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Herzlichen Glückwunsch zu der Auszeichnung, Frau Steffen. Wie kamen Sie auf die zunächst überraschende Verbindung vom schlesischen Leinwand-Geschäft zum Sklavenhandel als Thema für Ihre Dissertation?
Es war schon bekannt, dass billige Leinwand zur Bekleidung von Versklavten in den Amerikas genutzt wurde. Neu ist hingegen meine Erkenntnis, dass die Leinwand aus Schlesien eben nicht unbedingt ein minderwertiger Bekleidungsstoff für versklavte afrikanische Frauen und Männer gewesen ist, sondern als Qualitätsware zu deren Eintausch an der Küste Westafrikas von allen europäischen Sklavenhändlern gebraucht wurde und auch der Bekleidung von weißen Kolonisten in den Kolonien diente. Ich muss zugeben, als ich mit meinen Nachforschungen zu den schlesischen Leinwandkaufleuten und ihren Handelsverbindungen zu den europäischen Hafenmetropolen vor mittlerweile sieben Jahren anfing, wusste ich nicht, dass sich mir dadurch die regelrechte Interdependenz schlesischer Leibeigenschaft mit dem transatlantischen Versklavtenhandel und den Plantagenwirtschaften in der „Neuen Welt“ aufdrängen würde. Diesen Gedanken verdanke ich, glücklicherweise muss ich sagen, dem Quellenmangel. Ich habe nach fast drei Monaten intensiver Recherche im Britischen Nationalarchiv in London schlicht nur einen einzigen Brief eines schlesischen Kaufmanns gefunden. Fast schon aus Verzweiflung habe ich mir dann die Ladungslisten der Royal African Company of England vorgenommen, um wenigstens zu ergründen, wie hoch der Anteil schlesischer Leinwand am Gesamtvolumen des Textilexports dieser im Versklavtenhandel von Westafrika in die Karibik führenden Handelsgesellschaft gewesen ist. Der sprunghafte Anstieg in der Menge verschiffter schlesischer Leinwand an die sogenannte Gold- und Sklavenküste der Bucht von Guinea um 1700 fiel erstaunlicherweise in genau die Zeit, in der schlesische Leinwandkaufleute zum Teil mehrere Gutshöfe erwarben und Veredelungsanlagen für Leinenstoffe aus der Stadt auf das Land verlagerten.
Anka Steffen (Mitte) bei der Preisverleihung mit ihrer Laudatorin Apl. Prof. Dr. Margrit Schulte-Beerbühl und Prof. Dr. Mark Häberlein, erster Vorsitzender der Gesellschaft für Globalgeschichte e.V.
Was haben Sie daraus gefolgert?
Ich fing an zu begreifen, dass die amerikanisch-karibische Plantagensklaverei und die schlesische Leibeigenschaft, also zwei sehr strenge Formen unfreier Arbeit, sich möglicherweise gegenseitig mitbedingen könnten. An diesem Punkt habe ich begonnen, den schlesischen Leinwandkaufmann-Gutsbesitzern nachzuspüren. Ich wollte verstehen, wie es ihnen gelungen ist, die Leibeigenschaft in Schlesien unter ihrer Regie zu intensivieren. Der Landerwerb durch Kaufleute, um an untertänige Arbeitskräfte zu kommen, die gute Leinwand unschlagbar kostengünstig herstellten, die wiederum mit Preisvorteil international angeboten werden konnte, ist nirgends sonst in Europa belegbar. Je mehr ich mich in die erhaltenen Gutsunterlagen einarbeitete, desto klarer wurden die ungewöhnlich hohen Arbeitslasten – eigentlich Arbeitsbelastungen – der erbuntertänigen schlesischen Spinner und Weber, Bleicher und Mangler – im Grunde der gesamten schlesischen Landbevölkerung in den Ausläufern des Riesengebirges. Im Dienst der Leinwandkaufleute aus den fünf Gebirgshandelsstädten – Hirschberg (Jelenia Góra), Landeshut (Kamienna Góra), Schmiedeberg (Kowary), Greiffenberg (Gryfów Śląski) und Waldenburg (Wałbrzych) – produzierten sie die Handelsware, die bis ins späte 18. Jahrhundert zur führenden textilen Handelsware im atlantischen Raum gehörte. Der Kern meiner Dissertation ist also aus einem zufälligen Gedanken geboren worden.
Was macht dieses Thema für Sie so interessant?
Zwei Aspekte möchte ich in diesem Zusammenhang herausstellen. Erstens: Vor dem Hintergrund einer sich zunehmend globalisierenden Weltwirtschaft, den Globus umspannenden Warenströmen, aber auch der Menschenverschleppung aus Afrika seit dem 16. Jahrhundert, werden tradierte Deutungsmuster des östlichen Europas als einer rückständigen Wirtschaftszone gebrochen. Ich widerlege eindeutig, dass ausschließlich Rohstoffe ausgeführt wurden. Zweitens: Unter transatlantischen Handelsvorzeichen stellt sich die Gutswirtschaft aus Sicht der schlesischen Wirtschaftselite als ein produktives Arbeitsregime dar und damit auch als eine plausible Modernisierungsvariante. Unfreie Arbeit war – neben der sogenannten freien Fabrikarbeit beispielsweise im „Mutterland der Industrialisierung“ England – ein plausibles Modernisierungselement, das einem Wirtschaftswachstum dienlich war. Der von den schlesischen Leinwandkaufleuten etablierte Niedriglohncharakter der Provinz erleichterte wiederum Unternehmern in der Mitte des 19. Jahrhunderts schließlich die Rekrutierung von Niedriglohnarbeitern für ihre Textilfabriken. Die wirtschaftliche Entwicklung Ost(mittel)europas jenseits nationalstaatlicher Grenzen zu verstehen und Langzeitfolgen für die Region abseits ideologischer West-Ost-Dichotomien aufzudecken, ist das Spannende an diesem Thema.
Was waren die größten Herausforderungen der Arbeit?
Das war das Entziffern alter Kirchenbücher aus dem späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. Die Handschrift des Schlesischen Provinzialministers Ernst Wilhelm von Schlabrendorff (1719–1769) kann ich allerdings bis heute nicht wirklich lesen.
Zum Glück hat Prof. Dr. Klaus Weber meine Stipendienanträge mit immer zügig verfassten Empfehlungsschreiben unterstützt, so dass ich meine teilweise sehr langen Archivaufenthalte ohne finanziellen Druck durchführen konnte. An dieser Stelle ergibt sich für mich endlich die Gelegenheit, dem gesamten Team des Lehrstuhls und des Globalized Periphery Projektes für die hervorragende Zusammenarbeit Danke zu sagen. Auf der universitär-kollegialen Ebene hatte ich jedenfalls zu keiner Zeit Herausforderungen zu meistern!
Arbeiten Sie weiter an dem Thema?
Ich bin in der glücklichen Lage behaupten zu können, die Nase nicht gestrichen voll von meinem Dissertationsthema zu haben. Die Beteiligung von beispielsweise aus Italien ins mehrheitlich protestantische Schlesien eingewanderten katholischen Südfrüchte- und Weinhändlern am Leinwandexport in den Mittelmeerraum und von dort aller Wahrscheinlichkeit nach ins Osmanische Reich hat noch niemand untersucht. Die entsprechenden Quellenfunde für einen Aufsatz dazu habe ich vorsorglich in einem Extraordner gesichert. Angefragt wurde ich bereits für einen längeren Artikel zum noch wenig bekannten Umschlag von Leinwand auf den Leipziger Messen im 17. und 18. Jahrhundert. Das Thema Leinwand und der Handel mit ihr wird mich also nicht gleich loslassen.
Interview: Frauke Adesiyan
Foto: PD Dr. Andreas Flurschütz da Cruz
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