„Sie sind mutig, weil sie das Wissen haben“ – Iranische Viadrina-Studentin über den Freiheitskampf in ihrer Heimat

An der Viadrina studieren sechs Menschen aus dem Iran – ein Land, in dem seit dem Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 ein Kampf für Freiheit tobt. Eine der iranischen Viadrina-Studierenden ist die 31-jährige Masterstudentin M.* aus Teheran, die im dritten Semester International Business Administration in Frankfurt (Oder) studiert. Sie schaut voller Wut auf die Willkür und die Gewalt der iranischen Behörden und zugleich hoffnungsvoll auf die Zukunft ihres Heimatlandes.

Während Studentinnen im Iran in diesen Monaten voller Mut, Solidarität und Kreativität für Freiheit und Gleichbehandlung protestieren und dafür riskieren, verprügelt, verhaftet und sogar zum Tode verurteilt zu werden, versucht M. auf dem Campus der Europa-Universität ihr Masterstudium und das Engagement für ihr Heimatland unter einen Hut zu bekommen. Hinzu kommt die Sorge um Familie und Freunde in der Heimat. „Für die Iranerinnen und Iraner waren die letzten zwei Monate eine Ära; wir sind nicht mehr die gleichen Menschen. Jeden Abend gehe ich mit dem Gedanken daran ins Bett, dass junge Menschen verschleppt, vergewaltigt und getötet werden“, sagt sie und kann die Tränen nicht zurückhalten.

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Täglich klickt sie sich durch iranische Social-Media-Profile, liest offizielle Medien der Regierung, internationale Nachrichtenportale und Informationen verlässlicher Nachrichtenagenturen. Sie vergleicht die Propaganda der iranischen Staatsführung mit den Angaben von Menschenrechtsorganisationen für die vergangenen zwei Monate: von mehr als 300 durch das Regime getöteten Menschen und über 5.000 Verletzten ist die Rede, die Zahl der Festgenommenen wird auf mehr als 14.000 geschätzt. Und während das alles für manche Mitstudierende in Frankfurt (Oder) weit weg scheint, sagt M.: „It is all about me“ – „Es geht hier um mich.“ Denn wie die 22-jährige Jina Mahsa Amini, die starb, nachdem die sogenannte Sittenpolizei sie wegen angeblicher Verstöße gegen die Kleidervorschriften festgenommen hatte, hat auch sie Erfahrung mit der Willkür der iranischen Behörden gemacht. „Es ist egal, wie du gekleidet bist, wenn sie wollen, halten sie dich fest“, sagt sie. Die Frauen, die man in diesen Tagen so wütend ihre Kopftücher verbrennen sieht, die den Mullahs den Mittelfinger zeigen und tanzend und singend ihre Solidarität ausdrücken wissen: Sie alle könnten Mahsa Amini sein.

Den Mut der jungen Protestierenden im Iran, die trotz aller Gewalt und Drohungen auf den Straßen protestieren, erklärt sich M. auch mit ihrer Bildung. „Egal wieviel Zensur die Regierung ausübt, wie sehr sie das Internet einschränkt, die junge Generation ist mit der Welt verbunden. Sie folgt den Social-Media-Kanälen, schaut Filme, lernt Sprachen, studiert und erlernt Berufe. Diese Menschen sind mutig, weil sie das Wissen haben“, ist M. überzeugt. Daher verwundert es sie nicht, dass zu den Zentren des Protests vor allem die Universitäten im Iran zählen.

M. möchte ihre derzeitige Entfernung von der Heimat dafür nutzen, die Aufmerksamkeit für das, was in ihrem Land passiert, zu vergrößern. „Die Revolution steht auf mehreren Säulen, eine davon ist das Engagement von Iranerinnen und Iranern im Ausland, die Informationen über Social Media-Kanäle teilen und Prominente dazu bringen, ihre Reichweite für die iranische Sache zu nutzen“, erläutert sie die Aufgaben, die sie für sich selbst sieht. Dafür ist sie fest eingebunden in die iranische Community in Berlin, wohin sie regelmäßig pendelt. Ihrer Familie im Iran erzählt sie davon nichts, zu groß ist deren Sorge um sie. M. ist sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst. „Ich kann zu diesem Jahreswechsel nicht nach Hause fliegen wie geplant. Sie würden meine Aufenthaltsdokumente wegnehmen und mich als Geisel im eigenen Land halten“, ist sie überzeugt. Auch ihre Familienmitglieder könnten in Gefahr sein, wenn sie mit ihrem Engagement zu unvorsichtig wird. Und doch möchte sie nicht passiv sein: „Ich möchte im Rückblick das Gefühl haben, etwas für mein Land getan zu haben. Ich will nicht zu dieser – wie wir es nennen – grauen Kategorie gehören, die mit ihrer Passivität Hoffnungslosigkeit verbreitet.“

Zurückdrehen könne man die Proteste im Iran, die für M. längst eine Revolution darstellen, nicht mehr. In ihrem Kopf habe sie eine klare „Iran-Utopie“. Das Land könne von den vielen schlauen Menschen geführt werden, die heute in den Gefängnissen sitzen. In „ihrem“ Iran der Zukunft gibt es keinen Zwang mehr, nicht den, mit einem Hidschab die Haare zu verdecken und auch sonst keinen. „Ich sehe einen Iran, in dem Menschen in Freiheit leben, ohne Gewalt, Schüsse und Blut“, schaut sie in die Zukunft. Ihre Mails unterschreibt sie mit dem Slogan der Proteste: „Woman. Life. Freedom“ – „Frau. Leben. Freiheit.“

(FA)


*Zum Schutz der Studentin und ihrer Familie nennen wir weder ihren vollen Namen noch zeigen wir ihr Gesicht.

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