Diversity-Tage 2024
Same Same, But Different - Einblicke und Ausblicke an der Viadrina
Am 18. Juni 2024 eröffnete die Abteilung Chancengleichheit im Rahmen der 3. universitätsweiten Diversity-Tage die Ausstellung „Same Same, But Different – Einblicke und Ausblicke an der Viadrina“. Für die Ausstellung haben mit verschiedenen Mitgliedern unserer Hochschule gesprochen und sie gefragt, was sie bewegt, was sie sich wünschen, welche Ideen sie für die Zukunft der Viadrina haben und wie wir näher zusammenrücken können, damit unsere Universität ein Ort ist, an dem wir alle gerne studieren und arbeiten. Die Portraits sind im untenstehenden Akkordeon nachzulesen oder bis Ende Juli im GD Foyer zu besuchen.
Die Diversity-Tage an der Viadrina sind ein seit 2022 jährlich stattfindendes Veranstaltungsformat im Rahmen des Deutschen Diversity-Tages.
Ziel der Diversity-Tage ist es, eine Plattform zu schaffen, die Vielfalt innerhalb der Hochschule sichtbar macht, Diskriminierung abbaut und einen offenen und wertschätzenden Studien- und Arbeitsalltag fördert. In sich wandelnden gesellschaftlichen Zeiten soll die Viadrina ein Ort sein, an dem alle die gleichen Zugänge und Chancen haben und das Potenzial einer diverseren Wissenschafts- und Arbeitskultur anerkannt wird.
Same Same, But Different – Einblicke und Ausblicke an der Viadrina
Eine Ausstellung im Rahmen der 3. Diversity-Tage an der Viadrina
Wir alle studieren oder arbeiten hier, sind Teil der Viadrina, die Viadrina ein Teil unseres Lebens. Wir prägen diesen Ort mit unseren Interessen, unserem Einsatz und unserer Vielfalt. Wir begeistern uns und treiben hier Ideen und Projekte voran. So weit so gleich, same same, wir sind Teil der Viadrina-Familie. Wir stehen hier aber auch vor Herausforderungen, sehen, dass die Voraussetzungen, um hier zu studieren und zu arbeiten nicht für alle gleich sind, stoßen auf Ungleichheiten und Ungleichbehandlung und machen uns Gedanken dazu. Vielleicht vermissen wir Gemeinsames, vielleicht wollen wir Veränderung oder Sichtbarkeit für unsere Anliegen. But different: wir sind eben auch unterschiedlich.
Deshalb haben wir in diesem Jahr exemplarisch mit zehn verschiedenen Menschen aus unterschiedlichen Bereichen und Fakultäten der Viadrina gesprochen. Wir haben sie gefragt, was sie bewegt, was sie sich wünschen, welche Ideen sie für die Zukunft der Viadrina haben und wie wir näher zusammenrücken können, damit unsere Universität ein Ort ist, an dem wir alle gerne studieren und arbeiten. Was verbindet uns? Welche Hochschulkultur möchten wir fördern? Wer wird gesehen, wer ist weniger oder gar nicht sichtbar? Was ist gleich (same same), was ist unterschiedlich (but different), welchen Blick haben sie auf die Viadrina (Einblicke) und in welche Richtung wollen sie sich weiterbewegen (Ausblicke)?
Gleichzeitig geht es in den Gesprächen um mehr als die persönlichen Geschichten einzelner Personen. Die Portraits weisen auf Machtverhältnisse und Ausschlüsse hin, von denen auch die Viadrina geprägt ist. Eine Universität, die sich durch Offenheit und Wandlungsfähigkeit auszeichnet, muss sich mit ihren eigenen Strukturen auseinandersetzen, Zugänge schaffen, Unterstützung anbieten und auf verschiedene Lebensrealitäten flexibel eingehen. Eine Universität, die für alle offen sein möchte, muss hinter das same same schauen und verstehen, dass Unterschiede das Studium und die Arbeit an der Viadrina erleichtern oder erschweren können, vor allem, wenn sie nicht mitbedacht werden.
Hierfür ist es ein wichtiger Schritt, aufeinander zuzugehen, mit den Menschen an der Viadrina ins Gespräch zu kommen und genau hinzuhören, was sie für Ideen haben und was sie brauchen, um sich an diesem Ort wohlzufühlen und sich mit der Viadrina als Institution identifizieren zu können. Diesen ersten Schritt sehen Sie in den Portraits dieser Ausstellung dokumentiert.
Wir laden Sie ein, die Fragen der Interviews für sich selbst zu beantworten, ins Gespräch mit anderen zu kommen und Ihre Sichtweisen, Ein- und Ausblicke auszutauschen. Wir freuen uns, wenn Sie diese auch mit uns teilen, uns Feedback, Ideen, Kritik und Wünsche zuschicken.
Ihre Abteilung Chancengleichheit
Wer sind Sie und wo arbeiten Sie?
Ich bin Anna Rößner, ich arbeite als Postdoktorandin am Lehrstuhl Marketing an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Ich bin darüber hinaus noch Mitglied in vielen Gremien, z.B. im Personalrat, war aber auch schon im Fakultätsrat und im Senat.
Warum sind Sie an die Viadrina gekommen?
Ich habe mein Abitur in Berlin gemacht und schon damals war irgendwie klar, dass ich an die Viadrina wollte, weil es damals schon den internationalen Fokus gab. An den Berliner Unis konnte man nur bedingt Fächer wie International Business Administration belegen. Ich war dann nochmal im Ausland und habe meinen Bachelor woanders gemacht, bin dann aber für meinen Master an die Viadrina gekommen. Ich kannte auch viele, die an der Viadrina sehr zufrieden waren. Nach dem Studium, besonders nach der Abschlussarbeit, habe ich meine Begeisterung fürs wissenschaftliche Arbeiten entdeckt. Mir hat der Lehrstuhl super gut gefallen, mir hat mein Thema richtig gut gefallen, und dann bin ich 2016 als Doktorandin zurück an die Viadrina gekommen. Das Thema meiner Doktorarbeit waren ethnische und religiöse Minderheiten in der Werbung und in meiner Arbeit jetzt habe ich das erweitert und schaue mir generell das Konsumentenverhalten von bestimmten stigmatisierten oder sozial benachteiligten bzw. Minderheitengruppen an.
Was bräuchte es, damit die vielen Menschen an der Viadrina mehr zusammenrücken und Verbindungen aufbauen?
Ich glaube, das Wichtigste ist auf jeden Fall erst mal, dass alle Statusgruppen ein bisschen mehr Verständnis untereinander entwickeln sollten, auch für verschiedene Lebensrealitäten. Ich glaube auch, dass sowas wie Individualität mehr gefördert werden sollte. Ich habe jetzt seit 2016 ganz gut miterlebt, dass alle so ein bisschen für sich sind, keiner kennt sich so richtig. Man hat die Fraktion, die in Frankfurt wohnt, da kennen sich die Leute vielleicht ein bisschen mehr. Dann hat man die Berliner Gruppe, und oft kommen da auch nicht so positive Gefühle hoch, wenn die Berliner nur kommen und dann wieder ganz schnell weg sind. Also ich glaube, dass da mehr Verständnis, mehr Austausch, mehr Dialog und mehr Kommunikation wichtig sind. Teilweise herrscht auch Konkurrenzkampf um Mittel oder Ressourcen unter den verschiedenen Fakultäten. Es wäre schön, wenn diese verschiedenen Gruppierungen einfach mehr aufgebrochen werden. Ich habe irgendwann mal vorgeschlagen, ein Lunch-Speed-Dating zu organisieren, dass man mehr Austausch hat und mit Leuten zusammenkommt, mit denen man vielleicht sonst überhaupt nichts zu tun hat. Mir wurde dann gesagt „mach doch mal“, aber da habe ich noch meine Doktorarbeit geschrieben und hatte einfach keine Ressourcen dafür. An sich wäre das, glaube ich, etwas Einfaches, wo viele mitmachen würden. Ich glaube, dass die ganzen verschiedenen Veranstaltungen, die wir aktuell schon haben, also Sommerfest oder die Events einzelner Veranstaltungen, auf jeden Fall ein guter Schritt in die richtige Richtung sind.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Viadrina selbst und für Ihre Arbeit hier?
Auf der einen Seite mehr Sichtbarkeit für das, was die Viadrina eigentlich ist, wofür sie steht, was sie zu bieten hat. Ich bin davon überzeugt, dass die Viadrina wirklich viel zu bieten hat, sowohl was die Lehre angeht, aber auch Forschung und in allem drum herum.
Wir haben so viele engagierte Mitarbeitende und haben tolle Angebote über die Lehre hinaus. Jetzt haben wir die Diversity-Tage, wir haben ein Familienbüro, das häufiger Sachen macht, wir hatten die Gesundheitstage, aber auch die Studierendeninitiativen haben ja wirklich schon viel auf den Weg gebracht und ich habe manchmal das Gefühl, dass das wenig gesehen wird, wenig Sichtbarkeit hat. Da wäre es wichtig, dass das stärker in den Fokus gerückt, kommuniziert und wertgeschätzt wird. Ich wünsche mir, dass alle mehr in eine Richtung gehen und das gleiche Ziel verfolgen. Ich habe auch so das Gefühl, dass alle unterschiedliche Ziele haben, und natürlich haben verschiedene Statusgruppen und Bereiche auch andere Vorgaben, aber ich glaube, da wäre ein bisschen mehr miteinander und auf die gleichen Ziele zuzuarbeiten schön und wichtig. Auch ein bisschen mehr Flexibilität, was die individuellen Lebensrealitäten angeht. Ich habe das jetzt erst gemerkt, als ich im letzten Jahr in Elternzeit war. Davor war das Thema für mich überhaupt nicht relevant, aber jetzt merke ich, dass man für alles und an jeder Stelle kämpfen muss. Manchmal würde ich mir dann einfach mehr Verständnis und Unterstützung und die Suche nach individuellen, flexiblen Lösungen wünschen anstatt dieser Idee von „so machen wir es und davon können wir nicht abweichen“.
Das würde sich auch positiv auf die Lehre und für die Studierenden auswirken: Die Lehrenden wollen z.B. auch wieder Online-Lehre geben, um die Kurse flexibler gestalten zu können. Aber die Vorgabe der Hochschule ist, dass die Lehre vorwiegend in Präsenz sein muss. Ich kann natürlich nur von unserer Fakultät sprechen, aber da wurden so innovative Formate rausgebracht! Gerade die ganzen Finance-Kurse, was die da mit R auf irgendwelchen Plattformen umgesetzt haben, ist sogar noch bessere Lehre als in Präsenz, würde ich sagen.
Wenn Sie nicht an der Viadrina sind, was beschäftigt Sie?
Aktuell verbringe ich natürlich sehr viel Zeit mit meinem Kind. Generell bin ich aber sehr aktiv, versuche viel Neues zu lernen, verschiedene Lebensrealitäten kennenzulernen und mich da hineinzuversetzen. Ich versuche, bewusst durchs Leben zu gehen, sensibel und sozial verantwortlich. Ein nachhaltiger Umgang miteinander ist mir wichtig, aber auch mit unseren Ressourcen und ich versuche immer, mich weiterzubilden, viel zu lesen und kennenzulernen. Ansonsten mache ich viel Sport und verbringe Zeit draußen, organisiere sehr gerne und versuche Leute zusammenzubringen, Netzwerke aufzubauen, in denen man sich vielleicht gegenseitig zum einen austauschen, aber auch unterstützen kann.
Es ist total krass, wie sich so die Prioritäten verändern. Ich habe früher super oft Picknicks, Brunches, Running Dinner und sowas organisiert, dann kam Corona und ich habe einfach gar nichts gemacht und jetzt ist es doch wieder relevanter. Ich glaube, gerade werden mir andere Dinge wieder wichtiger, weil ich meinem Kind so viele Werkzeuge wie möglich mitgeben will, damit es verschiedene Lebensrealitäten verstehen kann, empathisch und einfühlsam wird, mit Dingen umgehen kann und vielleicht auch ein Netzwerk, wo Stärkung stattfinden kann. Ich weiß zwar noch nicht, wie mein Kind später gelesen werden wird, aber ich versuche auf jeden Fall Netzwerke zu bilden, in denen nicht nur weiße Menschen drin sind.
Wo liegt eine Verbindung zwischen Ihnen und den Themen der Abteilung Chancengleichheit?
Ich hatte schon Berührungspunkte mit der Abteilung, weil wir auch mal zusammen überlegt hatten, etwas zu machen. Mir sind natürlich Themen wie Rassismus, Diskriminierung und vor allem Intersektionalität sehr, sehr wichtig. Damit beschäftige ich mich schon lange, zum einen, weil ich selbst als nicht-weiß gelesene Frau Mehrfachdiskriminierung erlebt habe, aber auch, weil ich selber sensibel sein möchte, sei es in meiner Sprache, sei es im Umgang mit anderen Menschen, die vielleicht andere Identitätsmerkmale haben oder weil sie wegen ihrer Geschlechteridentität, Religion, Sexualität usw. auch Diskriminierung ausgesetzt sind. Das sind Sachen, mit denen ich mich deswegen sehr viel beschäftige. Meine Forschung beschäftigt sich ja auch mehr oder weniger damit. Klar, da hat man den Marketing-Kontext, aber trotzdem ist es ja auch wichtig.
Sie haben eine Chili-Schote mitgebracht. Was hat diese für eine Bedeutung?
Auf der einen Seite koche ich unglaublich gern, das ist so ein Ding aus meiner Kindheit. Mein Vater hat super viel gekocht, früher auch im Rahmen von Straßenfesten, Karneval der Kulturen usw. Unter anderem hat er immer eine scharfe Soße gemacht, die alle geliebt haben und meiner Meinung nach die weltbeste scharfe Soße ist. Ich habe das Rezept und mache sie auch regelmäßig selber. Ich fand es immer mega schön zu sehen, wie die Leute das Essen gefeiert haben, das alle glücklich gemacht und eine Verbundenheit geschaffen hat.
Deswegen auf jeden Fall die Chilischote als Symbol dafür, aber auch weil ich mein Essen einfach gerne sehr, sehr scharf mag.
Möchten Sie noch etwas mit uns teilen?
Ich freue mich, wenn sich alle weiterhin so stark für gewisse Themen einsetzen, und würde mir wünschen, dass der Fokus an der Uni mehr auf den Themen liegen würde, die eure Abteilung bearbeitet, sodass diese nicht weiter wegrücken.
Wer sind Sie und was studieren Sie?
Ich heiße Awanish und studiere den Master of Digital Entrepreneurship (MoDE) an der Viadrina. Ich bin internationaler Viadrina-Botschafter und baue „The German Guy“ auf, ein Unternehmen, das Menschen, die in Deutschland studieren oder arbeiten möchten, unterstützt. Ein paar Jahre lang habe ich ehrenamtlich Studierende betreut, dann dachte ich: „Warum gründe ich nicht einfach eine Firma, mit der ich Studierende unterstützen kann, vor allem Menschen aus Nepal, die nicht die nötigen Mittel haben?“. Ich wollte etwas gründen, bei dem ich Menschen helfen kann. Bis jetzt habe ich etwa 300/400 Studenten und Berufstätige kostenlos betreut. Die Leute denken, ich sei verrückt, aber ich helfe gerne.
Wenn diese Leute zu anderen Beratungsunternehmen oder Agenturen gehen, zahlen sie eine Menge Geld. Wenn Menschen z.B. hier in Deutschland einen Bachelor machen wollen, gehen sie normalerweise zu Beratungsfirmen, weil sie vielleicht gerade erst die Schule beendet haben und noch nicht genug Informationen haben und nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Dort zahlen sie etwa 4000/5000 Euro, das ist die Mindestgebühr, wenn jemand den Bewerbungsprozess bei den Beratungsunternehmen durchläuft. Ich selbst berechne heute auch etwas, nachdem ich lange Zeit alles kostenlos gemacht habe, weil ich viel Zeit in die Bewerbung und die Beratung der Kund*innen investiere. Also habe ich den Prozess und das gesamte Geschäftsmodell geändert, und das ist ganz einfach: Wenn ich viel Zeit mit jemandem verbringe, dann muss er für meine Zeit bezahlen, was etwa 25 % der Kosten ausmacht, die er an eine Beratungsfirma zahlen würde. Manchmal ist es zu viel für sie und sie müssen nicht bezahlen, aber sie müssen sich selbst bemühen und versuchen, die Dinge zu lösen. Und wenn sie Unterstützung brauchen, können sie es mir sagen. Ich bin immer da, um sie während des gesamten Prozesses zu unterstützen. Ich helfe den Leuten beim Erstellen eines Lebenslaufs und von Motivationsschreiben, in der Universität, wo sie hier etwas finden können, und auch bei den finanziellen Unterlagen, die sie für das Studienvisum vorlegen müssen, um nach Deutschland zu kommen. Ich begleite sie von Anfang an, bis sie hier ankommen. Danach kann ich ihnen helfen, einen Studijob oder eine Unterkunft zu finden. Die Leute können mich auf meinen Social-Media-Kanälen, auf YouTube und auf meiner Website finden. Jetzt bin ich überall und versuche, Menschen zu helfen.
Warum sind Sie an die Viadrina gekommen?
Während viele Studierende den transdisziplinären Charakter der Viadrina, die Vielfalt und die einzigartige Lage in den Zwillingsstädten Deutschlands und Polens anführen, wurde meine Entscheidung in erster Linie durch das MoDE-Programm beeinflusst, das perfekt mit meinen zukünftigen Geschäftsplänen übereinstimmte. Zusammen mit meinem Neffen, der in Australien lebt, haben wir in Nepal ein Unternehmen gegründet, das ein B2B-Marktplatz war, dann haben wir in Australien ein Unternehmen für IT-Dienstleistungen gegründet und dann entstand 'The German Guy'. Wir werden sehen, ob sie mir das Urheberrecht für den Namen geben, aber ich werde dafür kämpfen. Das sind die Dinge, die ich schon im Kopf hatte, bevor ich mich an der Viadrina beworben habe. Ich wollte etwas studieren, das damit zu tun hat und mir helfen würde, diese Dinge in die Tat umzusetzen. Vorher habe ich an der TU Dortmund Data Science studiert, aber ich habe gemerkt, dass ich nicht immer für andere arbeiten wollte. Ich wollte mein eigenes Unternehmen gründen und mein Fachwissen in eigene Unternehmungen stecken. Also bin ich zu MoDE gewechselt.
Was bräuchte es, damit die vielen Menschen an der Viadrina mehr zusammenrücken und Verbindungen aufbauen?
Eine Ausweitung des Angebots an Kursen auf Englisch wäre von Vorteil, genauso wie die Integration moderner technologischer Fortschritte in die klassischen Kurse. Ich komme aus der Informatik und habe das Gefühl, dass in einigen Kursen immer noch die alten Methoden gelehrt werden, mit denen ich 2014 angefangen habe. Jetzt muss man die neuen Technologien übernehmen und anwenden. Zum Beispiel gibt es derzeit einen Hype um KI, und man kann diese neuen Trends und Marktanforderungen in die Kurse einbeziehen und trotzdem zusätzlich ältere Technologien unterrichten. Darüber hinaus könnte die Einführung von mehr außeruniversitären Aktivitäten, wie z.B. zusätzliche Sportturniere, über ViaRun hinaus, eine stärkere Verbindung zwischen Studierenden und Lehrkräften fördern.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Viadrina selbst und für Ihr Studium hier?
Ich muss nur noch meine Masterarbeit schreiben, dann bin ich mit meinem MoDE-Abschluss fertig. Ich bin dankbar für die unterstützenden Professor*innen an der Viadrina, die mir geholfen haben, meine Ideen zu verfeinern und sie praktisch anzuwenden. Ich würde mir wünschen, dass mehr internationale Studierende an die Viadrina kommen und ihr Studium erfolgreich abschließen, um in dem Bereich Karriere zu machen, für den sie sich interessieren.
Wenn Sie nicht an der Viadrina sind, was beschäftigt Sie?
Ich bin ein Workaholic. Wenn ich nicht an der Viadrina bin, findet man mich zu Hause, im Büro oder bei der CWS. Mein Fokus liegt vor allem auf meinem Werkstudentenjob bei AutoScout24, dem Management meiner Startups und dem Aktivsein in den sozialen Medien. An den Wochenenden spiele ich Cricket.
Wo liegt eine Verbindung zwischen Ihnen und den Themen der Abteilung Chancengleichheit?
Zu den Themen, die mich bewegen: Ich glaube, dass die Förderung der Chancengleichheit für alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer ethnischen Herkunft oder anderen Merkmalen, unglaublich wichtig ist. Ich unterstütze leidenschaftlich die Bemühungen, ein integratives Umfeld zu schaffen, in dem alle die Möglichkeit haben, sich zu entfalten und erfolgreich zu sein. Als internationaler Viadrina-Botschafter ist es selbstverständlich wichtig, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle wertgeschätzt fühlen und gleiche Chancen haben, sich zu entfalten.
Die Abteilung für Chancengleichheit spielt eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Fairness, Inklusion und Vielfalt innerhalb der Universitätsgemeinschaft und darüber hinaus. Ihr Engagement für diese Themen trägt zu einem positiven Wandel bei.
Sie haben Ihre Halsketten mitgebracht. Welche Bedeutung haben diese für Sie?
Diese Halsketten haben eine besondere Bedeutung für mich. Die in zylindrischer Form stammt von einem alten Mann in meinem Dorf, der mein Nachbar und eine Art Priester war. Er hat diese Kette für mich gemacht und fast ein Jahr darauf gewartet, dass ich ins Dorf zurückkomme. Sie gibt mir spirituellen Schutz. Dann gibt es noch eine Halskette, die ich in meiner Heimatstadt gekauft habe. Sie ist aus Elefantenhorn gefertigt und trägt die Aufschrift Lumbini, der Name der Stadt, in der ich geboren wurde und die auch der Geburtsort von Lord Gautam Buddha ist. Ich bin jemand, der meditiert, also passt die Kette zu mir. Wenn ich sie trage, fühle ich mich positiv und ruhig und kann mich auf meine Aufgaben konzentrieren. Es gibt noch eine weitere, die mir eine meiner 5 Schwestern geschenkt hat. Sie ist mit der Göttin des Geldes verbunden. Ich trage diese Halsketten jeden Tag. Eine kann ich gar nicht mehr ablegen, die anderen könnte ich abnehmen, aber tue es nicht.
Möchten Sie noch etwas mit uns teilen?
Ihr könnt mir gerne weitere Gedanken, Erfahrungen oder Wünsche mitteilen, die mit Eurer Zeit an der Viadrina oder darüber hinaus zusammenhängen. Eure einzigartigen Perspektiven sind wichtig, und ich bin hier, um zuzuhören und mich mit euch auseinanderzusetzen.
Wer sind Sie und wo arbeiten Sie?
Ich bin Jana Wenzel, ich bin seit 1993 hier an der Uni und habe bei Prof. Schweisfurth, das war mein erster Chef, die ersten 7 Jahre verbracht. Seit 2000 arbeite ich am selben Lehrstuhl mit Prof. Heintschel von Heinegg zusammen.
Wir sind 1996 mit Prof. Schweisfurth hier in die August-Bebel-Straße rausgezogen, weil im Hauptgebäude, was ja vorher noch vom Finanzamt mit besetzt wurde, die Bauarbeiten losgingen. Also neue Fenster, Wanddurchbrüche usw. Und dann wurden alle Lehrstühle oder Personen, die damals im Hauptgebäude saßen, gefragt, ob wir innerhalb des Hauses umziehen wollen, wenn unsere Räume umgebaut werden oder ob wir dem ganzen Lärm und Dreck entfliehen und solange hier raus in die August-Bebel-Straße ziehen wollen. Wir hatten uns damals die Räume angeguckt und waren natürlich hellauf begeistert! Nebenan ist ja ein runder Raum, der ist fantastisch! Danach wollten wir nie wieder zurück. Als dann 2000 Prof. Heintschel von Heinegg angefangen hat, kam er das erste Mal hier hin, wir haben uns kennengelernt und dann habe ich ihn gefragt, ob er das hier toll findet und ob wir hierbleiben können. Er hat einen Blick in sein Büro geworfen und gesagt: Natürlich! Auf jeden Fall bleiben wir hier!
Warum sind Sie an die Viadrina gekommen?
Ich war vorher in Schwedt tätig als Sekretärin und bin dann aus familiären Gründen nach Eisenhüttenstadt gezogen. Ich wollte mich eigentlich erstmal um die Wohnung kümmern, aber dann kam vom Arbeitsamt sofort eine Weiterbildung zur Fremdsprachensekretärin und ich habe die auch gemacht, war aber sehr unzufrieden. Die sollte über 2 Jahre gehen und im ersten Jahr war nur die Sekretärinnenausbildung, erst im zweiten Jahr sollte es dann um die Englischausbildung gehen. Ich war ja aber schon seit ein paar Jahren Sekretärin, also war das nichts für mich. Und dann habe ich in der Zeitung die Annonce der Uni gelesen, dass Sekretärinnen für die kommenden Professoren gesucht werden, habe mich beworben, war zum Vorstellungsgespräch hier und bin seitdem auch nicht mehr gegangen.
Was bräuchte es, damit die vielen Menschen an der Viadrina mehr zusammenrücken und Verbindungen aufbauen?
Über diese Frage habe ich mir am meisten Gedanken gemacht, weil mir Ideen zum Zusammenrücken überhaupt nicht in den Kopf gekommen sind, sondern gleich die Gründe, warum wir auseinandergerückt sind. Als kleines Beispiel: Bis vor ein paar Jahren, wenn die Inventur der Lehrstuhleinrichtung anstand, kamen die Damen aus dem Haushalt hierher mit ihren Inventurlisten, haben alles kontrolliert, man hat ein Schwätzchen gehalten, manchmal auch noch einen Kaffee zusammen getrunken und dann war die jährliche oder ich glaube sogar zweijährliche Inventur beendet. Inzwischen werden mir die Listen geschickt und ich gehe selber durch und notiere alles. Das ist etwas, was uns auseinandergebracht hat. Oder z.B. Formcycle: Früher, wenn ich einen Beschaffungsantrag gemacht habe, dann kam da von mir noch ein lieber Klebezettel mit drauf und „vielen Dank für ihre Mühe, Frau Dochow, Sie haben mir weitergeholfen“. Heute schickt man es weg, man hat nicht mehr unter Kontrolle, wo der Antrag gerade ist, was damit passiert, ob sich meine Kollegin gerade wegen mir mehr Mühe macht oder nicht usw. Oder der Postfahrer: das haben früher unsere Männer aus D4 gemacht, die kamen dann auch mal her mit etwas größeren oder sperrigen Paketen und man hat ein bisschen gequatscht. Jetzt macht das PIN, die Leute kennt man nicht, die haben nichts mit der Uni zu tun und die kommen auch nicht ins Büro. Ich verstehe ja den Wandel, aber da ist etwas verloren gegangen und ich weiß nicht, wie man es wieder verändern kann. Man fragt sich schon: Wer denkt sich das aus und wer denkt über die Konsequenzen nach? Es ist vielleicht einfach, eben mal nur ein Formular am Computer auszufüllen, aber ich hätte auch weiter einen Antrag wie früher gemacht und da mein Zettelchen draufgeklebt. Und so schön wie diese ganzen Feste sind, die es hier gibt, das ist nicht für jedermann was. Das ist traurig.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Viadrina selbst und für Ihre Arbeit hier?
Für mich ganz persönlich steht jetzt natürlich der große Wunsch an erster Stelle, dass ich wieder so einen tollen Chef bekomme, der im Oktober anfangen soll. Ich hoffe, dass das Miteinander und die Arbeit zukünftig so gut weitergehen wie bisher.
Wenn Sie nicht an der Viadrina sind, was beschäftigt Sie?
Ich bin Vollblutgärtnerin! Ich habe einen kleinen Garten, da bin ich von April bis September draußen und gehe voll auf. Das ist eigentlich das, was mich erfreut und was ich gerne mache und womit ich mich beschäftige, wenn ich nicht hier bin.
Ich habe jetzt auch vor 9 Jahren meine Eltern nach Frankfurt geholt, die sind da noch soweit es geht mit eingebunden. Ich kümmere mich jetzt um sie und es wird sicherlich noch intensiver werden mit den weiteren Jahren. Vorher waren wir knapp 2 Stunden voneinander entfernt und da war man dann doch immer auf Achse. Dazu kommt, dass ich vor einigen Jahren einen schweren Autounfall hatte und naja, die erste Zeit war es mir noch gar nicht so richtig bewusst, aber mit der Zeit jetzt will ich auch gar nicht mehr so oft so lange Strecken fahren. Ich mag auch gar nicht mehr so lange von meiner kleinen Oase draußen im Garten weg. Das ist wahrscheinlich auch eine Sache des Alters, aber trotzdem, die Lösung, die wir jetzt so gefunden haben mit meinen Eltern, ist das Allerbeste, was passieren konnte. Vor allen Dingen, weil im richtigen Moment genau die Wohnung neben mir frei wurde!
Wo liegt eine Verbindung zwischen Ihnen und den Themen der Abteilung Chancengleichheit?
Natürlich wird hier diese Pflegesituation für mich am wichtigsten. Es ist zwar noch nicht so, dass sie völlig pflegebedürftig sind, aber das wird mich dann irgendwann sehr beschäftigen. Da es im Moment noch nicht so akut ist, geht es bisher eher um Arztbesuche oder wenn mit der Bank oder Versicherung irgendwas ist, eher organisatorische Sachen, darum kümmere ich mich jetzt. Ich hatte eine volle Stelle und bin jetzt im zweiten Jahr freiwillig mit meinen Stunden runtergegangen und merke, dass ich damit sehr glücklich bin. Ich habe jetzt 30h die Woche und das macht es natürlich einfacher, die Zeit zu haben, um mit zum Arzt zu fahren und auch selbst meine eigenen Termine zu erledigen, das war vorher schwieriger. Das hat mich auch richtig gestresst, so viele Termine von mir und meinen Eltern unter einen Hut zu bringen. Da ist die Uni zum Glück relativ flexibel, auch was Gesundheitsmaßnahmen angeht. Ich bin seit dem Unfall auch dauerhaft in Physiotherapie und dass das so ermöglicht wird, ist toll.
Sie haben ein Buch mitgebracht. Was hat das für eine Bedeutung für Sie?
Da habe ich lange überlegt, aber ich fand das doch sehr passend. Und zwar ist es das Buch „Eine unmögliche Universität – 30 Prüfungen, die die Europa-Universität bestehen musste“ von Stephan Felsberg, Tim Köhler und Uwe Rada. Erstmal bin ich sowieso durch und durch eine Leseratte, alles querbeet. Aber vor ein paar Wochen gab es einen Nachruf auf Prof. von Brünneck und in diesem Nachruf wurde von diesem Buch gesprochen. Dann habe ich mir das natürlich gleich aus der UB geholt und habe das in einem Stück durchgelesen. Es sind viele Erinnerungen in mir hochgekommen, weil ich ja das, was hier vom Anfang beschrieben wird, alles miterlebt und natürlich sehr, sehr lange nicht mehr daran gedacht habe. Das hat bei mir nicht nur Nostalgie hervorgerufen, sondern auch Erinnerungen daran, als wir angefangen haben. Aus was für einfachen Mitteln wir von Null versucht haben, hier etwas auf die Beine zu stellen! Das ist ein Gegenstand, der mich im Moment sehr bewegt und auch eine große Verbindung zu mir hat. Die 30 Prüfungen sind ja zum 30-jährigen Jubiläum veröffentlicht worden und ja, ich bin zwar länger als 30 Jahre hier, aber das passt zu mir jetzt.
Wer sind Sie und wo arbeiten Sie?
Ich bin Julia Walter und arbeite seit fast 20 Jahren an der Viadrina, bin also eine Art Urgestein. Ich habe hier ursprünglich mal den Beruf des Veranstaltungstechnikers lernen dürfen und habe währenddessen noch die Elektrofachkraft gemacht, wurde dann übernommen und bin bis heute geblieben. In diesen 20 Jahren habe ich vielen unserer Studenten „das Laufen beigebracht“, so nennen wir das. Das heißt, man unterstützt sie bei der Planung ihrer Veranstaltungen, von Seminaren, Kolloquien oder sonstigem. Da bin ich sehr involviert und schätze es, dass ich mit den Studenten immer noch auf Augenhöhe sein kann, auch wenn das nach so langer Zeit langsam schwieriger wird. Am Anfang wurde ich auch belächelt als junge Frau in einem technischen Beruf, aber viele haben relativ schnell gemerkt, dass das gut funktioniert. Ich habe mit den Jahren auch gezeigt, dass man sich weiterentwickeln und etwas aufbauen kann, was nachhaltig an der Universität bleibt und wovon jeder profitieren kann.
Warum sind Sie an die Viadrina gekommen?
Das ist ganz einfach zu erklären: Meine Mutter hat die Zeitung aufgeschlagen! Ich war sehr jung, als ich mein Abitur abgeschlossen habe, ich war gerade 19 geworden. Ich wollte dann eigentlich in die Mediengestaltung gehen und war zu mehreren Vorstellungsgesprächen in Dresden, München, Hamburg und Berlin, aber da war es damals genauso wie heute schwierig, eine Wohnung zu finden und die mit dem Ausbildungsgehalt zu bezahlen. Dann blieb letztendlich nur die Entscheidung zu sagen, dass ich hier in der Nähe bleiben werde. Somit kam das Angebot der Europa-Universität, die eine Ausbildungsstelle zum Veranstaltungstechniker ausgeschrieben hatte, gerade recht, ich wollte mich sofort bewerben. Ich habe mir aber gar keine Mühe gegeben zum Vorstellungsgespräch, bin da mit Jeans und T-Shirt erschienen, habe das so in bisschen lapidar genommen. Ich konnte natürlich sagen, dass ich gerne organisiere und das gut kann und so, aber bei den technischen Fragen war ich raus, ich dachte, die würden sich nie melden. Ich war noch nicht mal ganz zu Hause als sie angerufen und mir die Stelle angeboten haben. Das war im Sommer 2004. Dass ich jetzt immer noch hier sitze, war vielleicht auch nicht so unbedingt der Plan, aber es hat sich einfach alles sehr gut entwickelt.
Was bräuchte es, damit die vielen Menschen an der Viadrina mehr zusammenrücken und Verbindungen aufbauen?
Ich finde, uns haben diese sogenannten Corona-Jahre tatsächlich gebeutelt. Viele nehmen den Luxus an, im Homeoffice zu arbeiten, ich selber mache das fast nie. Das ist ein Grund, dass sich alle voneinander distanziert haben. Alle gucken sich anders an, verkneifen sich das obligatorische Husten oder gehen auf Abstand. Und dadurch hat auch die Bindung zu den Studenten ganz stark gefehlt. Wir mussten ja 2020 innerhalb von Tagen alles umrüsten und Hybridität herstellen mit Sachen, die noch gar nicht vorhanden waren. Wir haben dann mit Laptops gearbeitet, die wir in irgendeiner Form hingestellt haben, um einfach unseren Studenten zu sagen „wir sind noch da!“. Das hat viel kaputt gemacht. Auch der gesellschaftliche Wandel hat vieles erschwert, man ist vorsichtiger geworden.
Das Einzige, was helfen kann, aber das ist meine persönliche Meinung, ist, dass die Viadrina sich wieder daran erinnert, woraus sie mal entstanden ist. Die Viadrina ist mal eine Familie gewesen und alle haben sie als solche benannt. Jetzt fehlt die Transparenz damit man weiß, wo unser Präsident hin will, unser Kanzler, der direkte Vorgesetzte, der Kollege. Man nutzt nicht mehr die Kommunikationswege wie früher, dass man sich wirklich mal auf dem Flur unterhält oder die Studenten sich trauen, uns direkt anzusprechen. Mir fehlen einfach dieses Familiäre und Transparente. Und das kann die Viadrina nur erreichen, indem sie auch wieder mehr für ihre Mitarbeiter tut. Der Trend in 2024 ist, dass wir stark in der Politik präsent sind, das merkt man an den vielen politischen Veranstaltungen, die zur Zeit laufen und die Weltsituation darstellen sollen. Das sind alles gute Veranstaltungen, aber für die Uni von innen tun sie nichts und das muss sich ändern. Unsere Studierendenzahlen sinken und wir tun ja alles, um nach außen wieder attraktiver zu wirken, aber auch fürs Innere müssen wir wieder attraktiver werden.
Ich erinnere mich noch an Zeiten, da haben die Studierenden Musicals aufgeführt, die wir produziert haben. Das Uni-Sommerfest war früher Wahnsinn! Da waren alle mit dabei. Aber damals hat das auch alles nicht so viel Geld gekostet wie jetzt. Jetzt ist das natürlich ein riesiger Aufwand, wenn man eine Band einkaufen und Sicherheitsaspekte einhalten will usw.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Viadrina selbst und für Ihre Arbeit hier?
Homeoffice finde ich eine ganz tolle Erfindung, Work-Life-Balance finde ich auch eine ganz tolle Erfindung, aber in Maßen. Ich arbeite in einer Abteilung, in der 50-80% der Leute nicht im Homeoffice arbeiten können, weil sie Handwerker oder Elektriker oder Menschen aus der Kopierstelle oder aus der Poststelle sind. Die dürfen nicht ins Homeoffice, was sollten sie auch im Homeoffice machen? Sollen sie zu Hause ihren eigenen Hof fegen, oder was? Für mich wäre es schön, wenn man wieder mehr zusammenrückt und das Homeoffice nicht mehr an oberster Stelle steht. Natürlich ist es ein tolles Giveaway für Leute, die hier jung anfangen mit Familien und Kindern oder so, aber im Arbeitsvertrag steht „Dienstort Frankfurt (Oder)“. Ich finde Homeoffice nicht schlecht, aber wie gesagt, die Bindung zueinander ist nicht mehr. Ich frage mich oft: Sind die überhaupt noch da? Arbeiten die hier noch oder sind sie nahtlos in Rente gegangen? Wer ist denn das, wer schreibt mich denn da an, den habe ich ja noch nie gesehen?
Was ich außerdem mehr nach außen tragen will: Wir sind nicht nur Universität und Arbeitgeber, sondern wir bilden ja auch aus. Aktuell bin ich hier die Ausbilderin von zwei Auszubildenden. Ich hatte das Glück, dass ich jetzt zwei Mädels als Auszubildende hatte und diese in das Berufsleben begleiten konnte. Im September kommt ein neuer Auszubildender hinzu und eine junge Facharbeiterin wird in die weitere Berufswelt abgegeben. Da sind wir ganz gut aufgestellt mit technischen Berufen, die wir ausbilden.
Wenn Sie nicht an der Viadrina sind, was beschäftigt Sie?
So untypisch wie es ist einen technischen Beruf als junge Frau zu erlernen, so untypisch ist mein Privatleben auch. Ich bin nicht viel weg gewesen, sagen wir es mal so, ich besitze Hof und Haus. Sicherlich bin ich in der Jugend mal ausgerissen und habe mal in Frankfurt gewohnt und in Berlin ein paar Monate, aber so wirklich weg bin ich nie gekommen. Ich bin handwerklich sehr affin, ich baue sehr gerne, ob mit Stein, Beton oder Holz. Ich habe es mit Motoren natürlich, also Autos, große Fahrzeuge, die viel Krach machen oder Motorräder, Boote, Jetskis. Das ist so mein Leben! Mein Tag startet früh um 04:50, ich stehe entspannt auf und bin normalerweise um 06 Uhr hier auf Arbeit, es sei denn es ist eine Spätschicht oder so. Und genauso fahre ich auch nach Hause, ich habe die 45 min Fahrtweg, um komplett runterzukommen und mich darauf zu freuen, entweder irgendwelche Mauern einzureißen oder irgendwelche Mauern zu errichten oder Aufträge von anderen abzuarbeiten. Ich habe einen riesigen Freundeskreis, die immer einfach vorbeikommen. Das endet dann im Partyraum oder am Feuer. So ist mein Leben, ich möchte es auch gar nicht anders haben und ich möchte auch gar nicht verbogen werden. Ich helfe immer gerne, nein sagen kann ich tatsächlich nicht gut.
Manchmal zieht es mich raus, dann komme ich von der Arbeit und springe aufs Boot und kopfüber in den See, weil ich direkt am Wasser wohne. Am Abend merke ich dann, dass es wieder zu lange war und dann stehe ich auf dem Anleger und lasse mich von Mücken zerstechen, weil ich die Plane nicht rechtzeitig aufs Boot gekriegt habe. Solche Späße müssen sein, auch wenn man dabei vergisst, dass man morgens wieder früh raus muss. Ich kenne keine Langeweile.
Wo liegt eine Verbindung zwischen Ihnen und den Themen der Abteilung Chancengleichheit?
Besonders interessant ist für mich das Angebot zu „Frauen in Führung“. Das war für mich eigentlich der ausschlaggebende Punkt, dass ich auf eure Abteilung überhaupt aufmerksam geworden bin. Vorher war das für mich so ein Beiwerk, das halt im Konstrukt der Universität existiert und existieren muss, aber mehr Berührungspunkte gab es nicht.
Aber das Programm „Frauen in Führung“ war für mich sehr wichtig, weil ich hier in komplexe Strukturen eingeordnet bin, sodass ich zwar eine Art Teamleiterin bin, gleichzeitig aber nicht viel zu sagen habe. Mit dem Programm wollte ich mich herauskristallisieren. Ich habe 2015 neben meiner Arbeit den Bachelor in Eventmanagement und 2023 den Master als technischer Betriebswirt gemacht. Ich kann, wie im privaten Leben, auch beruflich nicht stillstehen. Dieses Programm sollte mir einfach zeigen, wie ich mein Team rauslösen kann, damit dieses irgendwann eigenständig ist, weil es in den vergangenen Jahren auch stark gewachsen ist. Das zieht sich jetzt schon länger, aber vielleicht wird es bald eine separate Abteilung für Veranstaltungstechnik und Veranstaltungsmanagement geben. Wie genau das am Ende strukturiert wird, sehen wir noch. Ich wollte bei „Frauen in Führung“ auch lernen, wie ich gut mit meinen Kollegen umgehen kann in der angestrebten Position eines Abteilungsleiters. Ob das nun eine Schwäche ist oder nicht, ich bin ein sehr ehrlicher Mensch und bin oft sehr forsch und manche verkraften das nicht so gut. Deswegen habe ich das Programm bei euch belegt, um damit besser umgehen zu können und ich denke auch, dass es viel gebracht hat. Ich bin so dankbar, dass ich die Leiterin des Programms kennenlernen durfte, von ihr war ich wirklich beeindruckt, das war ein toller Kontakt.
Sie haben ein Notizbuch mitgebracht. Was hat dieses für eine Bedeutung?
Der Gegenstand ist das von euch geschenkte Notizbuch von „Frauen in Führung“. In das Buch habe ich damals bei dem Workshop zwei Kurzgeschichten geschrieben. Wir sollten uns vorstellen, wo wir uns an der Uni sehen nach diesem Wissenszuwachs. Wenn ich jetzt hier Tage habe, an denen ich gegen Mauern laufe, wo irgendwas oder irgendwer nicht so läuft, wie ich mir das vorstelle, dann lese ich immer wieder diese beiden Geschichten. Deswegen liegt das Buch auch immer in meinem privaten Schreibtischabteil.
Ansonsten zeichnet mich persönlich nicht unbedingt ein Gegenstand aus, sondern eher, dass man mich immer recht schnell laufen sieht. Das ist wahrscheinlich Abteilungskrankheit hier, aber man sieht mich jedenfalls immer schnellen Schrittes zwischen den Gebäuden laufen.
Wer sind Sie und wo arbeiten Sie?
Mein Name ist Katrin Hennig und ich arbeite hier in der Mensa des Studentenwerks. Ich bin hauptsächlich an der Kasse tätig und bereite Veranstaltungen vor, weil ich aus dem Service komme.
Warum sind Sie an die Viadrina gekommen?
Zur Wende war ja nun der ganze Umbruch und dann habe ich natürlich einen neuen Job gesucht und durch einen Bekannten habe ich hier den Job gekriegt. Ich bin seit 23 Jahren hier, habe im ehemaligen Bistro im Flachbau/Audimax angefangen und bin dann hier rüber als das Gebäude entstanden ist. Ich habe dann das Bistro im GD übernommen und bin inzwischen in der Mensa.
Ich bin gerne hier, ich arbeite gerne mit jungen Leuten zusammen, das habe ich schon immer gemacht, auch früher zu DDR-Zeiten. Das war schon immer mein Ding. Da bleibt man selber noch ein bisschen jung, finde ich. Besonders schön ist es, wenn die ehemaligen Studenten kommen und mir ihre Kinder vorstellen, das finde ich immer ganz toll.
Was bräuchte es, damit die vielen Menschen an der Viadrina mehr zusammenrücken und Verbindungen aufbauen?
Ich sehe schon das Problem: Berlin ist nicht weit. Und wer, sagen wir mal, feiern will, der geht nach Berlin. Was haben wir in Frankfurt? Z.B. ist die Helene weggefallen, früher hatten die Studenten immer ihre Beachpartys da gemacht. Das fehlt alles ein bisschen, auch das Kulturelle. Da müsste man die Stadt wieder attraktiver machen und mit der Uni mehr verbinden, damit man auch außerhalb zusammenkommt und etwas unternehmen kann.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Viadrina selbst und für Ihre Arbeit hier?
Ich finde, dass die Uni und das Studentenwerk viel mehr miteinander kommunizieren müssten. Gerade, wenn Veranstaltungen sind, wo ausländische Studenten dabei sind und vielleicht nicht so gut Deutsch können. Ich selbst habe z.B. kein Englisch gelernt. Es bräuchte Betreuer, damit auch die Leute, die Deutsch nicht so gut beherrschen, besser betreut werden könnten. Da stehen wir dann manchmal und versuchen mit Händen und Füßen zu erklären, wie das hier alles funktioniert. Der Ablauf z.B. mit den Kartengeräten, da kommen viele erstmal nicht mit klar. Auf Deutsch können wir miteinander schwatzen, aber so… Man hat ja auch nicht immer die Zeit, das alles zu erklären, die Kasse ist voll, du kannst ja auch nicht einfach weg. Der Wille ist auf alle Fälle da, die Leute zu unterstützen, aber es ist schwierig. Man kann das Kartengerät ja auch nur mit EC-Karte nutzen, Kreditkarte oder beides wäre besser, damit auch die ausländischen Studenten mit ihrer Visa-Karte ihre Karte aufladen können, das geht bisher nicht. Und EC-Karten haben die meisten ja nicht.
Wenn Sie nicht an der Viadrina sind, was beschäftigt Sie?
Wenn ich nicht hier bin, bin ich ganz viel an der Helene, da habe ich einen Bungalow. Das ist so meine Freizeit zum Runterkommen, die genieße ich auch. Und sonst ist mein Mann nicht mehr ganz gesund, da kümmere ich mich und mache mir viele Gedanken. Es ist anstrengend, aber man kennt es nicht anders. Auch früher in der Gastronomie war man immer gestresst, damit konnte man auch immer umgehen. Im Alter nicht mehr so gut aber naja. Ich lese auch ganz viel. Sonst bin ich eher ruhiger, gehe nicht weg oder so, die Zeiten sind vorbei, das brauche ich nicht mehr.
Wo liegt eine Verbindung zwischen Ihnen und den Themen der Abteilung Chancengleichheit?
Bei euch geht’s ja um Chancengleichheit und da denke ich, was mich hier so arbeitsmäßig betrifft: Wir haben Männer und Frauen hier und alle Frauen sind Teilzeitkräfte. Und wir Frauen haben keine Chance höher gestuft zu werden. Das finde ich ungerecht. Man hätte es auch ein bisschen verteilen können. Die Arbeit wird im Alter immer schwerer und man sollte doch an die Zukunft denken. Da ich nur Teilzeitkraft bin, kann ich es mir auch nicht leisten nach 45 Jahren in Rente zu gehen, da die Abzüge sonst sehr heftig sind. Wenn ich mir das bei mir so ansehe, werde ich wohl an die Armutsgrenze rutschen. Das ist, was mich stört. Plus, so ist diese Arbeit auch nicht mehr attraktiv genug, die Jugend kommt ja nicht nach und wir werden alle älter. Selbst, wenn die Jungen es machen wollen, wer kann mit Teilzeit sein Leben bestreiten? Gerade hier in der Gastronomie und Verpflegung brauchen wir nun mal Köche und Servicekräfte.
Ansonsten sind wir an einer internationalen Uni, da sollte sich das von selbst verstehen, dass man offen für alle ist. Das ist meine Meinung.
Sie haben ein Buch mitgebracht. Was hat dieses für eine Bedeutung?
Wie gesagt, ich lese sehr gerne, vor allem John Grisham. Der schreibt ja Kriminalromane und auch sehr authentisch, weil er mal Anwalt war. Von ihm habe ich bestimmt 10 dicke Wälzer, ansonsten insgesamt bestimmt um die 80 Bücher zu Hause. Ich habe ein riesiges Regal im Schlafzimmer, von oben bis unten voller Bücher. Ich kann auch keine Bücher wegschmeißen, das ist mir zu schade. Krimis haben mich schon immer interessiert. Wenn ich ein anderes Leben gehabt hätte oder schlauer gewesen wäre, wäre ich vielleicht in die Forensik gegangen.
Möchten Sie noch etwas mit uns teilen?
Eines brennt mir auf der Seele. Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, um Gottes Willen, aber vielen Studenten fehlt der Respekt gegenüber unseren Frankfurter Bürgern, gerade was die älteren Leute betrifft. Ich fahre jeden Tag mit der Straßenbahn und unsere Studenten sitzen alle, die älteren Leute steigen ein und es steht keiner auf. Das ärgert mich richtig doll. Schon eine Weile her, da ist ein älterer Herr mit Krücken eingestiegen, da musste ich laut werden, damit jemand aufsteht. Ich kann noch aufstehen aber ich meine, die sitzen den ganzen Tag in den Hörsälen und sind alle jung, gucken dann auf ihr Handy und gucken gar nicht erst hoch. Ich glaube aber auch, das war schon immer so. Um Gottes Willen, ich will jetzt nicht sagen, dass unsere Jugend hier anders ist, die sind bestimmt genauso. Vielleicht liegt das auch an der Mentalität von der Jugend, aber mir fällt es doll auf. Ich will das jetzt auch nicht aufbauschen, aber das ärgert mich jeden Tag. Manche Leute kriegen einfach um sie herum nichts mit, manchmal ist es vielleicht auch Sturheit oder es fehlt die Menschlichkeit, weiß ich nicht.
Wer sind Sie und wo arbeiten Sie?
Ich bin Nicole Klück, ich arbeite seit vielen, vielen Jahren in der Abteilung für Internationale Angelegenheiten und schicke hier Studierende ins Ausland. Ich kümmere mich auch um formale, bürokratische Hintergrundarbeiten, mache vor allem die Verträge mit den Partneruniversitäten, die Kommunikation mit ihnen und den ganzen Kleinkram, der passieren muss, damit das alles funktionieren kann. Ich bin auch für die formale Anrechnung der Studienleistungen aus dem Ausland für die KuWi-Bachelorstudierenden zuständig und berate bei der Etablierung von Doppelprogrammen.
Warum sind Sie an die Viadrina gekommen?
Ich bin im Sommersemester 2003 an die Viadrina gekommen, um hier Kulturwissenschaften zu studieren. Ich wollte vor allem die Fremdsprachen, die ich schon sprach, Englisch, Spanisch und Französisch, weiter vertiefen, das war mir wichtig und ich wollte unbedingt nochmal ins Ausland gehen. Ich war vorher als Au Pair in Madrid und hatte das Gefühl, dass ich nicht nochmal gehen könnte, wenn es nicht als obligatorischer Teil des Studiums vorgesehen ist.
Ich hatte mich dann für mein Auslandsemester in Spanien beworben und sah ein Plakat an der Tür vom Internationalen Büro, dass die eine Praktikantin suchen und ich musste noch ein Praktikum machen. Dann habe ich hier das Praktikum gemacht, war dann studentische Mitarbeiterin, irgendwann war ich auch mal wissenschaftliche Mitarbeiterin und bin dann einfach geblieben. Die Aufgaben haben sich immer verändert und seit 2010 mache ich das, was ich jetzt mache in einer Festanstellung.
Was bräuchte es, damit die vielen Menschen an der Viadrina mehr zusammenrücken und Verbindungen aufbauen?
Mir fällt oft auf, dass wir nur zuhören und nicht richtig hinhören, dass man nicht richtig offen ist für sein Gegenüber und auch für die unterschiedlichen Meinungen und Ziele. Es ist manchmal schwer, von seiner eigenen Meinung abzurücken. Es ist total multifaktoriell, aber ich habe schon das Gefühl, dass uns ein bisschen das große Ganze verloren gegangen und unklar ist, worum es hier eigentlich gesamtuniversitär geht. Warum sind wir alle hier? Ich meine nicht, warum ich hier bin in meinem Büro und meine Arbeit mache, das kann ich mir jeden Tag gut erklären. Aber ich bin ja Teil eines größeren Ganzen hier und das merkt man manchmal nicht mehr so sehr. Ganz praktisch wären es vielleicht wirklich so Sachen wie Get-Togethers, einfach zusammenkommen, ob das jetzt zum Weihnachts- oder Sommerfest ist oder zum Tag der offenen Tür und anderen Veranstaltungen. Wenn man sich auf Veranstaltungen begegnet oder im Zug oder auf dem Flur und miteinander ins Gespräch kommt. Ich merke das hier bei uns, wir haben seit ein paar Monaten eine Teeküche, die wir nie hatten und auf einmal treffen sich die Leute der verschiedenen Abteilungen dort, wenn sie sich Wasser kochen oder Sachen in den Kühlschrank stellen. Das verändert schon ganz kleine Nuancen, weil man auf einmal anders miteinander spricht und anders in Begegnung kommt, als wenn man zueinanderkommt, weil man eine Frage hat oder etwas braucht.
Ich lehne es wirklich ab, alles auf die Corona-Zeit zu schieben, aber ich habe schon das Gefühl, dass diese Zeit hier einen großen Einschnitt bewirkt hat. Es finden so viel mehr Sachen online statt, was sehr praktisch ist. Aber die Studierenden verlangen zum Teil, mit mir in Online-Meetings zu gehen. Ich verpflichte die Studierenden vor dem Auslandsaufenthalt inzwischen wieder, persönlich vorbeizukommen, weil mir das so wichtig ist mit dem Mensch in direkten Kontakt zu kommen. Sich da wieder auf das zu besinnen, was wirklich wichtig ist: Wir arbeiten hier natürlich sachlich aber wir haben es immer noch mit Menschen zu tun.
Außerdem hatten wir vor vielen Jahren mit Gesine Schwan einfach eine extrem starke Präsidentin, an die sich die Leute immer noch erinnern und die hier einen Spirit reingebracht hat. Den fand nicht jeder gut, aber sie hatte ihn halt und den hat man gefühlt an dieser Uni. Seit vielen Jahren haben wir nun viele Präsidenten in kurzer Abfolge, die hier nur eine kurze Zeit verbracht haben und eigentlich woanders hin unterwegs waren. Wenn ich aber als Leiter einer Universität nur mal ganz kurz hier bin, weil ich das brauche als Referenz für einen künftigen Job, dann habe ich ein Problem. Ich möchte auch nicht alles darauf schieben, es gibt noch viel mehr Punkte, wie gesagt.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Viadrina selbst und für Ihre Arbeit hier?
Ich glaube, es ist super wichtig, dass wir miteinander und nicht übereinander reden und dass wir respektvoll miteinander reden. Das fällt mir ziemlich häufig auf und ich kann mich davon auch nicht frei machen, aber das muss sich eigentlich ändern, sonst werden wir hier nicht weiterkommen. Dann paddelt hier jeder auf seinem eigenen Boot und wir kommen niemals irgendwo an. Und worum es meiner Meinung nach hier geht, und das wäre spannend von anderen zu hören, wie sie das sehen: Es geht hier um die Ausbildung von Studierenden. Auch das geht manchmal verloren und sollte wieder mehr ins Zentrum rücken. Die Bedürfnisse der Studierenden werden oft gar nicht beachtet, womit ich nicht meine, dass wir denen alles hinterhertragen müssen. Ganz im Gegenteil, sie sollen durchaus Verantwortung tragen, was auch oft nicht mehr passiert. Aber wir müssen beachten, dass das einfach eine andere Generation ist und immer andere Generationen kommen werden, die andere Dinge brauchen und suchen. Wir können nicht einfach dasselbe machen, wie vor 30 Jahren, weil das heute nicht mehr funktioniert.
Wenn Sie nicht an der Viadrina sind, was beschäftigt Sie?
Wenn ich von der Viadrina nach Hause fahre, lese ich meistens ein gutes Buch und dann hole ich meine Kinder ab und verbringe eigentlich die meiste Zeit mit ihnen. Die beiden sind 8 und 13 und wir gehen raus, wir gehen in den Wald, wir gehen zu den Pferden, weil meine Tochter reitet, wir backen, kochen, spielen, lachen, lesen. Das ist der eine Teil, natürlich beschäftige ich mich auch mit anderen Sachen als mit der Uni und mit meinen Kindern. Im Moment singe ich viel und beschäftige mich mit dem Thema Trauma und Traumatherapie, weil ich das auch ganz oft hier erkennen kann. Dabei geht es mir in erster Linie um mich selbst. Wenn ich bei mir bin, dann bin ich ziemlich stabil und kann ganz anders mit allem umgehen, was hier kommt und kann auch für die anderen ganz anders da sein.
Wo liegt eine Verbindung zwischen Ihnen und den Themen der Abteilung Chancengleichheit? Welche unserer Themen bewegen Sie?
Erstmal war ich selber Mentee damals im „Mentoring für Frauen“ Programm, das ist schon ewig her. Ich war also schon mal Teil dessen, was die Abteilung ja heute noch in diese Richtung macht. Ich war dann selber auch öfter bei solchen Frühstücken für Studierende mit Kindern, als ich selber Kinder hatte, und habe die Studierenden beraten für das Auslandsstudium mit Kind. So bin ich quasi aus Versehen in dieses Thema reingerutscht und berate bis heute hier in der Abteilung die Studierenden mit Kindern, aber auch mit Behinderung oder chronischer Erkrankung, die ins Ausland gehen wollen. Ansonsten sind die Themen Antidiskriminierung und Rassismus durchaus immer mal aktuell bei uns. Ich hatte gerade eine Studentin, die für das Auslandsstudium aufgrund dessen doch woanders hingegangen ist, weil sie Angst hatte dorthin zu fahren, wohin sie ursprünglich fahren wollte. Ich bin mit ihr lange ins Gespräch gegangen, aber ich kann ja weder die Situation noch ihre Wahrnehmung verändern. Ich finde es unfassbar wichtig das zu thematisieren und nicht so zu tun, als könnte ich keine Hautfarbe sehen oder so, weil ich das einfach Bullshit finde. Das ist ein großes Thema, auch wenn es nicht ständig thematisiert wird, aber präsent ist es auf irgendeine Art, glaube ich, immer, auch dann, wenn wir nicht darüber sprechen. Die meisten Vorfälle gelangen aber wahrscheinlich gar nicht bis zu uns.
Sie haben eine Muschel mitgebracht. Was hat diese für eine Bedeutung?
Ich habe eine Muschel ausgesucht. Wenn ich mir die ans Ohr halte, höre ich das Meeresrauschen, aber ja nur scheinbar. Ich höre ja eigentlich das Blut rauschen. Das schließt den Kreis zu den anderen Fragen: Wenn man hinhört, dann kann man die anderen und auch sich selbst hören. Dafür muss ich aber zur Ruhe und zu mir kommen und dann kann ich auch zu den anderen kommen. Dann steht die Muschel auch für Leben und Tod, weil sie ja tot ist, deswegen habe ich sie in der Hand, aber auch für das Leben, und das gehört beides zusammen. Und gleichzeitig steht die Muschel ja auch für Reisen und Andersartigkeit. Also sie passt gut zu meiner Arbeit und zu dem, was mir sonst noch wichtig ist.
Möchten Sie noch etwas mit uns teilen?
Es schockiert mich, wie viel Gewicht von der Abteilung Chancengleichheit weggenommen wird, wie viele Gelder gestrichen werden, obwohl eure Themen doch so wichtig sind. Im Kern betrifft das nämlich jeden von uns. Wir alle pflegen jemanden, haben Kinder, stammen nicht aus Deutschland und werden hier als ‚anders‘ wahrgenommen, haben eine Behinderung oder Erkrankung usw. Keiner von uns hat nichts von diesen Dingen. Z.B. gibt es so viele Legastheniker, auch Kollegen von mir, für die ich mit der Zeit viel Verständnis entwickelt habe. Aber für sowas brauche ich erstmal Bewusstsein und das kommt nicht einfach so angeflogen, dafür muss ich offen sein. Für sowas steht diese Abteilung ja auch und sie wird manchmal so stiefmütterlich behandelt und dann werden auch noch Gelder entzogen. Das finde ich sehr sehr bedauernswert.
Wer sind Sie und wo arbeiten Sie?
Ich heiße Paulina Jonczynski und arbeite seit fast 3 Jahren in Teilzeit als Sekretärin am Lehrstuhl für Osteuropäische Literaturen bei Prof. Werberger und studiere gleichzeitig im Bachelor Kulturwissenschaften. Ich bin hier gelandet, als ich vor 4 Jahren beschlossen habe, wieder an die Uni zu gehen und später gemerkt habe, dass das Geld, das ich mit Aufträgen als Dolmetscherin verdient habe, nicht mehr ausreicht. Dadurch musste ich eine andere Geldquelle finden und fand die Stelle hier perfekt, so bin ich richtig eingebunden in die Uni, als Studentin und Mitarbeiterin. Ich bin 1987 aus Polen nach Berlin geflüchtet und hatte meine kompletten Unterlagen, Geburtsurkunde, Studiennachweise usw. in meine Tasche eingenäht. Hätten sie das gefunden an der Grenze, hätten die mich einfach nicht rausgelassen aus Polen. Meinen Pass konnte ich ja nicht mal zuhause in der Schublade haben, sondern bei einer Passbehörde. Februar 1987 bin ich dann nach Westberlin gekommen, habe da auch schnell geheiratet und dann bald ein Kind bekommen. Ein paar Jahre später, kurz nach dem Mauerfall, bin ich dann nach Prenzlauer Berg gezogen, das war die coolste Zeit. Besetztes Haus, die gelebte Demokratie, Nächte, die man auf dem Dach geschlafen hat, weil es warm und Sommer war, jemand spielte Gitarre, rauchte eine Zigarette… Das war eine wunderschöne kreative Zeit, in der ich tatsächlich gemerkt habe, welche Möglichkeiten es so gibt. Ich hatte mein Studium zuvor abgebrochen, hatte ein Jahr an der FU Berlin Judaistik studiert, aber mit Kind, als Ausländerin, ohne Bafög, im Scheidungsstreit hat das Studium einfach nicht gepasst. Es gibt bestimmt super toughe Frauen, die das hinkriegen, aber ich nicht. Jedenfalls habe ich irgendwann eine Schule und einen Kindergarten mitgegründet. Das war eine Phase, in der ich unheimlich viel gelernt habe. Ich komme aus einer Großstadt Gdańsk/Danzig, aber die polnische Gesellschaft ist doch durchaus sehr traditionell. „Kinder und Fische haben nichts zu sagen“, das sagt man so und das hat mir nie wirklich gepasst, mich da unterzuordnen. Mit den Eltern hatte ich auch nicht allzu viel Glück, weil die recht einfache Menschen waren, aber nicht unbedingt von der guten und herzlichen einfachen Sorte, sondern von der komplizierten einfachen Sorte. Berlin fand ich unglaublich toll, es hatte so viel Potenzial, so viele Möglichkeiten, so viele kreative Menschen und wie gesagt diesen demokratischen Gedanken und den Feminismus fand ich sehr schön.
Ich verkürze das jetzt alles ein bisschen. Eines Tages habe ich erfahren, dass ein kleiner Bioladen zu Verkauf stand. Das wollte ich machen! Ich hatte wirklich keine Ahnung aber naja, ich bin nach 2 Tagen Anlernen Inhaberin eines kleinen Bioladens in Pankow geworden, das war 2002. Ich bin naiv und mutig, es hat Vorteile, wenn man sich keine Gedanken macht, was später kommt. Die Anfänge waren sehr hart, ich habe um die 60-70 Stunden die Woche gearbeitet und hatte wunderbare Kunden. Vieles daran war auch Selbstausbeutung, das kennen viele Frauen in der Biobranche. So habe ich fast 9 Jahre da durchgehalten, zwischendurch auch Leute ausgebildet, und abgesehen von den absolut harten Arbeitsbedingungen war ich glücklich. Nachdem ich aber im Laden überfallen wurde habe ich beschlossen ihn abzugeben. In der Zeit als Ladeninhaberin hatte ich angefangen Warenkunde Naturkost und freiverkäufliche Arzneimittel bei privaten Bildungsträgern zu unterrichten. Das war interessant, weil ich einen Monat lang gearbeitet und viel Geld verdient habe und dann hatte ich frei. Die Kinder gingen so langsam aus dem Haus und dann hatte ich mehr Zeit für mich, nachdem ich auch die gesamte Zeit alleinerziehend gewesen bin. Dann hatte ich knapp 2 Jahre, in denen ich immer abwechselnd einen Monat gearbeitet habe und dann Zeit für mich hatte, bin viel gereist und konnte meine Freunde besuchen. Das war toll, nur habe ich in der Zeit eine Lungenentzündung verschleppt und das führte zu einer Herz-OP. Das war eine Zäsur in meinem Leben. Zu diesem Zeitpunkt war ich in Chemnitz und bin auf dem Weg zum Unterrichten immer an der Uni vorbeigegangen und habe dort gemerkt, das die Uni der Ort ist, an den ich gehöre. Ich habe die Einbürgerung abgewartet, dann ging es wirklich alles magisch schnell. Ich hatte ein super nettes Zimmer in einer WG hier gefunden und inzwischen wohne ich in meiner eigenen Wohnung.
Warum sind Sie an die Viadrina gekommen?
Mehrere Gründe. Ich fand Kulturwissenschaften sehr spannend. Aufgrund meines Alters weiß ich auch, dass ich nicht nochmal Karriere machen werde, es wird keine großen Veränderungen in meinem Leben geben. Das Studium ist also mehr für mich, mein Hobby und für mein persönliches Lebensgefühl. Kulturwissenschaften bieten mir eine Möglichkeit, eine Palette an verschiedenen Themen zu studieren, ohne dass ich mich festlegen muss. Natürlich ist auch die Nähe zu Polen für mich spannend. Ich kannte Frankfurt schon, war immer mal wieder hier gewesen. Es hat einfach alles gepasst.
Was bräuchte es, damit die vielen Menschen an der Viadrina mehr zusammenrücken und Verbindungen aufbauen?
Ein Auseinanderdriften kann ich persönlich nicht feststellen, das liegt möglicherweise aber auch daran, dass ich erst seit 4 Jahren hier bin. Die Corona-Zeit war sehr anstrengend für viele Menschen, ich glaube auch, in dieser Zeit hat sich einiges an alten Gepflogenheiten in Luft aufgelöst. Ich habe hier relativ schnell eine gute soziale Bubble gefunden. Es gibt genug Möglichkeiten, in der WG-Bar gibt es z.B. Stammtische.
Anstrengend ist allerdings die Nähe zu Berlin. Die Menschen, die in Berlin wohnen, werden Abende nicht hier verbringen, sondern nach den Seminaren nach Hause fahren. Aber das werden wir nicht ändern. Ich denke, dass es von einem selbst abhängt. Das ist nichts, was von außen passiert, das ist etwas, was man aktiv macht. Wir Sekretärinnen der KuWi-Fakultät treffen uns auch regelmäßig, unternehmen etwas und tauschen uns aus. Selbst die Weihnachtsfeier wurde jetzt wiederbelebt. Ich weiß nicht, wie es früher war, aber ich fühle mich nicht einsam.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Viadrina selbst und für Ihre Arbeit hier?
Natürlich wünsche ich mir, dass sich mehr Studierende vor allem der Kulturwissenschaften entscheiden, hier zu studieren. Für meine Arbeit im Sekretariat habe ich keine Wünsche, mir geht’s gut und das Arbeitspensum ist in Ordnung.
Wenn Sie nicht an der Viadrina sind, was beschäftigt Sie?
Studium, Studium, Studium! Ich hoffe, dass ich in einem Jahr mit dem Bachelor fertig bin und dann habe ich vor, einen Master hier zu machen. Ansonsten bin ich sehr am Leben der Stadt interessiert. Auch deshalb, weil ich gerne beobachte, wie Menschen denken, wie Menschen handeln, was ihre Motive sind.
In dem Zuge bin ich auch als ehrenamtliche Dolmetscherin für Deutsch und Polnisch hier in Frankfurt tätig. Ich merke, wie wichtig das ist, ehrenamtlich Leute zu Ärzten oder Behörden zu begleiten und Familien zu unterstützen. Ich durfte z.B. bei einer Entbindung dabei sein, ich konnte das Kind in den Händen halten und der Mutter hin halten, weil es ihr nicht so gut ging. Das war Wahnsinn! Viele sehr positive Erlebnisse, viele Menschen, die sich sehr freuen, dass ihnen geholfen wird und die sich eine Dolmetscherin sonst nicht hätten leisten können.
Ansonsten habe ich noch eine Katze. Nach dem Überfall auf die Ukraine wurden Tiere aus den ukrainischen Tierheimen geholt und dann hatte ich bei Facebook eine Katze gesehen, die guckte so komisch, ein Zahn fehlt ihr, sie ist auf ihre Art hübsch und sie hieß so ähnlich wie mein zweiter Vorname. Da dachte ich, das ist meine Katze! Die wollte keiner mehr haben und ich glaube ich habe ein Faible für Ungerechtigkeiten in der Welt.
Meine Söhne sind erwachsen aber sie bleiben meine Hauptader.
Wo liegt eine Verbindung zwischen Ihnen und den Themen der Abteilung Chancengleichheit?
Ich bin nie diskriminiert worden als weiße Heterofrau, als Ausländerin auch nicht wirklich. Ich kam mit relativ guten Deutschkenntnissen her. Ich kann nicht klagen. Hier an der Uni wird es nicht einmal thematisiert, man wird dafür gesehen, wer man ist, und es gibt relativ wenig Filter, über die man wahrgenommen wird. Auch nicht aufgrund meines Alters, selbst die Studierenden haben das noch nie negativ kommentiert. Ich bekomme eher positive Reaktionen wie „ich hätte es auch gerne, wenn meine Mutter das machen würde“.
Als Feministin und „linke Socke“ finde ich eure Themen immer aktuell, also bleibt dran.
Sie haben ein Foto mitgebracht. Was hat dieser für eine Bedeutung?
Meine Oma war mein erster Gedanke, als es um den Gegenstand ging. Dadurch, dass ich früher sehr viel umgezogen bin, haben sich die meisten Gegenstände als nicht notwendig ergeben. Gegenstände eigentlich unwichtig. Es gab mal eine Situation, als ich noch mit Kind im besetzten Haus gelebt habe, da gab es eine „heiße Räumung“. Das Haus wird also angezündet damit man die Besetzer ausräuchert, weil wir für die Inhaber unerwünschte Personen waren. Dann hatte ich tatsächlich 10 Minuten, um alles zusammenzupacken und die Wohnung zu verlassen. Es war 6 Uhr morgens, ich hatte das Kind auf dem Arm und dachte „ok, ich brauche etwas für die nächsten 2-3 Stunden, ein paar Klamotten für mein Kind, was nehme ich noch?“ Dann habe ich festgestellt, ich brauche das alles gar nicht und die Erinnerungen habe ich im Kopf. Was aber witzigerweise die ganzen Umzüge überlebt hat, ist das Foto von meiner Großmutter, die verstorben ist als ich 6 Jahre alt war. Ich hatte im Leben einfachere und schwierigere Zeiten und das Bild meiner Oma war immer da. Später ging es mir gut und das Foto war verschwunden, ich brauchte ja meine Großmutter nicht mehr. Nachdem ich dann nach Frankfurt gekommen bin, tauchte das Foto plötzlich irgendwo in meinen Unterlagen wieder auf. Sie hat mich sehr geliebt, und es hat einen symbolischen Wert für mich, dass es wieder da ist. Ich brauche sie jetzt nicht mehr, jetzt ist sie einfach nur da und ruht sich aus.
Möchten Sie noch etwas mit uns teilen?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir alle einen eigenen Weg gehen können und wenn es nicht am Anfang geht, dann geht es später. Man muss nicht das Studium sofort abschließen, man braucht sich nicht verrückt machen, ob man mal Karriere macht. Vieles ergibt sich anders, als es in unseren Köpfen geplant war und ich glaube, ein Stück Flexibilität und Güte sich selbst gegenüber ist wichtig. Wir sind manchmal zu hart mit uns. Studiert, lernt, have fun!
Wer sind Sie und wo arbeiten Sie?
Mein Name ist Renate Berthold. Ich arbeite als Leiterin der Benutzungsabteilung in der Universitätsbibliothek, kurz UB. Außerdem bin ich dort Fachreferentin für die politik- und sozialwissenschaftlichen Fächer und Kunst, d.h. ich entscheide, welche Medien für die UB gekauft werden und erschließe diese inhaltlich.
Warum sind Sie an die Viadrina gekommen?
Ich habe damals (1993) eine neue Herausforderung gesucht, nachdem ich eine frühere Stelle in Bayern als sehr hierarchisch erlebt habe. Die Viadrina ist nicht sonderlich hierarchisch geprägt, aber offen ist sie eigentlich auch nicht. Ich habe die Jahre des Aufbaus als sehr herausfordernd und schön erlebt.
Was bräuchte es, damit die vielen Menschen an der Viadrina mehr zusammenrücken und Verbindungen aufbauen?
Ja, man merkt halt schon, dass die Viadrina in den 30 Jahren groß geworden ist. Es sind wahnsinnig viele Leute, die man nicht mehr kennt und in den ersten Jahren kannten sich fast alle persönlich. Natürlich empfinde ich es auch so, dass dieses Zusammenrücken nicht mehr da ist, also manchmal kriegt man z.B. keine Antworten, wenn man eine Mail schreibt. Aber ich glaube, und das mag meiner Generation geschuldet sein, auch wenn es vielleicht nicht von allen gerne gehört wird, mehr Präsenz des Uni-Personals in Frankfurt (Oder) täte der Stadt und der Uni sicher gleichermaßen gut.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Viadrina selbst und für Ihre Arbeit hier?
a) Ich wünsche der Viadrina wieder mehr Studierende und vorher erst einmal attraktive Studiengänge und Fächer, die nachgefragt werden, daran hängt ja auch unsere finanzielle Zukunft. Natürlich wäre das Zukunftszentrum hoch verdient und eine Riesenchance für die Uni gewesen. Nun hat das nicht geklappt, warum also nicht die in der Kulturwissenschaftlichen Fakultät vorhandenen Ressourcen auch für die geisteswissenschaftlichen Lehramtsfächer nutzen, in Kooperation z.B. mit Potsdam. Wenn wir keine Pädagogiklehrstühle haben, könnte man das ja aufteilen, z.B. zwei Tage hier in Frankfurt Oder, und das andere Fach, das vielleicht eine Naturwissenschaft ist, wird in Potsdam studiert
b) Mein (beruflicher) Herzenswunsch ist, dass die Bibliothek endlich wieder die Bedeutung und Wahrnehmung erfährt, die ihr eigentlich zukommen sollte. Wir brauchen Studierende, die die Bibliothek aufsuchen und erkennen, was die dort zu findenden Medien und Datenbanken für ein Schatz sind und dass diese für die Qualität ihrer Arbeit wichtig wären. Auch die Aufenthaltsqualität der Bibliothek muss verbessert werden. Dafür müssen aber endlich die finanziellen Mittel bereitgestellt werden, das Hauptgebäude grundhaft zu sanieren. Es erfüllt mich mit Trauer und Ärger, dass es an dieser Uni anscheinend kaum jemanden interessiert, dass es regelmäßig durchs Dach hereinregnet und dass das Dachgeschoss der UB im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt, also kaum nutzbar ist. Auch ein fast ständig defekter Fahrstuhl führt nicht zu mehr Nutzern. Das ist einfach ein Unding.
Wenn Sie nicht an der Viadrina sind, was beschäftigt Sie?
Ich reise sehr gerne, durch ganz Europa, aber auch innerhalb Deutschlands. Ich verbringe viel Zeit im Theater oder in Konzerten, besuche auch immer wieder mal eine Bühne außerhalb, z. B. im letzten Jahr das Staatstheater Braunschweig, wo ich mir Prof. Münnich angeschaut habe, der dort mitgespielt und gesungen hat. In diesem Jahr sind die Nibelungenfestspiele in Worms geplant. Außerdem koche ich gerne selber und lese viel. Verantwortung für das Gemeinwesen übernehme ich gerne, ich war 11 Jahre Stadtverordnete hier in Frankfurt (Oder) und werde nun ehrenamtlich als Schöffin tätig sein. Ich habe auch immer versucht, Verbindungen zwischen der Stadt und der Uni herzustellen. Es war mir immer bewusst, dass ich, wenn ich in irgendeiner Kulturveranstaltung saß, auch die Uni mit vertrete. Mir war es auch immer wichtig, studentische Kultur zu ermöglichen, da gibt es tolle Projekte z.B. im Kleist-Museum zum Stadtfest.
Wo liegt eine Verbindung zwischen Ihnen und den Themen der Abteilung Chancengleichheit?
Mir war klar, dass Sie gegen Diskriminierung jeglicher Art sind, ob das nun geschlechtlich oder nach der Herkunft, Rassismus usw. ist. Ich war auch ganz erstaunt mit wem Sie alles zusammenarbeiten.
Als ich kürzlich über das Mentoring-Programm gelesen habe, dachte ich, dass mir dies selber früher gefehlt hat. In den ersten Jahren meines Hochschulstudiums habe ich mich oft als nicht zugehörig gefühlt. Da gab es immer wieder ein diffuses Gefühl, nicht genügen zu können. Das war, glaube ich, weniger meinem Geschlecht geschuldet als meiner Herkunft. Ich entstamme einem Nicht-Akademiker-Haushalt. Niemand hatte vorher Abitur gemacht, mein Bruder und ein Vetter, die aber jünger sind als ich, machten dann zwar auch Abi, aber in meiner Generation war ich die Einzige, die jemals eine Universität von innen gesehen hat. Ich habe ja aber sogar einen Universitäts-Abschluss, damals Staatsexamen für das Lehramt, und mein ganzes Leben nach dem Abitur in Universitäten verbracht. Mehr Ermutigung durch Mentorinnen, gerne auch Mentoren, mit akademischem Hintergrund wäre schön gewesen. Sie unterstützen ja außerdem die Initiative Arbeiterkind, die mich sehr angesprochen hat.
Ich glaube auch, dass sich das bis heute nicht geändert hat. Es gibt immer noch keinen wesentlich höheren Anteil von Studierenden aus nicht-akademischen Elternhäusern, zumal die finanzielle Situation ja noch viel schlimmer geworden ist. Die Bafög-Reform hat ja nicht geklappt. Ich hatte damals das Glück, dass ich einen Hilfskraftjob hatte, irgendwann dann sogar zwei, so dass ich 19h die Woche gearbeitet habe. Deshalb bin ich noch gut durchgekommen und es hat mir eine Sicherheit gegeben. Ich wäre auch kellnern gegangen, aber wenn man in einem Fach arbeiten kann, das man eh studiert, ist das natürlich super. Das war ein großes Glück und eine Weichenstellung für meine ganze Zukunft: ich war studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Politikwissenschaft und mein Chef war Bibliotheksbeauftragter, hatte aber keine Lust dazu. Der Fachreferent, der das machte, was ich heute mache, hatte auch keine Lust dazu und eigentlich habe ich alleine dann knappe 20.000 DM ausgegeben und meine Vorschläge gemacht, welche Bücher wir anschaffen sollten. Als ich mich später für diese Referendarstelle im Bibliothekswesen beworben habe, war das eben klassische Fachreferentenarbeit. Wenn ich diese Erfahrung nicht gehabt hätte, wäre ich heute wahrscheinlich nicht in der Bibliothek.
Sie haben eine Kette mitgebracht. Was hat diese für eine Bedeutung?
Damit habe ich mich sehr schwergetan, weil es diesen einen Gegenstand für mich nicht gibt. Allerdings habe ich ein ausgeprägtes Faible für Modeschmuck. Ich versuche morgens nach dem Ankleiden jeweils den farblich zur Kleidung passenden (Mode)-Schmuck anzulegen. Es geht also nicht um Goldschmuck oder Diamanten. Für mich ist das wie das Anlegen einer Rüstung, nur schöner. Ich fühle mich dann stärker und besser für den Tag vorbereitet, dann habe ich das Gefühl, es geht mir mental besser.
Wer sind Sie und was studieren Sie?
Ich heiße Şevval und bin 23 Jahre alt, ich bin Kurdin und komme aus der Türkei. Hier studiere ich KuWi und in der Türkei habe ich Politikwissenschaft studiert. Ich interessiere mich sehr für Politik und Sozialwissenschaften.
Warum sind Sie an die Viadrina gekommen?
Zuerst kam ich mit Erasmus hierher, und dann habe ich hier so viele tolle Freunde gefunden und Erinnerungen geschaffen. Seit ich 17 war, wollte ich in Europa leben, also dachte ich: „Das ist meine Chance“, und ich beschloss, eine reguläre Studentin an der Viadrina zu werden. Jetzt arbeite und studiere ich und versuche, mich in diesem Land zurechtzufinden. Ich denke, die Viadrina ist ein wirklich guter Ort dafür.
Was bräuchte es, damit die vielen Menschen an der Viadrina mehr zusammenrücken und Verbindungen aufbauen?
Ich habe das Gefühl, dass es keine so ausgeprägte Universitätskultur gibt, wie ich sie in der Türkei erlebt habe, denn an meiner Universität oder an anderen Universitäten dort gibt es so viele Studierendenclubs und so viele Studierendeninitiativen. Wenn man sich für irgendetwas interessiert, kann man einfach einen Club gründen und Gleichgesinnte kommen dazu. Ich habe das Gefühl, dass es hier daran mangelt. Ich meine, es gibt zwar einige studentische Initiativen, aber es sind nicht viele, und nicht viele Leute können sich mit ihnen identifizieren. Ich glaube, wenn die Leute einfach ihre eigenen Clubs gründen und ihre eigenen Aktivitäten organisieren könnten, könnte das die Leute besser zusammenbringen. Theoretisch könnten die Leute das jetzt schon tun, aber wenn es keine etablierte Kultur dafür gibt, zögern Leute eher, die Initiative zu ergreifen und tatsächlich etwas zu beginnen. Das kann ein wenig beängstigend sein und es ist schwer, Gemeinschaften aufzubauen. Wenn es keinen Raum dafür gibt, kann es sich etwas unsicher und unangenehm anfühlen.
An meiner Universität in der Türkei haben wir einen Club gegründet, und ich hatte das Gefühl, etwas erreicht zu haben, es war wirklich schön. Er hieß „Free Dialogue Club“; meine Freund*innen hatten die Idee dazu. Jede Woche wählten wir ein politisches, psychologisches, historisches oder soziales Thema aus, und dann meldeten sich die Leute an, die wir nach dem Zufallsprinzip zusammenstellten, so dass man mit einer völlig fremden Person sprechen konnte. Wir gaben ihnen einen Zettel mit einigen Fragen mit, die aber nicht verbindlich waren, sondern nur dazu dienten, das Gespräch in Gang zu bringen. Wir sahen, dass die Leute sich vielleicht 1-2 Stunden lang unterhielten, und selbst nachdem wir den Raum geschlossen hatten, gingen sie irgendwo hin und diskutierten weiter. Die Leute kamen immer wieder und es wurde zu einem der größten Clubs. Es war wirklich ein schönes Gefühl, etwas zu tun, etwas zu bewirken, das Leben der Menschen auf diese Weise zu beeinflussen, und es war sehr gut für die Universitätskultur. Tatsächlich plane ich hier etwas Ähnliches.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Viadrina selbst und für Ihre Arbeit hier?
Ich selbst möchte mit meinem Leben weitermachen. Das war ein guter Ort für den Anfang, aber irgendwann muss ich einen Sprung nach vorne machen, einen Master machen und wahrscheinlich einen Job in Berlin finden. Ich habe mich wirklich in Berlin verliebt, aber ich werde mich immer gerne an meine Zeit hier in Frankfurt erinnern und ich bin wirklich dankbar, dass die Viadrina mir und anderen internationalen Studierenden alles so leicht gemacht hat. Ich habe viele andere internationale Freund*innen, die mit einem Austauschprogramm hierhergekommen sind und sich dann entschieden haben, hier zu bleiben, und diese Möglichkeit ist wirklich schön. Es gibt hier viele internationale Studierende, und ich denke, das macht diesen Ort zu dem, was er jetzt ist, mit den Austauschprogrammen und den englischen Bachelor- und Masterprogrammen, das ist wirklich gut. Für die Zukunft brauchen wir vielleicht mehr Studierendenclubs oder mehr Aktivitäten in der Stadt. Ich würde mich über mehr Cafés oder Bars freuen, in denen man abhängen kann, oder über Museen und Kunstgalerien und solche Sachen.
Wenn Sie nicht an der Viadrina sind, was beschäftigt Sie?
Ich arbeite Teilzeit neben meinem Studium, ich lerne Deutsch, um besser zu werden, weil ich mich wirklich mehr in dieses Land integrieren will, und außerdem habe ich eine Menge Hobbys. Ich ziehe nicht immer alle durch, aber ja, meine Aufmerksamkeit ist immer hier und da, sie springt ständig. Ich lerne gerade Gitarre spielen, und ich schreibe gerne. Ich schreibe kurze Essays, Geschichten und Gedichte, seit ich denken kann, wahrscheinlich seit ich 8 Jahre alt war. Ich schreibe meistens über meine Gefühle, weil ich ein sehr emotionaler Mensch bin und viel fühle, also muss ich das in eine kreative Form bringen. Poesie ist eine Möglichkeit für mich, ich schreibe wirklich gerne Gedichte. Früher habe ich Kurzgeschichten geschrieben, aber das läuft gerade nicht mehr so gut. Ich habe irgendwie meine Muse verloren, weil ich ständig zu beschäftigt und zu müde bin. Darüber hinaus interessiere ich mich auch für das Filmemachen. Ich habe vor Jahren einen Film gedreht, aber ich habe immer noch manchmal eine Idee und baue ein Szenario drumherum. In der Zukunft werde ich sie verwirklichen und man kann sie auf der Leinwand sehen. Ich lese gerne und erkunde Berlin, weil es dort so viele Dinge zu entdecken und zu tun gibt. Ich treffe mich mit meinen Freund*innen und genieße die Sonne, sogar das schlechte Wetter genieße ich hier. Ich koche gerne, vor allem für andere.
Für mich ist es manchmal überfordernd, weil ich einfach von einer Sache zur nächsten springe. Jetzt habe ich beschlossen zeichnen zu lernen, ich bin zwar ein furchtbar darin, aber immerhin. Du solltest mal mein Bett sehen! Da liegt ein Notizbuch, in dem ich schreibe, ich habe meinen Zeichenblock und meine Farbstifte und meine Gitarre an der Seite, ich habe einen Roman, ein Gedichtbuch, ein Psychologiebuch auf der anderen Seite, auf meinem Computer läuft meistens ein Film oder ein Video. Mein Gehirn ist die ganze Zeit in Bewegung, aber ich genieße es.
Wo liegt eine Verbindung zwischen Ihnen und den Themen der Abteilung Chancengleichheit?
Ich bin zugewandert und es gibt viele andere Studierende mit Migrationshintergrund wie ich, die aus einem etwas schwierigen Umfeld kommen: Ich bin Kurdin und in der Türkei aufgewachsen. Es ist für jede Person unterschiedlich, aber was ich bei mir und meinen Freund*innen erlebe und beobachte, ist, dass wir hierherkommen und es ein ganz anderes Land ist, eine Sprache, die die meisten von uns nicht sprechen und die wir versuchen zu lernen, viele haben finanzielle Schwierigkeiten, weil wir aus wirtschaftlich unterentwickelten Ländern kommen. Es kann ein bisschen überwältigend sein, sich zurechtzufinden, und es fällt uns nicht leicht, mit unserer Arbeit und allem weiterzumachen, weil wir unsere Universitäten und Familien zurücklassen. Vielleicht hatten wir in den Ländern, aus denen wir kommen, einen Lebensplan, und hier ist es für uns schwierig, uns zurechtzufinden. In Berlin gibt es einige Beratungsstellen für Einwanderer, Geflüchtete und Studierende mit Migrationshintergrund, und ich habe das Gefühl, dass das hier fehlt. Ich weiß, dass viele meiner Freund*innen einfach verloren sind, weil sie hart arbeiten, in Jobs, Teilzeit oder manchmal sogar Vollzeit, und sie versuchen, sich mit ihrem Studium und der Sprache zurechtzufinden, und das kann ein bisschen überwältigend sein. Es ist nicht unmöglich, aber man fühlt sich trotzdem manchmal einsam.
Vielleicht könnten an der Viadrina Beratungen für Studierende hilfreich sein. Vielleicht gibt es so etwas und ich habe nur noch nie davon gehört, aber wenn es so etwas gibt, ist es nicht besonders sichtbar. Es gibt einige professionelle Sozialarbeiter*innen in Berlin, die ich getroffen habe, die sowas anbieten. Vielleicht kann man also ein paar Fachleute hinzuziehen, um einen Anstoß zu geben und dann eine studentische Initiative oder ein offizielles Format daraus zu machen. All diese Kämpfe gehen auch mit psychischen Problemen einher, und Hilfe sollte für Studierende leichter zugänglich sein.
Sie haben ein Notizbuch mitgebracht. Was hat das für eine Bedeutung für Sie?
Dieses Notizbuch habe ich, seit ich 14 Jahre alt war, glaube ich. Ich habe angefangen, Kurzgeschichten und Gedichte zu schreiben, alles, was mir in den Sinn kam. Das ist etwas, um meine Gefühle herauszulassen. Dann habe ich einige Jahre lang nicht mehr geschrieben, und ich habe mein Notizbuch irgendwo liegen lassen. Vor kurzem habe ich es wieder hervorgeholt und angefangen zu schreiben. Ich zeichne auch darin, es ist also der Ort, an dem ich meine Seele ausschütten kann, die Gefühle, die ich habe, das Glück und die Schmerzen, die ich fühle. Die meisten meiner Geschichten, vor allem die, die ich im Gymnasium geschrieben habe, als ich 15/16 war, handeln von den Frauen in meiner Familie, denn ich komme aus einer etwas konservativen Familie, in der Frauen nicht viel zu sagen haben und keine Möglichkeiten haben. Sie heiraten sehr früh und haben es in diesem patriarchischen Familiensystem und in der Gesellschaft sehr schwer. Ich habe das Gefühl, dass ich ihren Schmerz und ihre Kämpfe mit mir herumtrage, auch wenn ich ausgestiegen bin und die Kette durchbrochen habe. Aber es ist immer noch ein Teil meines Lebens, also lasse ich alles in dieses Buch einfließen. Ich fühle mich mit jeder Person in meinem Leben verbunden, und sie sind alle hier drin. Ich habe auch ein Tagebuch, das ich seit meinem 12. Lebensjahr führe, und es ist wirklich interessant, mein 12-jähriges Ich heute zu sehen, das ist fast die Hälfte meines Lebens.
Möchten Sie noch etwas mit uns teilen?
Hier ist ein wirklich schöner Ort, um anzufangen, aber bleibt nicht stecken. Diese Stadt kann einen ein bisschen festhalten, besonders, wenn man nicht so viele Möglichkeiten hat.
Wer sind Sie und was studieren Sie?
Mein Name ist Tom Hilmar Seidelt, ich bin 25 Jahre alt und wohne in Hoyerswerda, das im nördlichen Sachsen, nah an der Grenze zu Brandenburg, liegt. Ich studiere an der Viadrina Kulturwissenschaften im Bachelor und mein Steckenpferd innerhalb der Kulturwissenschaften ist die Literaturwissenschaft, wo ich mich vor allem mit jüdischen Literaturen und auch Sportliteratur auseinandersetze. Planmäßig ist dieses Sommersemester mein letztes Semester.
Warum sind Sie an die Viadrina gekommen?
Die meisten meiner Freunde sind zum Studium nach Dresden gegangen, das war für mich aber von Anfang an keine Option, weil mir die Stadt zu groß und die Universität zu unübersichtlich waren. Dann habe ich mir einen Radius überlegt und da ich mitten in der Provinz lebe, waren die Möglichkeiten nicht besonders groß. Am äußeren Rand des Radius war dann die Viadrina und, nachdem ich mich mit dem Konzept der Europa-Universität und mit dem Studienangebot beschäftigt hatte, bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass das für mich eine gute Wahl wäre. Das war im Herbst 2021. Mit dem heutigen Wissen über meine Gesundheit würde ich diese Entscheidung so allerdings nicht mehr treffen. Damals wusste ich zwar, dass ich chronisch krank bin, kannte aber das Ausmaß bzw. die wirkliche Schwere der Erkrankung noch nicht. Dadurch habe ich mir alles etwas einfacher vorgestellt als es letztlich wurde, aber rein fachlich bin ich mit der Wahl nach wie vor sehr zufrieden.
Was bräuchte es, damit die vielen Menschen an der Viadrina mehr zusammenrücken und Verbindungen aufbauen?
Ich kenne es nur aus Erzählungen von Freunden, die in anderen Städten auch außerhalb des Campus in der Stadt unterwegs sind, z.B. abends zusammen losziehen. Ich glaube, das ist schwierig, weil viele Leute aus Berlin oder anderen Orten pendeln und nicht in Frankfurt leben. Grundsätzlich sind alle Sachen, die außerhalb des kleinen studentischen oder fachlichen Rahmens passieren immer eine gute Möglichkeit, sich zu vernetzen und kennenzulernen und auch auf Augenhöhe zu begegnen, wo das sonst nicht unbedingt möglich ist. Ich erinnere mich noch an früher, wenn wir in der Schule Sportfest hatten. Dann stand auch der Schulleiter mal in kurzen Hosen und Badeschlappen an der Torschusswand und ist für uns nahbarer geworden. So kann man mal zusammen lachen und sich locker austauschen, ganz ohne Hierarchien. Man müsste sich also etwas überlegen, damit man auf der menschlichen Ebene ohne diesen starren universitären Rahmen zusammenkommt.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Viadrina selbst und für Ihr Studium hier?
Ich wünsche mir mehr Inklusion, z.B. durch die Wiedereinführung der Online-Lehre. Ich bin selbst davon betroffen, dass ich phasenweise wochenlang nicht reisen kann, weil mir der Arzt das untersagt oder ich Medikamente nehmen muss, mit denen ich nicht Auto fahren darf. Ich komme aus meinem Ort nur mit dem Auto nach Frankfurt, da sind die Öffis keine Option. Da ist man aufgeschmissen, wenn man wochenlang Kurse verpasst. Ich konnte zwar auch schon hybrid zugeschaltet werden, aber das ist äußerst unangenehm, wenn man nur mich auf einer riesigen Leinwand sieht und 30 Studierende starren mich an und fragen sich „was ist denn mit dem los?“. Ich spreche nicht davon, dass der Campus verwaisen muss, aber 5 oder 7% der Kurse online zu machen, z.B. einen pro Modul und Semester, gäbe vielen Menschen eine Ausweichmöglichkeit und würde uns auch ein Stück weit gleich machen. In einem Zoom-Meeting sieht man nicht, wer chronisch krank ist, ein Kind versorgen, die Oma pflegen oder direkt vor und nach dem Seminar arbeiten muss. Ich habe schon versucht, das in der Universität anzubringen. Ich finde einfach keine Argumente gegen die Online-Lehre und finde es schade, dass alles wieder auf null gestellt wurde, seit die Pandemie glücklicherweise vorbei ist. Man hat doch trotz allem gesehen, dass Online-Lehre funktionieren kann, und es wäre für Menschen wie mich, die zu Studienbeginn nicht wussten, was ihnen gesundheitlich noch blühen würde, eine große Entlastung. Bei mir persönlich war es auch schon so, dass ich es zwar nach Frankfurt geschafft habe, dann aber vor lauter Schmerzen auf dem Boden liegend am Seminar teilnehmen musste. Ich habe mich gezwungen, in Präsenz vor Ort zu sein und das ist weder zielführend noch längerfristig durchzuhalten. Menschen wie mir und solchen, die noch schwerwiegendere Erkrankungen haben als ich, keine Ausweichoptionen für ihr Studium anzubieten, bedeutet auch, dass Potenziale nicht ausgeschöpft werden. Da wünsche ich mir mehr Toleranz, Verständnis und Einsicht dafür, dass es gar nicht unbedingt zig Nachteilsausgleiche braucht, die uns zum Teil weiter in eine ausgegrenzte Position drücken. Vielen von uns wäre mit Online-Kursen schon sehr geholfen.
Wenn Sie nicht an der Viadrina sind, was beschäftigt Sie?
Ich bin kommunalpolitisch seit 2016 für die SPD aktiv, was hier in Sachsen nicht gerade ein Wohlfühlumfeld ist. Ich bin auch in die Wahlkämpfe eingebunden, die auf kommunaler und Landtagsebene anstehen.
Ansonsten mache ich trotz meines Handicaps viel Sport. Ich musste erstmal ausprobieren, was ich noch machen darf und darf und was nicht. Ballsportarten sind für mich inzwischen leider tabu, ich kann auch nicht mehr Fußballschiedsrichter beim DFB sein, wie ich es früher war. Ich habe inzwischen den Radsport für mich entdeckt und mich auf das Zeitfahren spezialisiert, weil ich keine 80km im Sattel sitzen kann. Je nachdem, wie es mir geht, sitze ich mehrmals die Woche auf dem Rennrad. Da kommen aber neue Probleme ins Spiel: Ich bin groß und habe eine schlanke, athletische Figur - niemand sieht mir an, dass ich eingeschränkt bin. Nach wie vor denken Leute, nur jemand auf Krücken oder im Rollstuhl kann chronisch krank oder behindert sein, was natürlich nicht stimmt. Oft wird mir nicht geglaubt, dass mich das auch betrifft.
Wo liegt eine Verbindung zwischen Ihnen und den Themen der Abteilung Chancengleichheit?
Ich finde es wichtig, dass es euch gibt, weil ich überzeugt bin, dass alle Studierenden so frei und in einem möglichst toleranten Umfeld gemäß ihren Bedürfnissen studieren können müssen. Sonst fallen viele Menschen aus den verschiedensten Gründen durch das Raster, obwohl es nicht sein müsste. Und im schlimmsten Fall werden Talente wegen äußerer Umstände verkannt oder nicht gefördert, obwohl es möglich wäre, sie aufzufangen. Es ist wichtig, dass ihr auf diese Missstände aufmerksam macht und auch andere Bereiche und Gremien verstehen, dass solche Probleme aktiv angegangen werden müssen und es nicht reicht zu sagen, wie tolerant man ist. Diese Toleranz ist oft an „normalen“ oder „gesunden“ Menschen ausgerichtet und alle, die davon abweichen, müssen sich fragen, wie sie sich in so ein System integrieren können.
Auf dem Foto sieht man Ihr Tattoo. Was hat es für eine Bedeutung für Sie?
Ich habe eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Lendenwirbelsäule in der schwerstmöglichen Ausprägung. Zu meinen Symptomen gehören starke bis extreme Schmerzzustände, die Unfähigkeit, länger als 60 min beschwerdefrei zu sitzen, Bewegungseinschränkungen und neurologische Ausfallerscheinungen wie Funktionsstörungen in den Beinen. Das ist weder heilbar noch richtig behandelbar und hat keine gute Zukunftsprognose. Ich gehe nicht unbelastet durch das Leben, auch wenn die Krankheit zum Glück keinen Einfluss auf meine Lebenserwartung hat und ich mein Leben lang laufen können werde. Seit den ersten Symptomen sind bisher 9 Jahre vergangen und ich erinnere mich kaum noch daran, wie es vorher war. Die Krankheit ist Teil meiner Lebensrealität geworden.
Ich habe viele Jahre mit einem klaren Krankheitsbild, aber ohne richtige Diagnose gelebt. Irgendwann meinte mein Orthopäde, wir müssen eine umfangreiche Diagnostik machen und hat mich auch darauf vorbereitet, dass diese mehrere Monate beanspruchen wird. Es hat dann auch 9 oder 10 Monate gedauert - mit etlichen Untersuchungen und Einweisungen ins Krankenhaus, über Neurologie, Neurochirurgie bis hin zu mehreren Schmerztherapien. Diese aufwendigen Untersuchungen waren mit unfassbar vielen Ängsten und Schmerzen verbunden. Es gab etliche Verdachtsdiagnosen und es stand sogar im Raum, dass ein Tumor in meiner Wirbelsäule ursächlich für das Beschwerdebild sein könnte. Diesbezüglich hatte ich 2018 ein MRT, wofür ich über eine Stunde lang in der Röhre lag und wusste, dass vielleicht am Ende Krebs auf meiner Akte stehen würde. Diese Phase war für mich sehr schwierig. Was mir damals Halt gegeben hat, waren die Spiele meines Fußballvereins West Ham United. Ich habe mir dann gesagt, „wenn am Samstag das nächste Spiel ansteht, habe ich diese oder jene Untersuchung hinter mir, die mir große Sorgen bereitet“. Als ich dann im MRT lag, allein mit meinen Ängsten und Gedanken, hatte ich den Einfall für dieses Tattoo am Knöchel, das ich letztendlich auch so umgesetzt habe. Es war etwas, das mir in dieser entscheidenden und ehrlichen Situation etwas Trost gegeben hat. Seit 4 Jahren habe ich das Tattoo und dem Verein bin ich auch bis heute treu. Ich schaue jedes Spiel und richte mein Wochenende danach aus, er ist eine Konstante in meinem Leben. Ich habe den Verein immer bei mir, egal ob bei Arztterminen oder vor Prüfungen.
Möchten Sie noch etwas mit uns teilen?
Wo ich kann, möchte ich Anregungen zur Veränderung liefern und vor allem die Online-Lehre wieder ins Gespräch bringen. Meine persönliche Mission für mein letztes Semester an der Viadrina ist es, ein Stachel im Fleisch zu sein und meine Anliegen selbstbewusst und nachdrücklich vorzutragen. Ich habe nichts zu verlieren!