„Generation Corona“ – Viadrina-Student Dario Schramm zu seinem Buch über Missstände in der Bildungspolitik

Dario Schramm hat in der Pandemie nicht nur sein Abitur gemacht, er war als Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz in dieser schwierigen Zeit quasi der höchste deutsche Schülersprecher. Sein ernüchterndes Fazit zieht der heutige Viadrina-Student in dem Buch „Die Vernachlässigten. Generation Corona: Wie uns Schule und Politik im Stich lassen“, das am 1. Februar im Droemer-Verlag erscheint. Im Interview erzählt er, was in der Bildungspolitik schiefläuft und wie es ihm inzwischen als Student im Online-Modus geht.

Dario, gab es den einen Moment in der Pandemie, an dem dir besonders deutlich wurde, dass Schule und Politik euch Schülerinnen und Schüler im Stich lassen, wie es im Titel deines Buches heißt?
Ja, das war während der Europameisterschaft im vergangenen Sommer, als die Leute überall in guter Stimmung draußen saßen und in Biergärten zusammen Fußball geschaut haben. Auch ich habe das mit Freunden in Köln genossen. Und gleichzeitig gab es viele Schulen in vielen Bundesländern, in denen der Unterricht noch nicht zurück war. Die Kinder saßen zu Hause, haben am Nachmittag aber die vollen Straßen gesehen. Da hat man gemerkt, dass die Prioritätensetzung nicht so ist, wie sie politisch transportiert wurde.

Welchen Aspekt der Bildungspolitik kritisierst du am meisten?
Mein größtes Anliegen ist die Frage der Chancengerechtigkeit. Ich war selber auf einer Gesamtschule und habe miterlebt, was die wirtschaftliche Herkunft für Schüler bedeutet. Es ist fatal, wie ungenügend wir Familien, die weniger Ressourcen haben, unterstützen. Bildung ist super abhängig vom Elternhaus und davon, was für Möglichkeiten es dort gibt. Die Möglichkeiten der Unterstützung – beispielsweise durch das Bildungs- und Teilhabepaket – sind viel zu bürokratisch.

Das ist aber kein Problem, das die Pandemie hervorgebracht hat.
Richtig. Ich habe total oft gehört, dass die Corona-Pandemie die Bildungsungerechtigkeit verursacht hat. Damit reduziert man ein Jahrzehnte altes Problem. Die Pandemie hat das vorhandene Problem verstärkt und sichtbarer gemacht, weil auf einmal das Kinderzimmer zum Klassenraum wurde. Bei den einen war der super ausgestattet und ruhig, andere mussten sich ein Zimmer ohne Internetanschluss teilen.

AF_Dario Schramm_008_190 ©Verlag Droemer Knaur

Wie könnte man für mehr Gerechtigkeit sorgen? Ist unbedingter Präsenzunterricht die Lösung?
Diese Frage des Abwägens zwischen Präsenzunterricht und Gesundheitsschutz beschäftigt einen ja spannender Weise auch wieder an der Uni. Da gibt es nicht die eine richtige Antwort. Dennoch hätte ich mir für Kinder, die zu Hause kein gutes Lernumfeld haben, mehr Möglichkeiten gewünscht. Absolute Chancengleichheit ist nicht möglich, aber man hätte mit Internetanbietern und mit Geräteherstellern Kinder bestmöglich auszustatten können, damit sie teilhaben können. Denn das ist ja das Schlimmste, dass es Kinder ohne Geräte und ohne Internet gab. Die waren einfach raus, die waren nicht mehr Teil dieser Gemeinschaft.

Cover-SChramm-190 ©Verlag Droemer Knaur

Wie erklärst du dir dieses politische Nicht-Handeln?
Man hat das Thema Bildung über Jahrzehnte vernachlässigt. Die Berge, die man nun angehen müsste, sind so groß geworden, dass es einfacher ist, sich drum herum zu winden, als anzufangen zu schaufeln. Meine Hoffnung ist, dass man anfängt, an dem Haufen zu arbeiten.

Was wären deine ersten Schaufelhiebe?
Wir können nicht wie wild drauf los ackern, sondern brauchen einen Plan. Dafür gilt es zu analysieren, was unsere Probleme sind und dann mit allen Beteiligten – von der Politik auf allen Ebenen bis zu Lehrer, Schülern und Eltern –  Schritt für Schritt die Lösung anzugehen. Der Mut und die Motivation wären viel größer, wenn wir wüssten: Ja, es ist eine Mammutaufgabe, aber wir haben einen Plan; wir können das schaffen.

Du bist inzwischen vom Homeschooling beim Abi in die Online-Lehre an der Viadrina gewechselt. Spiegeln sich die gleichen beschriebenen Probleme für dich auch an der Uni?
Ich finde das Argument erschreckend leichtfertig, Studierende seien älter, die könnten das ab. Ich habe selber erlebt, wie schwer das ist, als ich von Köln nach Frankfurt (Oder) gekommen bin. Es war nach der schwierigen Abizeit toll, das Studium richtig in Präsenz zu beginnen. Viele meiner Kommilitonen sind aber nach der Umstellung auf Online wieder nach Hause gegangen. Das Miteinanderstudieren, das für mich so sehr zur Uni dazugehört, geht unter.
(FA)

„Die Vernachlässigten. Generation Corona: Wie uns Schule und Politik im Stich lassen“ erscheint am 1. Februar im Verlag Droemer Knaur

Buchpremiere mit Autor Dario Schramm und Journalist Armin Himmelrath (DER SPIEGEL) am Dienstag, 1. Februar 2022, 19.00 Uhr, Dussmann Das KulturKaufhaus, Friedrichstr. 90, Berlin

Onlinevorstellung am Donnerstag, 3. Februar, 20.00 Uhr

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