Kontakt
Abteilung für
Hochschulkommunikation
Tel +49 335 5534 4515
presse@europa-uni.de
Sitz:
Hauptgebäude
Räume 114-117, 102
Postanschrift:
Große Scharrnstraße 59
15230 Frankfurt (Oder)
Mehmet Daimagüler hat Witwen, Kinder und Eltern von Menschen vertreten, die von den Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zwischen 2000 und 2007 ermordet wurden. Auch nach dem rassistischen Attentat im Münchener Olympia-Einkaufszentrum mit neun Todesopfern im Jahr 2016 vertrat er die Nebenklage. Es sind ernüchternde Erfahrungen, von denen er in seinem Vortrag „Verfolgungswillen rechtsextremer Straftaten – alles anders seit dem NSU?“ den Studierenden, Beschäftigten und externen Gästen an der Viadrina berichtet. Schnell herrscht im Seminarraum beklemmende Stille, wenn Daimagüler von Abdurrahim Özüdoğru erzählt, der in der Schneiderei seiner Frau in Nürnberg erschossen wurde und den die Täter in seinem Todeskampf fotografierten. Wenn er beschreibt, wie Grundschulkinder nach der Ermordung des beliebten Imbissbesitzers Ismael Yaşar Teddys, Fotos und Blumen niederlegten. Beide waren Opfer der Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt vom NSU.
Was über die Brutalität der Mörder hinaus zutiefst verstört, ist der Umgang der Behörden mit den Fällen. Als Vertreter der Nebenklage hatte Daimagüler Einblick in die Akten aller NSU-Morde und erkennt deutliche Muster, obwohl die Ermittlungen in unterschiedlichen Städten und Bundesländern unabhängig voneinander geführt wurden. Sofort kam es in allen Fällen zu einer Kriminalisierung der Opfer, anschließend zu einer Kriminalisierung der Angehörigen. Schnell war von Verbindungen ins Drogenmilieu die Rede. Die Frau des Blumenhändlers Enver Şimşeks beispielsweise wurde auf dem Revier verhört, während ihr Mann im Krankenhaus an seinen Schussverletzungen starb. „Hinzu kommt das Ignorieren von Hinweisen auf die wahren Täter“, lenkt Daimagüler den Blick auf eine verheerende Leerstelle in den Ermittlungen. Immer wieder hatten Zeuginnen und Zeugen angegeben, zwei deutsch aussehende Männer an den Tatorten gesehen zu haben. Noch im NSU-Prozess 2017/2018 sprachen Polizeibeamtinnen und -beamte davon, in alle Richtungen ermittelt zu haben. „Das ist gelogen. Hinweise auf Täter, die nicht so aussahen, wie die Beamtinnen und Beamten sich das vorstellten, wurden ignoriert“, sagt Daimagüler. Das habe nicht nur eine frühzeitige Erfassung der Mörder verhindert, es habe die Täter, so die Überzeugung des Anwaltes, in ihren perfiden Mordvorhaben bestärkt.
„Das staatliche Narrativ von einigen Pannen, die passiert sind, stimmt nicht. Es waren Morde, an denen der Staat eine erhebliche Mitverantwortung trägt“, so die Einschätzung von Daimagüler. Schon weit vor den folgenreichen Fehlern der Polizei habe der Verfassungsschutz durch seine V-Leute im Thüringischen Heimatschutz entscheidende Helfer des NSU aufgebaut und finanziert.
Zu einem großen Aufrütteln und einer Zäsur habe die immer noch lückenhafte Aufarbeitung der NSU-Morde nicht geführt – weder bei der Polizei noch im Verfassungsschutz. Dennoch sieht Daimagüler Fortschritte – vor allem außerhalb des Staatsapparates. „Vor allem Betroffene haben dazu gelernt; wir können endlich offen über Rassismus sprechen“, sagt er. Gesellschaftliche Initiativen erzwingen inzwischen Aufmerksamkeit, beispielsweise im Fall des in einer Dessauer Polizeistation verbrannten Oury Jalloh. Zudem nehme Mehmet Daimagüler einen politischen Willen wahr, nicht zur Tagesordnung zurückzukehren, etwa im zweiten parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum NSU.
Große Hoffnungen setze er vor allem in die nachwachsende Generation von Juristinnen und Juristen, wie sie im Seminarraum vor ihm sitzt. „Lassen sie sich nicht entmutigen!“, sagt er zu ihnen. Er appelliert an sie, Werte wie Gerechtigkeit und die Übernahme von Verantwortung nicht aus dem Auge zu verlieren – wem es um „Geld und dicke Autos“ gehe, der solle lieber Immobilienmakler werden. Schließlich mahnte Mehmet Daimagüler: „Wenn wir als Bürgerinnen und Bürger Dinge geschehen lassen, dann geschehen sie.“
(FA)
Abteilung für
Hochschulkommunikation
Tel +49 335 5534 4515
presse@europa-uni.de
Sitz:
Hauptgebäude
Räume 114-117, 102
Postanschrift:
Große Scharrnstraße 59
15230 Frankfurt (Oder)