Spinoza und Philosophie in Zeiten der Krise. Ein Rückblick auf das hybride Kursprogramm mit abschließender Sommerschule in Bologna.
Im Sommersemester 2024 konnten Master-Studierende und Promovierende an einem Erasmus+ Blended Intensive Programme zu Baruch de Spinozas unkonventioneller Philosophie teilnehmen. Unter dem Thema „Hortus Spinozanum: Philosophy in a Time of Crisis“ ergründeten Teilnehmende, wie dieser frühmoderne Diskurs die Vielfachkrisen der Gegenwart zu reflektieren hilft. Abschließend fand eine Sommerschule in Bologna statt.
Prof. Dr. Katja Diefenbach in Bologna
„Ich fand es bisher nicht so leicht, einen Zugang zu Spinoza zu finden. Tatsächlich hat mir die Teilnahme an dem Programm diese Scheu genommen und mir in erster Linie Lust gemacht, mich verstärkt mit Spinoza selbst auseinanderzusetzen, seine Schriften zu lesen und mich auf sein spekulatives Denken einzulassen“, so beschreibt die Viadrina-Promovendin Alena Reichmayr ihre Teilnahme an der diesjährigen hybriden Lehrveranstaltung zu Spinozas Philosophie und deren Anwendbarkeit auf moderne Krisen.
Master-Studierende und Promovierende konnten im Sommersemester an dem Erasmus+ Blended Intensive Programme „Hortus Spinozanum: Philosophy in a Time of Crisis“ teilnehmen. Organisiert wurde das vielfältige Programm von elf europäischen Universitäten, zu denen auch die Viadrina zählt. Neben einer Annäherung an Spinozas Philosophie und den Spinozismus insgesamt, ging es insbesondere darum, die Gegenwart aus einer spinozianischen Perspektive interpretieren und verstehen zu können. Warum Spinoza von verschiedenen zeitgenössischen Denkern so viel Aufmerksamkeit erhält – vom Poststrukturalismus über den Postmarxismus bis hin zum Neuen Materialismus –, war außerdem Gegenstand.
Die Kulturphilosophie-Professorin der Viadrina, Prof. Dr. Katja Diefenbach, hat an der Sommerschule in Bologna im Rahmen von drei Vorlesungen in die Debatten eingeführt, die über Spinozas Begriff der „Macht der Menge“ aus dekolonialer Perspektive geführt werden. „Wir müssen uns vor Augen halten, dass der niederländische Philosoph Baruch de Spinoza eine große Ausnahmeerscheinung der westlichen Philosophie darstellt, und ich denke, das ist in Bologna gut deutlich geworden: Hinter seinem ruhigen Schreibstil verbirgt sich ein verrückter, unkonventioneller und unzeitgemäßer Theoretiker“, so Diefenbach. Das Kursprogramm habe dabei den Teilnehmenden vermittelt, dass „Spinoza hinsichtlich beinahe aller zentralen Themen der modernen Philosophie außergewöhnlich fortschrittliche und emanzipatorische Positionen vertritt.“ Bereits im 17. Jahrhundert betonte der Amsterdamer Philosoph die bei aller Ambivalenz positive Kraft der Affekte sowie die Fähigkeit der Menschen, sich selbst zu regieren; er unterstrich die Einbettung menschlicher Kräfte in das Feld der Naturkräfte und die Transindividualität allen Seins. Für Katja Diefenbach selbst sei die Sommerschule eine großartige Erfahrung gewesen: „Für mich als Lehrende bot die Sommerschule die Möglichkeit, den Kontakt zu europäischen Kolleg*innen, die über das Denken Baruch de Spinozas arbeiten, zu vertiefen und neue Erfahrungen in der Hybrid-Lehre zu sammeln. Aber auch bei den Studierenden und Promovierenden hatte ich das Gefühl, dass sie die Internationalität der Lehre, den Wechsel unterschiedlichster Lehrmethoden, -stile und -perspektiven genossen haben und fachlich viel mitnehmen konnten.“
Die Begeisterung für das Programm können die Promovierenden und Studierenden nur teilen. Aus Sicht der Promotionsstudentin Alena Reichmayr liegt das Besondere des Programms vor allem in seiner Vielfalt und Dichte: „Die Teilnehmenden bekommen die Möglichkeit, sich wirklich auf das Denken von Spinoza einzulassen, sich dabei Zeit zu nehmen und auch komplexen und ambivalenten Aspekten seines Denkens nachzugehen.“ Auch die Erwartungen der Master-Studentin Kseniia Pereplotchykova wurden eingelöst: „Aus dem Programm nehme ich viele neue Erkenntnisse und Perspektiven mit, die mein Verständnis von Spinoza und seiner Relevanz für die Gegenwart erweitert haben. Besonders relevant für mich ist, wie theoretische Konzepte in praktische und künstlerische Arbeiten integriert werden können. Diese Erkenntnisse werde ich in meiner weiteren Arbeit im Bereich der konzeptuellen Fotografie anwenden.“ Sie fügt außerdem hinzu, dass die Sommerschule insbesondere für Menschen, die aus diversen Gründen vielleicht kein Erasmus-Semester machen konnten, eine sehr gute Möglichkeit ist, Lehre im europäischen Ausland kennenzulernen.
Für das kommende Jahr ist erneut eine Spinoza-Sommerschule in Bologna im Rahmen eines Erasmus+ Blended Intensive Programme in Planung. BA-, MA- und Promotionsstudierende wenden sich bei Interesse an: diefenbach@europa-uni.de.
BIP – Hortus Spinozanum: Philosophy in a Time of Crisis.
Text: Lea Schüler
Fotos: Kseniia Pereplotchykova