„Unsere emotionalen Kerne liegen weit auseinander“ – Diskussionsabend „Frieden schließen – Mythen und Wirklichkeit“ im Kleist-Museum

Eigentlich sollte es am 6. März 2024 im Frankfurter Kleist-Museum darum gehen, die aktuellen Debatten um die Frage „Wie ist Frieden schließen möglich?“ in den Blick zu nehmen und simple Erklärungen, die auf Sündenbock-Argumenten und Demagogie beruhen, kritisch zu diskutieren. Dazu hatten Historiker der Viadrina gemeinsam mit dem Frankfurter Kleist-Museum eingeladen. Die Veranstaltung „Frieden schließen – Mythen und Wirklichkeit“ wurde im emotionalen Publikumsgespräch selbst Zeugnis gesellschaftlicher Gräben und Polarisierung.

Mit so viel Andrang hatten die Veranstalter nicht gerechnet. Rund 100 Interessierte waren der Einladung von Viadrina und Kleist-Museum gefolgt. Dicht gedrängt verfolgten sie zunächst das Gespräch von Moderatorin Gemma Pörzgen mit den Podiumsteilnehmenden.

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Viele falsche Narrative und „Fake News“ würden ihm, der als Historiker mit seinen Studierenden auch häufig in Schulen zum Thema Ukraine unterwegs sei, nicht begegnen, so Prof. Dr. Jan C. Behrends, Inhaber der Professur für Demokratie und Diktatur. „Frappierend ist eher, wie wenig viele Lehrkräfte über die Ukraine und Ostmitteleuropa wissen, obwohl viele ihrer Schülerinnen und Schüler einen postsowjetischen Hintergrund haben“, sagte er. Ein Narrativ, das ihm durchaus begegne, sei, „dass Russland durch ,den Westen‘ oder ,die Nato‘ schlecht behandelt und in die Ecke getrieben worden sei und sich jetzt verständlicherweise wehren müsse“.

Prof. Dr. Timm Beichelt, Viadrina-Professor für Europäische Studien, nannte als Beförderer für die Spaltung der Gesellschaft, zum einen die Gleichzeitigkeit von großen Krisen, und zum anderen die Art, wie sich Kommunikation verändert habe. „Die eine Krise ist noch nicht überwunden, da kommt schon die nächste. Das überfordert. Früher wurden solche Themen am Stammtisch verhandelt und verblieben dort. Heute werden Äußerungen durch Social Media in die Öffentlichkeit geholt und können eine enorme Wirkkraft entfalten“, sagte Beichelt. Damit habe sich der Echoraum auch für „mal rausgehauene Thesen“ enorm vergrößert.

Gleichzeitig haben sich, darauf wies der Redaktionsleiter im Frankfurter rbb-Studio Andreas Oppermann hin, die Echoräume zersplittert. Während früher ein großer Teil der Bevölkerung eine Tageszeitung abonniert hatte, sei dies heute nur noch bei einem kleinen Teil der Fall: „Damit geht die gemeinsame Informationsgrundlage und die sichtbare Zuständigkeit für bestimmte Bereiche verloren. Wenn nicht mehr klar ist, wer für was zuständig ist, kann auch leicht die Vereinfachung eines ,Die da oben‘ entstehen und Wirkkraft entfalten.“ Gleichzeitig betonte er: „Wir sind eine zutiefst pazifistische Gesellschaft, die von Krieg wenig versteht.“ Behrends pflichtete bei: „Um den Krieg zu verstehen, müssen wir den Sprung ins Dunkel wagen, sonst verstehen wir die Logiken des Krieges nicht.“

All das regte im zweiten Teil der Veranstaltung, in dem Fragen des Publikums eingeholt wurden, zu Widerspruch an und machte die Kluft zwischen Podium und Publikum deutlich. Mehrere Gäste meinten: Eigentlich müsse es doch heute darum gehen, über Möglichkeiten des Friedensschlusses zu sprechen und nicht über Rechtfertigungen gesellschaftlicher Polarisierung und Begründungen für den Krieg. Man müsse Opfer und Täter klar benennen, beispielsweise die Zahl der Militärstützpunkte der Amerikaner und Russlands weltweit zählen; dann sehe man schnell, wer hier der Aggressor sei, nämlich die Amerikaner. Auf beiden Seiten gebe es Opfer, im Kern gehe es darum, den Krieg zu beenden. „Ich bin Mutter von zwei Söhnen und habe Angst um ihr Leben, wenn der Krieg sich ausweitet“, so etwa Claudia Wołoszyn. Sie berichtete auch aus ihrem Alltag als Lehrerin und fragte: „Was raten Sie mir, was ich meinen Schülern sagen soll, wenn sie mir von ihren Ängsten erzählen?“

Diese Betroffenheit und Angst könne er, so Jan C. Behrends, gut nachvollziehen. Zugleich betonte er: „Wir dürfen bei einfachen Erklärungsangeboten nicht aus den Augen verlieren, worum es in diesem Krieg im Kern geht: Es geht um die Existenz der Ukraine und um die Frage, ob die Ukraine genauso wie etwa Portugal oder Frankreich die Freiheit hat, selbst zu entscheiden, welche Bündnisse sie eingeht und ob sie als souveräner Staat bestehen kann.“

Im Vorfeld hatte die Märkische Oderzeitung den Gesprächsabend als eine „Aufklärungsveranstaltung“ vor einem Auftritt von Daniele Ganser in Frankfurt (Oder) angekündigt. Gansers Vorträge sind umstritten und wurden in mehreren Städten bereits verboten. Das Publikum im Kleist-Museum forderte vom Podium eine Positionierung zu Ganser. Adrian Robanus, Kurator am Kleist-Museum, erläuterte, dass Daniele Ganser in seinen Augen vereinfachende Erklärungen und nur scheinbar einfache Lösungen anbiete, die auf antisemitischen Verschwörungstheorien beruhen.

In den Widerspruch des Publikums hinein fragte Beichelt: „Warum gehen Sie, liebe Gäste, zu der Veranstaltung mit Herrn Ganser? Was versprechen Sie sich davon?“  Er selbst etwa gehe nicht hin, weil er nicht erwarte, dort etwas Neues zu lernen. „Gegenargumente, Gegenargumente! – Es geht um Gegenargumente“, hallte es dem Podium laut entgegen.

Beichelt betonte, er habe aus seinen Forschungen zum Thema „Emotionen und Politik“ vor allem eine Erkenntnis mitgenommen: Menschen nehmen Positionen ein, die ihren emotionalen Grundüberzeugen entsprechen. Er sagte: „Es gibt einen emotionalen Kern, dem wir folgen. Meine Vermutung ist, dass unsere emotionalen Kerne weit auseinanderliegen. Lassen Sie uns daher ins Gespräch kommen.“

Dass dieses Miteinandersprechen wichtig sei, betonten trotz der teilweise aufgeheizten Stimmung zahlreiche Gäste, einige dankten für das Gesprächsangebot und äußerten den Wunsch, dass daraus eine Veranstaltungsreihe entstehe.

Nach dem Ende der Diskussion entwickelten sich in kleinen Runden Gesprächsansätze, wenn auch mehr als Schlagabtausch, denn als intensiver Verständigungsaustausch. Der Abend bot dennoch einen gemeinsamen Raum für einen Austausch dezidiert verschiedener Meinungen und Perspektiven.

Organsiert worden war die Veranstaltung von der Viadrina-Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und dem Frankfurter Kleist-Museum. Historiker und Lehrstuhl-Mitarbeiter Felix Töppel erläuterte: „Als wir gehört haben, dass Daniele Ganser in Frankfurt (Oder) sprechen wird, wollten wir dem etwas entgegensetzen“. Gemeinsam mit Gastgeber Adrian Robanus vom Kleist-Museum haben sie den Abend entwickelt. Robanus zeigte sich erfreut über die Resonanz: „Grade auch als Museum wollen wir ein Ort der Begegnung und des Gesprächs sein“.

Text und Foto: Michaela Grün

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