„Man kann anders reagieren, wenn man die Strategien durchschaut“ – Prof. Dr. Matthias Schloßberger untersucht mit Studierenden die Neue Rechte
Rechts, links, Mitte – welche Aussagekraft haben diese klassischen politischen Begriffe noch? Dieser Frage ist der Sozialphilosoph Prof. Dr. Matthias Schloßberger im Wintersemester 2024/25 mit Studierenden in einem Seminar nachgegangen. In einer weiteren Lehrveranstaltung beschäftigte er sich mit den Strategien der Neuen Rechten. Im Interview spricht er über unscharfe politische Identitäten, das erfolgreiche Sammelbecken der Neuen Rechten und die Notwendigkeit, auch über die Brandmauer hinweg das Gespräch zu suchen.
Rechts, links, Mitte, mit diesen Begriffen wird in politischen Debatten noch immer viel gearbeitet. Sie haben sie in einem Seminar infrage gestellt. Warum?
Wenn wir von links und rechts als Gegensatz sprechen, wie oben und unten, schwarz und weiß, haben wir das Problem, dass sich jede politische Position auf so einer Links-Rechts-Skala abbilden lassen müsste. Eines muss das Gegenteil vom anderen sein. Ich will prüfen: Geht das überhaupt? Ich nenne Ihnen zwei Beispiele, bei denen das nicht hinhaut. Das ist zum einen die Umweltproblematik: Man gilt als links, wenn man für Umweltschutz ist, gerät aber mit dem linken Super-Paradigma des Fortschritts ins Gehege. Offensichtlich steht die Idee, dass sich immer etwas in Richtung Wachstum verändern muss, in Spannung mit dem Bewahren von Natur. Eine klassische Umweltpartei gerät hier in begriffliche Schwierigkeiten. Ein anderes Beispiel: Konservativ ist, wer etwas erhalten möchte. Ganz rechts will aber heute niemand etwas erhalten, da soll alles ganz anders werden und das wird auch so angekündigt, zum Beispiel mit der Parole „Regime change von rechts“. Also ist auch mit den Etiketten „rechts“ und „konservativ“ gar nicht klar, worauf man sich inhaltlich verpflichtet; da haben auch die Rechten untereinander ihre Schwierigkeiten.
Sie sind Philosoph und nicht Politikwissenschaftler; was genau interessiert Sie an der aktuellen Politik?
Ich würde mich als politischen Ideenhistoriker bezeichnen. Mich interessiert, wie sich die Neue Rechte zur klassischen Rechten verhält, welche Verschiebungen es gibt und was sich über längere Zeiträume gehalten halt. Mich interessiert auch die Frage, wie der eigene Standpunkt in der Außendarstellung primär begründet wird. Oftmals wird eine linke Identität damit begründet, sich von einer Idee des Rechten abzugrenzen. Und ganz analog findet sich auf der anderen Seite die Denkweise: Ich will dieses und jenes nicht und das ist links und deshalb bin ich rechts. Das scheint mir in beiden Fällen ein problematisches Vorgehen, denn daraus, dass man nicht A ist, folgt nicht, dass man B vertritt. Viele haben Schwierigkeiten damit, positiv eine eigene Position zu beschreiben und zu vertreten.
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Heide Fest
Was verstehen Sie unter der Neuen Rechten?
Ich spreche hier von einer Bewegung seit 2000. Die AfD gibt es seit rund zehn Jahren, die Zeitschrift „Sezession“ der Neuen Rechten seit mehr als 20 Jahren. Wir können diagnostizieren: Es gibt eine starke Neue Rechte; das zeigt sich vor allem an dieser jungen Partei, die von rund 20 Prozent der Deutschen gewählt wird. Mich interessiert: Was macht sie so stark? Die Neue Rechte ist ein Sammelbecken, hier finden sich Ehemalige aus den Unions-Parteien, andere wollen einen ganz grundsätzlichen Bruch mit dem Kapitalismus, mit der Westbindung, ganz radikal.
Bei dem Begriff Neue Rechte schwingt auch mit, dass sich Parallelen zur „alten“ Rechten finden lassen. Was halten Sie von Vergleichen zu den 1930er-Jahren?
Bei einer pauschalen Rede von der alten Neuen Rechten, die suggeriert, dass wir die Neue Rechte als Fortsetzung verstehen können, bin ich skeptisch. Ja, die Neue Rechte hat eine Geschichte; es gibt einflussreiche Autoren aus der Weimarer Republik, auf die man sich bezieht …, aber die Konstellation ist eine neue. Irritierend ist allerdings die Parallele zur Situation Anfang der 1930er-Jahre, was die Heterogenität rechter Positionen und ihren Erfolg angeht. Das große Rätsel von damals war: Wie konnte sich eine derart zerstrittene Rechte durchsetzen? Wie ist es der NSDAP gelungen, rechte Splittergruppen und die damaligen Konservativen zu integrieren beziehungsweise auszuschalten? Ich finde, man sollte daraus lernen, dass es die Rechte zu bestimmten Zeiten in fataler Weise geschafft hat, sich durchzusetzen, anstatt sich – wie die Linke – kaputt zu diskutieren beziehungsweise gegenseitig zu bekämpfen.
Wie lässt sich daraus lernen?
Man sollte genauer hingucken, wer sich da gerade mit wem verbündet. Es ist nicht pauschal sinnvoll, die Neue Rechte als Alte Rechte zu brandmarken. Aber wir sollten aufmerksam beobachten, wer hier mit welcher Strategie Wählerstimmen zu sammeln versucht. Die AfD ist auf der einen Seite Alice Weidel, die zwar auch populistisch gegen Immigration polemisiert, aber hauptsächlich für einen wirtschaftsliberalen Kurs steht. Daneben stehen andere, deren Hauptfeind die westlich- kapitalistische Demokratie ist. Das sind Menschen, die sich explizit als rechts definieren, deren Feind ist aber nicht die sozialistische Linke, sondern das sind die Linksliberalen. Diese Gruppe spottet über einen sogenannten Gartenzwerg-Konservatismus. Ihr Hauptgegner ist die Mitte. Und an dieser Beobachtung zeigt sich auch, dass das Links-Mitte-Rechts Schema problematisch ist, denn nach der Logik dieses Schemas müsste ja der Hauptgegner immer genau am anderen Ende der Linie zu suchen sein.
Wie sinnvoll ist dann die viel zitierte Brandmauer?
Ich würde diese Mauer nicht so ziehen, dass man jedes Gespräch abblockt. Man muss sich die Positionen genau angucken, um über einzelne Sachfragen ins Gespräch zu kommen. Das gilt natürlich nicht für Rassisten oder Antisemiten, hier kann man nur Dissens markieren. Aber über viele Punkte können und müssen wir auch mit Rechten reden, und zwar gerade dann, wenn wir die Brandmauer verteidigen wollen.
Texte von Rechten zu lesen, gehörte zum Kern Ihrer Seminare in diesem Semester. Eine Vorwarnung dazu stand schon im Vorlesungsverzeichnis. Wie schwer ist das Ihren Studierenden gefallen?
Es war herausfordernd, das Gespräch zu lenken, denn es macht schon einen Unterschied, ob man einen historischen Text liest oder eine rechte Schrift der Gegenwart. Mir ging es dabei darum, dass wir im Gespräch normative Stellungnahmen erst einmal in den Hintergrund treten lassen, um zunächst zu untersuchen, wie bestimmte Begriffe in rechten Diskursen funktionieren. Dafür haben wir beispielsweise Texte aus den einschlägigen Magazinen gelesen und Videomitschnitte von rechten Schulungsveranstaltungen angeschaut. Wir haben untersucht, wie argumentiert wird und haben eben nicht nur unsere Meinungen abgeklopft. Das Ziel war es, die Strategien der Neuen Rechten besser zu verstehen. Aber klar: Letztlich geht es natürlich darum, auf diese Strategien anders reagieren zu können, wenn man sie durchschaut hat.
Worin bestehen diese Strategien?
Hinter dem Erfolg der AfD steckt auch die Vielfalt und das große Spektrum der Meinungen. Die Strategie ist, viele verschiedene Strömungen zu vereinen, viele unterschiedliche Stimmen abzugreifen. Hinzu kommt: Die AfD ist dort präsent, wo andere Parteien das nicht sind, das wird von vielen positiv wahrgenommen. Es ist schon tragisch, dass der Erfolg der AfD auch auf dem Versagen, dem Nicht-Dasein der anderen Parteien beruht. Diese Wahrnehmung ist in Ostdeutschland etwas stärker verbreitet als in den alten Bundesländern. AfD-Politikerinnen und -Politiker bedienen sich dabei teilweise ähnlicher Methoden wie Trump, wenn er zum Beispiel bei McDonalds auftritt. Sie holen die Leute da ab, wo sie sich sehen.
Doch hinter der volksnahen, teilweise schlichten Fassade stecken auch Thinktanks und politische Theoretiker …
Vieles, was Björn Höcke oder Maximilian Krah sagen, klingt sehr platt. Aber Vorsicht: Hinter ihnen stehen Leute, die viel gelesen haben und die nicht dumm sind. Es wäre ein riesengroßer Fehler, sie zu unterschätzen. In den theoretischen Texten findet man viele Argumente aus der linken Kritik wieder, beispielsweise das Hinterfragen von Wirtschaftswachstum. Die Linke, die das mal thematisiert hat, ist ziemlich eingeknickt; die Grünen als Regierungspartei haben in ihr Programm das Bekenntnis zum Fortschritt tief eingeschrieben. Von der Hegemonietheorie marxistischen Philosophen Antonio Gramsci übernimmt die Neue Rechte die Strategie, den Diskurs im vorpolitischen Raum in eine bestimmte Richtung zu lenken. Angesichts der großen Probleme der Gegenwart würde ich empfehlen, sich diese Themen gut anzusehen, um auf das Gespräch vorbereitet zu sein. Dem politischen Gegner Inkonsistenzen nachzuweisen, ist sicher nicht der einzige Weg, Andersdenkende zu überzeugen, aber er sollte nicht unterschätzt werden.
Haben Sie für solche Inkonsistenzen ein aktuelles Beispiel?
Es ist eigentlich nur noch albern, wenn Alice Weidel jüngst in einem Interview behauptet, sie vertrete keine rechten Positionen, sich zugleich aber zu Björn Höcke bekennt, der sich seinem eigenen Selbstverständnis nach sehr rechts positioniert. Ihre marktliberalen, ökonomischen Positionen passen in keiner Weise zu den nationalbolschewistischen Romantikern in und im Umfeld der Partei, die gerne auch mit Sahra Wagenknecht flirten.
Frauke Adesiyan
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