„Es ist schwierig, die Balance zwischen Optimismus und Wut zu finden“ – Viadrina-Studentin Inesa Posypai über ihre Unterstützung für ihr Heimatland Ukraine

Die Ukrainerin Inesa Posypai studiert im siebten Semester an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Viadrina und lebt in Frankfurt (Oder). Seitdem Russland am 24. Februar den Krieg gegen ihr Heimatland anfing, hat sich ihr Leben komplett gewandelt. Nun organisiert sie Hilfstransporte, betreut geflüchtete Menschen aus der Ukraine, übersetzt, wirbt Spenden ein, tröstet und hilft.

Vier Tage, nachdem der russische Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, sitzt Inesa Posypai ihrem Hausarzt gegenüber. Eigentlich kommt sie nur für eine Impfung, doch als Dr. Christian Pierau seine Patientin fragt, wie es ihr gehe, beginnt sie zu weinen. Es liegen Tage hinter ihr, die daraus bestanden, Nachrichten über die Angriffe auf ihre Heimat zu schauen, ihrem Entsetzen bei Demonstrationen Ausdruck zu geben, mit den Eltern in der Heimat zu telefonieren – und zu weinen. Als sie ihrem Arzt davon berichtet, stößt sie damit eine der größten Hilfsaktionen an, die von Frankfurt (Oder) aus Ukrainerinnen und Ukrainer unterstützt. >>> weiterlesen

Großes Engagement: Gemeinsam mit ihrer Freundin Valentyna Barylo (r.) packt Inesa Posypai Medizin-Spenden (Foto 1). Beide begleiten eine Spendenlieferung an die polnisch-ukrainische Grenze (Foto 2). Auch mit dem CVJM organisiert sie eine Spenden-Aktion (Bild 3). Inesa übersetzt während eines Interviews mit einer Ukrainerin, die gerade vor dem Krieg geflohen ist.


Eigentlich studiert Inesa im siebten Semester den Masterstudiengang „Sprache, Medien, Gesellschaft“. Doch für die Masterarbeit bleibt wenig Zeit, seitdem ukrainische Städte bombardiert werden und Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainern auf der Flucht sind. Gemeinsam mit Christian Pierau ruft Inesa zu einer Sammlung von Medikamenten, Verbandsmaterial und anderen medizinischen Produkten auf. In einem Video erläutert sie mit ihrer Freundin und Mitbewohnerin Valentyna Barylo, wie nötig ihr Heimatland Hilfe braucht. In wenigen Tagen kommen 10.000 Euro Spenden zusammen; am 8. März rollen die ersten zwei Transporter an die polnisch-ukrainische Grenze. Mit dabei sind Inesa und Valentyna; sie übersetzen, halten den Kontakt mit den Empfängern der Lieferung und koordinieren die Reise. Vor wenigen Tagen kamen Freiwillige von einem zweiten Transport zurück. Diesmal waren schon fünf Autos nötig, um alle Spenden zu transportieren.

Es ist Inesa Posypai wichtig zu betonen: „Ich bin nicht allein, die ukrainische Community ist groß.“ Rund um den Viadrina-Absolventen Oleksii Kysliak ist die Initiative „FF hilft“ entstanden. Aus einer WhatsApp-Gruppe mit rund zehn ukrainischen Studierenden und Alumni wuchs schnell ein Chat mit rund 200 Menschen, die ihre Unterstützung für Ukrainerinnen und Ukrainer anbieten und abstimmen. Vor Ort in Frankfurt (Oder) können Inesa und ihre ukrainischen Kommilitoninnen vor allem mit ihren Sprachkenntnissen helfen. Sie unterstützen Menschen, die hier ankommen, unter anderem bei einem Treffpunkt, den der CVJM eingerichtet hat. „Viele wollen unbedingt nützlich sein“, berichtet sie. Vor allem aber gibt es ein großes Bedürfnis zum Austausch. „Die Geflüchteten sind eben auch Augenzeugen vieler schrecklicher Dinge.“ Den ankommenden Ukrainerinnen und Ukrainern zu helfen, damit sie sich wohlfühlen und ein möglichst normales Leben führen können, darin sieht Inesa für die nächsten Wochen ihre Hauptaufgabe.

Dass sie selbst von der Normalität, die sie anderen ermöglichen möchte, weit entfernt ist, wird im Gespräch schnell deutlich. Danach gefragt, wie sie all ihr Engagement mit ihrem Studium vereint, sagt sie: „Ich würde alles tun für mein Land. Aber arbeiten muss ich auch.“ Mit ihrem Job im Frankfurter IHP finanzierte sie bisher ihr Studium und ihr Leben in Frankfurt (Oder). Seit zwei Wochen ist sie nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich; ihre 16-jährige Schwester lebt nun bei ihr. Mit dem CVJM hatte Inesa weitere Hilfsgüter an die Grenze transportiert; auf ihrem Rückweg nahmen sie ihre Schwester und ein weiteres Mädchen mit nach Frankfurt (Oder). Für sie müsse sie stark sein: „Es ist sehr schwierig, die Balance zu finden, zwischen dem Optimismus, dass wir bald gewinnen und der Wut und Angst“, beschreibt Inesa ihre Situation. Wenn es ihr schlecht gehe, helfen Telefonate mit den Eltern, die sie stark und selbstbewusst nennt. „Wenn ich mit ihnen rede, werde ich erstaunlicher Weise ruhiger.“

Auch die ehrenamtliche Arbeit helfe, mit den widerstreitenden Gefühlen zurechtzukommen. „In den ersten Tagen hatten wir starke Schuldgefühle, vor allem, weil wir in Sicherheit sind“, erzählt die Studentin von der Gefühlslage in ihrer Wohngemeinschaft. Das Gefühl sei immer noch da, mit den Hilfsaktionen aber sei es leichter zu ertragen.

(Text: FA; Fotos: Anna Tiessen, Christian Pierau, Privat)