrina und der Universität des Saarlandes konzentrieren sich dabei in dem Teilprojekt „Communicative Borderlands“ auf Sprachpolitik und Sprachpraxis in der grenzüberschreitenden Berufsausbildung an der deutsch-polnischen und der deutsch-französischen Grenze. Anlässlich eines Verbundtreffens an der Viadrina am 29. und 30. Juni 2023 gaben Dr. Dagna Zinkhahn Rhobodes (Viadrina) und Leonie Micka (Uni Saarland) Einblicke in ihre Arbeit.

Frau Micka, Frau Zinkhahn Rhobodes, was möchten Sie in Ihrem Projekt Communicative Borderlands herausbekommen?

Leonie Micka: Das übergeordnete Ziel ist es, die Grenzregion Brandenburg Lubuskie sowie die Region SaarLorLux+ vergleichend in den Blick zu nehmen. Wir suchen nach Best Practice-Beispielen: Was funktioniert in welcher Region gut; wo kann man voneinander lernen? In unserem Teilprojekt Communicative Borderlands – einem von fünf – untersuchen wir die soziale Praxis und Sprache im Berufsausbildungskontext.

Dagna Zinkhahn Rhobodes: Das machen wir aus zwei Perspektiven. Zum einen sind wir interessiert am sprachpolitischen Rahmen und führen Interviews mit Akteurinnen und Akteuren von Institutionen wie der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer. Wir wollen wissen: Was sind die Herausforderungen, Schwierigkeiten und Hindernisse bei der Durchführung der grenzüberschreitenden Berufsausbildung und worin sehen sie den Mehrwert?
Im zweiten Teil schauen wir uns den Sprachgebrauch an: Wie kommunizieren die Auszubildenden, wenn sie einander beispielsweise in Camps begegnen. Da beobachten wir faszinierende Sachen: Sie haben oft geringe Sprachkenntnisse, werden aber sehr kreativ, wenn sie eine gemeinsame Aufgabe lösen müssen. Sie nutzen ein bisschen Polnisch, ein bisschen Deutsch, Englisch oder mischen die Sprachen. Oft kommen Hände und Füße oder der Google-Translator zum Einsatz. Ich finde es erstaunlich zu beobachten, wie schnell und effizient das funktioniert!

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Dr. Dagna Zinkhahn Rhobodes (links) und Sara Bonin (Mitte) von der Viadrina arbeiten für das Projekt mit Leonie Micke von der Universität des Saarlandes zusammen.


Von welchen Schwierigkeiten berichten Ihnen die Interviewpartnerinnen und -partner aus der Praxis?

Dagna Zinkhahn Rhobodes: Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus der grenzüberschreitenden Ausbildung von Notfallsanitätern: Man hat uns berichtet, dass es hier beim Fremdsprachenunterricht zu klare Raster und Kategorien bei der Zertifizierung gebe, welche Sprachkenntnisse erfüllt werden müssen. Auch bei großer Motivation und großem Willen, schaffen die Auszubildenden es aus verschiedenen Gründen nicht, diese starren Anforderungen zu erfüllen.

Welche Bedeutung kommt bei der grenzüberschreitenden Ausbildung der Sprache ganz konkret zu?

Leonie Micka: Wir unterscheiden hier zwischen der grenzüberschreitenden Ausbildung im dualen System und grenzüberschreitenden Praktika. In der grenzüberschreitenden Ausbildung verfügen die Jugendlichen in der Regel über gute Sprachkenntnisse in der Nachbarsprache. Im Bereich von deutsch-französischen Praktika hat uns dagegen eine Schule rückgemeldet, dass sie eine große Chance darin sieht, den Nachbarn wahrzunehmen, trotz rudimentärer Sprachkenntnisse miteinander zu kommunizieren und schließlich miteinander in Kontakt zu kommen.

Dagna Zinkhahn Rhobodes: Eine wichtige Erkenntnis aus der Beobachtung in Camps ist, dass Grammatik und Wortschatz nicht so wichtig sind, wie wir das aus der klassischen Fremdsprachenausbildung kennen. Die Kommunikation fokussiert ganz effektiv auf einen Fachwortschatz. Das steigert die Motivation der Auszubildenden, die schnelle Erfolgserlebnisse haben. Bei Sanitätern ist das Zählen bis 10 und das Wort für Spritze schon sehr viel wert, da wird man nicht gleich abgeschreckt von den sieben Fällen in der polnischen Sprache.

Wie ist die grenzüberschreitende Ausbildung organisiert, welche Unterschiede gibt es im Vergleich der zwei Grenzregionen?

Leonie Micka: Wir haben im Saarland seit 2014 die Frankreichstrategie mit entsprechendem Sprachenkonzept. Als langfristiges Ziel möchte das Saarland bis 2043 zu einem mehrsprachigen Kommunikationsraum mit Französisch als funktioneller Zweitsprache werden. So gibt es zum Beispiel  ein Rahmenabkommen über die grenzüberschreitende Ausbildung im dualen Bereich. Die Jugendlichen haben die Chance, den Praxisteil der Ausbildung im Nachbarland zu machen, Theorie und Abschlussprüfungen finden im Heimatland statt. Zudem besteht die Möglichkeit in einer zweiten Phase den entsprechenden Abschluss im Nachbarland zu erwerben.  

Dagna Zinkhahn Rhobodes: Bei den deutsch-polnischen Kooperationen handelt es sich um Praktika oder gemeinsame Ausbildungscamps für wenige Tage. Eine komplette grenzüberschreitende Berufsausbildung gibt es nicht. In den Interviews hören wir immer wieder den Wunsch: Kontinuität schaffen, nicht immer nur punktuell von Projekt zu Projekt, von Förderung zu Förderung arbeiten! Viele haben das Gefühl, immer wieder von vorn anzufangen.

Worin besteht für Sie der Vorteil, vergleichend zu arbeiten und den Bogen von der französisch-deutschen zur deutsch-polnischen Grenze zu spannen?


Dagna Zinkhahn Rhobodes:
Für mich ist das Spannende danach zu schauen, welche Lösungen es in anderen Regionen gibt. Wie geht man mit Hindernissen um, welche Lösungen gibt es? Auch hier ist die Devise: Nicht immer von Null anfangen, sondern voneinander lernen. Wir haben in unserer Zusammenarbeit das System eines Shared Desks. Ich war mit meiner Kollegin Sara Bonin schon in Saarbrücken, gerade jetzt arbeitet Leonie bei uns. Außerdem planen wir gemeinsame Datasessions, um einen tieferen Blick in die Daten zu werfen.

Leonie Micka: Ich kann meiner Kollegin nur zustimmen. Es ist absolut interessant zu sehen, welche unterschiedlichen Angebote es in den beiden Grenzräumen gibt und wie diese genutzt und gelebt werden.  

Welchen praktischen Nutzen versprechen Sie sich von Ihrer Forschung?

Leonie Micka: Wir sehen eine große politische und wirtschaftliche Anschlussfähigkeit. Wir wollen unsere Ergebnisse an wichtige Stakeholder in diesem Bereich weitergeben. Auch die Erarbeitung von Unterrichtsmaterialien für die Fremdsprachenausbildung im grenzüberschreitenden Ausbildungskontext können wir uns vorstellen.

Dagna Zinkhahn Rhobodes: Die grenzüberschreitende Berufsausbildung ist Voraussetzung für einen grenzüberschreitenden Arbeits- und Beschäftigungsraum. Vielleicht können dadurch auch Fachkräftemängel ausgeglichen werden. Zudem dienen unsere Ergebnisse der Auswertung sprachpolitischer Maßnahmen, beispielsweise wie das Mehrsprachigkeitskonzept in Brandenburg umgesetzt wird. Für all diese Antworten benötigen wir aber noch etwas mehr Zeit und hoffen daher auf eine Anschlussfinanzierung.

Interview: Frauke Adesiyan
Foto: Heide Fest

Infokasten
Das Projekt „Linking Borderlands: Dynamiken grenzregionaler Peripherien“ ist ein Verbundvorhaben der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), der Universität des Saarlandes (federführend), der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und der Technischen Universität Kaiserslautern. Gefördert wird es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für drei Jahre (April 2021 bis März 2024). Die Forschenden richten ihren Fokus auf europäische Grenzregionen als Kontaktzonen und Übergangsbereiche an nationalstaatlichen Rändern. Der gemeinsame Zugang sind die Border Studies.

Die inhaltlichen Teilbereiche sind:
  • Communicative Borderlands: West-Ost-Abgleich der sozialen Praxis und Sprache im Berufsausbildungskontext (an der Viadrina geleitet von Prof. Dr. Konstanze Jungbluth und Prof. Dr. Nicole Richter, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen: Sara Bonin, Dr. Dagna Zinkhahn Rhobodes sowie an der Universität des Saarlandes von Prof. Dr. Claudia Polzin-Haumann, wissenschaftliche Mitarbeiterin: Leonie Micka)
  • Policy Borderlands: Policy-Transfer und -Lernen im West-Ost-Abgleich
  • Hybrid Borderlands: West-Ost-Vergleich kultureller Aushandlungsprozesse im Film
  • Planning Borderlands: Daseinsvorsorge und Planungskulturen im West-Ost-Vergleich
  • Energy Borderlands: Energietransitionen im West-Ost-Abgleich.

 

 

 

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