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Wie haben Sie den Festakt zur Gründung der Viadrina in Erinnerung, der vor 30 Jahren – am 6. September 1991 – in der Frankfurter Konzerthalle stattfand?
An den 6. September 1991 erinnere ich mich noch sehr gut. Es war meine erste Begegnung mit Frankfurt (Oder) – ohne damals eine Ahnung zu haben, eine wie wichtige Rolle diese Stadt in meinem Leben noch spielen sollte! Aber ich erinnere mich auch an gemischte Gefühle: Auf der einen Seite das bewegende Bewusstsein, an einem wichtigen Stück neuerer deutscher Geschichte teilzuhaben – auf der anderen Seite aber auch die Skepsis, ob die stolz vorgetragenen Pläne für eine neue Universität – eine Europa-Universität gar! – an diesem Ort (an dem es damals nicht einmal ein Telefon für einen Anruf in die USA gab) jemals Wirklichkeit werden könnten. Die Akteure waren eindrucksvoll – Manfred Stolpe, Hinrich Enderlein, Regine Hildebrand, Wolfgang Denda – und dazu meine gelehrten Kolleginnen und Kollegen im Gründungssenat der neuen Universität, die Gründungsrektor Knut Ipsen gleich nach Schluss der Feier in der Konzerthalle zur ersten Sitzung zusammenrief – der ersten von vielen Sitzungen in den nächsten zwei Jahren, bis zu der denkwürdigen letzten Sitzung am 14. Oktober 1993, die mit der Wahl des ersten Rektors der Viadrina endete und ein neues Kapitel eröffnete.
Festakt zur Gründung am 6. September 1991 Foto: Heinz Köhler
Manfred Stolpe sagte damals: „Dies ist ein wichtiger Tag für das Land Brandenburg! Und es ist auch ein wichtiger Tag auf dem Wege zu einem gemeinsamen europäischen Haus.” Wurden diese Erwartungen an die Europa-Universität Viadrina aus Ihrer Sicht erfüllt?
Manfred Stolpe hatte Recht. Brandenburg hat damals einen mutigen Schritt in ein neues Kapitel der deutschen Hochschulgeschichte getan – eine neuartige, einem zukünftigen Europa verpflichtete Universität, deren eng verflochtenes Fächerprofil aus Rechts-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaft beste Voraussetzungen für die wissenschaftliche Zusammenschau der Transformations- und Kooperationsprobleme eines weiter zusammenwachsenden Europas schaffen sollte. Die enge Zusammenarbeit mit den wissenschaftlichen Partnern in Polen – von Anfang an präsent in der grenzübergreifenden Vision des Collegium Polonicum in Słubice – war ein integraler Bestandteil dieses Konzeptes.
Dieses Konzept ist in der Tat die Basis für eine bemerkenswert erfolgreiche Universität geworden, auch wenn nicht alle Blütenträume der frühen Jahre in Erfüllung gegangen sind. Ganz so leicht war es eben nicht, ein Stück der gewachsenen Identitäten wissenschaftlicher Fächer in interdisziplinäre Forschungs- und Lehrprogramme einzubringen, aber Projekte wie B/ORDERS IN MOTION haben gezeigt, wie fruchtbar solche Bemühungen sein können. Auch die damals schon leise geäußerten Zweifel, ob das kleine und nicht gerade reiche Brandenburg all diesen hehren Ansprüchen gerecht werden könnte, haben sich in den letzten dreißig Jahren als nicht ganz unbegründet erwiesen, aber die Entscheidung für die – und für diese – Viadrina war und bleibt richtig.
Schwieriger und enttäuschender steht es um das von Manfred Stolpe damals beschworene „gemeinsame europäische Haus“, zu dessen dauerhaftem Fundament die Viadrina einen wichtigen Beitrag leisten sollte. Um dieses Haus ist es – wie ich schon in meinem Festvortrag zum 25-jährigen Jubiläum der Viadrina verdeutlicht habe – heute überaus schlecht bestellt. Das macht schon ein Blick über die Oder erschreckend deutlich. In einer Welt, in der ein handlungsfähiges und auf gemeinsame Ziele verpflichtetes Europa eine entscheidend wichtige Rolle zu spielen hätte, sucht man sowohl Handlungsfähigkeit als auch Gemeinsamkeit vergeblich. Hier erwächst einer Europa-Universität eine ungemein schwierige, aber auch entscheidend wichtige Aufgabe: eine unvoreingenommene und an die Wurzeln gehende Diagnose der Krise des europäischen Hauses zu erstellen und auf dieser Basis neue, wissenschaftlich solide und zielführende Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Hier könnte und sollte die Mission der Viadrina, die im September 1991 so eloquent verkündet wurde, eine neue und zentrale Herausforderung für diese Europa-Universität werden.
Was wünschen Sie der Europa-Universität Viadrina?
Ich wünsche der Viadrina zu ihrem 30. Geburtstag die intellektuelle Kraft, den politischen Mut und den wissenschaftlichen Sachverstand – und die volle und verlässliche Unterstützung des Landes Brandenburg –, diese Herausforderung im Europa des Jahres 2021 anzunehmen und zum Leitfaden ihrer weiteren Entwicklung zu machen. Europa braucht die Europa-Universität – heute mehr noch als 1991.
Die Reden zur Gründungsfeier am 6.September 1991 lesen Sie hier.
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