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Sie können den 98 Wörter zählenden ersten Satz aus Kleists Erzählung „Der Zweikampf“ flüssig vorlesen. Sie wissen, was hinter der rätselhaften Gravur auf einem Kaffeeservice steckt, das Heinrich von Kleist einst seiner Verlobten schenkte und auch, warum er sein Studium an der Viadrina im Jahr 1801 nach nur drei Semestern abbrach. Weronika Ciepielewska und Agnieszka Kryszczuk sind innerhalb eines Semesters von Kleist-Neulingen zu Kleist-Kennerinnen geworden. Die Studentinnen haben im Rahmen eines Seminars eine Fortbildung zu Storyteller-Guides im Frankfurter Kleist-Museum absolviert. >>>weiterlesen
Zur Abnahme der von ihnen erarbeiteten Führungen kommen Mitte Februar Kommilitoninnen und Kommilitonen der Interkulturellen Germanistik ins Museum. Sichtlich aufgeregt führen Weronika und Agnieszka nacheinander die kleinen Gruppen durch die Dauerausstellung „Rätsel, Kämpfe, Brüche“ über das Werk und das Leben von Heinrich von Kleist, der 1777 in Frankfurt (Oder) geboren wurde und später hier studierte. Sie sind gut vorbereitet, viele Fakten stehen auf den dicken Stapeln von Karteikarten in ihren Händen, auf die sie kaum schauen müssen. Ihnen gelingen sogar kleine Späße, etwa wenn Weronika an den eindrucksvoll inszenierten Lichtbüchern eine Besucherin auffordert, den legendären, 98 Wörter langen Satz vorzulesen. Sie kommentiert: „Macht euch also keine Sorgen, wenn Sätze in euren Essays mal wieder länger werden. Kleist hat das auch schon so gemacht.“
„Eine der größten Herausforderungen für die Studierenden war der Unterschied zwischen einem Vortrag an der Uni und einer Führung“, erzählt Magdalena Hülscher, die im Rahmen des von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Programms 360° im Kleist-Museum für Outreach-Aktivitäten zuständig ist. „Hier müssen sie nicht nur mit ihrem Wissen arbeiten, sondern auch mit den Objekten – und mit den Besuchern“, betont sie. Um das zu lernen, haben die Teilnehmenden des Seminars einerseits Einführungen in Werk und Leben des in Frankfurt (Oder) geborenen Dichters bekommen. Zusätzlich standen Sprech- und Rhetorik-Trainings und „die Kunst Geschichten zu erzählen“ auf dem von Magdalena Hülscher konzipierten Seminarplan. Als eines von wenigen Viadrina-Seminaren im Wintersemester konnte die Veranstaltung fast durchgehend in Präsenz stattfinden.
Zehn der 15 Studierenden aus dem Seminar lassen zum Semesterabschluss ihre selbstkonzipierten Rundgänge abnehmen und können bei erfolgreichem Abschluss künftig für Führungen gebucht werden. Den Pool der Museumsguides zu vergrößern und vermehrt auch Führungen in anderen Sprachen anbieten zu können, ist Ziel des Kleist-Museums. Künftig soll die Storyteller-Fortbildung nicht nur Studierenden, sondern allen Interessierten angeboten werden.
Für Weronika Ciepielewska und Agnieszka Kryszczuk war dieses Seminar der erste Kontakt mit Kleist. „In Polen kommen wir damit in der Schule nicht in Berührung“, sagt Agnieszka fast entschuldigend. Als sie erfahren hat, dass ihre Uni-Stadt einen so berühmten Sohn hat und sie sich in einem Seminar mit ihm beschäftigen kann, hat sie nicht gezögert. Ihre Führung endet vor dem kleinen Zimmer im Museum, das auch Todesraum genannt wird. Steht man darin, schaut man dank Fototapete in den herbstlich kahlen Grunewald und fühlt sich an den Ort versetzt, an dem Heinrich von Kleist 1811 erst Henriette Vogel und dann sich selbst erschoss. Kleist hatte dafür drei Pistolen vorbereitet. „Er wollte ganz sichergehen. Vorher hatte er seiner Schwester Ulrike einen Brief geschrieben mit der Bitte, die Beerdigungskosten zu übernehmen“, weiß Agnieszka natürlich auch eine Anekdote über das Ende des Frankfurter Dichters zu erzählen.
(FA)
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