Wahlen in den USA – Viadrina lud zur frühen Wahlnachlese

Unter dem Titel „Harris vs. Trump – Der frühe Morgen danach“ hatte die Viadrina am 6. November 2024 von 4.00 bis 8.00 Uhr zu einer ersten Wahlauswertung mit Live-Schalten auch in die USA eingeladen. Nach anfänglich optimistischer Stimmung dominierte bei zunehmend roter Landkarte die Frage, warum so viele Wählerinnen und Wähler ihre Stimme Donald Trump geben.

Prall gefüllt war der Seminarraum in der Großen Scharrnstraße 23a schon bei der ersten Schalte am frühen Morgen um 4.45 Uhr. Während auf einem großen Bildschirm die Berichterstattung von CNN lief, erschien Viadrina-Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Klinger, die an der European New School of Digital Studies zu digitaler Kommunikation und Wahlen forscht und Wahlkampf und Wahlausgang von Kalifornien aus beobachtet, auf dem zweiten Bildschirm und erläuterte die Zwischenergebnisse. Zum jetzigen Zeitpunkt sei alles in den Swing-States noch offen, denn es würden zunächst die dünner besiedelten, ländlichen Gebiete ihre Zahlen melden, erst danach die urbanen mit voraussichtlich mehr demokratischen Stimmen.

Europa-Forscher Prof. Dr. Randall Halle und sein Kollege und Kenner des arabischen Raums, Prof. Dr. Mohammed Bamyeh, beide von der University of Pittsburgh, nahmen in ihrem Gespräch um 5 Uhr unterschiedliche Wählermotivationen in den Blick. Halle konstatierte, die Demokraten hätten in ihrem Wahlkampf den Menschen zu wenig zugehört. Bamyeh erklärte den immer deutlicher absehbaren Zuwachs an Stimmen für Trump mit Blick auf eine Wählergruppe, die bisher eher demokratisch gewählt habe: „Viele Wählerinnen und Wähler mit arabischem oder muslimischem Hintergrund haben sich wegen der Situation in Gaza von Harris abgewendet und Trump gewählt.“

Die Notwendigkeit einer Reform des Wahlsystems unterstrich Steven Hill, Experte zu Wahlsystemen und Aktivist bei fairvote.org. „Dass die national vote keinen direkten Einfluss auf das Wahlergebnis hat und durch das strikte Mehrheitswahlrecht alle Stimmen verloren gehen, die nicht auf die Gewinnerin gehen, führt zu einer großen Ungerechtigkeit und bei vielen Menschen zu dem Gefühl, wählen bringt eh nichts“, führte er aus. Nötig sei die Einführung von Verhältniswahl-Elementen.

Dem schloss sich spontan vor Ort Viadrina-Austausch-Student London aus Los Angeles an. Er habe zwar für Kamala Harris gestimmt, aber er teile nicht alle ihre Positionen. Er zeigt sich überzeugt: „Eine Verhältniswahl oder ein Ranking-System würde die Interessen der Menschen besser abbilden und mehr Menschen an die Urnen bringen.“ Zusätzlich bräuchte es eine besser informierte Wählerschaft, die sich weniger von Tradition leiten lässt; dafür aber seien Bildung und Informationen zu den Wahlen und zum Wahlsystem in der High School nötig: „Das kommt bei uns oft erst in der letzten Klasse und da haben die meisten schon einmal gewählt.“

Von der politischen Kluft, die auch durch die Familien geht, berichtete Dr. Sandra Evans. Die Deutsch-Amerikanerin koordiniert an der Viadrina die European Reform University Alliance (ERUA). Sie sei die einzige in ihrer Familie mit akademischem Hintergrund und die einzige Harris-Unterstützerin. Die Gründe für Wahlentscheidungen für Trump aus ihrer Sicht? – Ein Verlust an Vertrauen in die liberale Demokratie, Sorge um die wirtschaftliche Situation und Inflation.

Gegen 7 Uhr, da lief im Seminarraum grade ein Quiz zu den US-Wahlen, kam die Nachricht über die Ticker, Kamala Harris habe ihre Teilnahme an der Wahlparty abgesagt. Die Landkarte auf dem CNN-Bildschirm färbte sich – entgegen der Kopf-an-Kopf-Vorhersagen – flächendeckender rot. Und auch auf den Webseiten von Wettbüros setzten fast 100 Prozent auf einen Wahlsieg Trumps. Dass es durchaus ein Wechselspiel zwischen diesen Wettmärkten, Wahlvorhersagen und Wahlverhalten gibt, erläuterte Prof. Dr. Gregor Brüggelambert, Pionier der Erforschung politischer Wettmärkte, zugeschaltet von der Fachhochschule Dortmund. „Man muss aber skeptisch bleiben, denn nicht alle Teilnehmer sind informierte Händler; es können auch Zocker darunter sein.“

Kurz vor 8 Uhr verdichtete sich das Bild. Viel rot, wenig blau. Prof. Dr. Jürgen Neyer, Politikwissenschaftler und Experte für internationale Politik, zog zum Ausklang der Veranstaltung Bilanz: „Vielleicht ist das, was wir hier heute erlebt haben, etwas Historisches. So, wie wir wahrscheinlich alle wissen, wo wir am Morgen des 11. September waren, werden wir vielleicht in ein paar Jahren noch genau wissen, dass wir an diesem Morgen hier waren. Denn das Ergebnis heute – das steht fest – hat fundamentale Implikationen für die internationale Politik. Diese wird zunehmend zerfallen in nationale Politiken. Das unvollendete Projekt der Moderne ist zunehmend umstritten und alternative Ordnungsvorstellungen nehmen an Fahrt auf.“

Text: Michaela Grün
Fotos: Valeria Lazareva