Gemeinsame Narrative als Schutz vor politischen Pyromanen – Diplomat Marek Prawda eröffnet Symposium „Bartoszewski Promemoria 2“

Über die Auswirkungen des Krieges Russlands gegen die Ukraine auf den deutsch-polnischen Diskurs diskutierten namhafte polnische und deutsche Forschende beim Symposium „Bartoszewski Promemoria 2“, zu dem die Karl Dedecius Stiftung am 14. November 2022 an die Viadrina eingeladen hatte. In seiner Eröffnungsrede sprach Dr. Marek Prawda, ehemaliger Botschafter Polens in Deutschland, über eine notwendige Veröstlichung der EU sowie die Rollen Polens und Deutschlands dabei.

„Sagt denen im Westen, dass es uns auch gibt“, waren die Worte, die der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch schon während der „Orangen Revolution“ 2004 an Marek Prawda richtete, als der ihn fragte, wie man der Ukraine helfen könne. Osteuropa in Westeuropa Gehör zu schenken und zu Gehör zu bringen – das sei auch weiterhin die Aufgabe Polens in der EU, die mitten in einer „Veröstlichung“ stecke, so die Überzeugung Prawdas. Er erinnerte an das Bedauern der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, im September dieses Jahres, man hätte früher auf diejenigen hören sollen, die Putin kennen. „Ein dramatischeres Eingeständnis der verpassten Lektionen einer Veröstlichung Europas kann man kaum finden“, sagte er.

Verpasst worden sei die Wahrnehmung östlicher Perspektive aber schon weit früher. So erinnerte Prawda, der unter anderem in Schweden, Deutschland und der Europäischen Union als Botschafter Polens tätig war, an die westliche Wahrnehmung der politischen Prozesse von 1989 auf einen „Zusammenbruch ineffektiver Systeme an der Peripherie“. Dieser Ansatz reduziere die dramatischen menschlichen und gesellschaftlichen Entscheidungen dieser Zeit in den vormals sozialistischen Ländern zu unbedeutenden Fußnoten. „Dieses Vorgehen verschließt zudem die Augen vor dem wahren Charakter der neuen Gemeinschaften, die in den 1990er-Jahren von Menschen mit Diktaturerfahrung aufgebaut wurden“, sagte Prawda und verwies auf das von der Bundesregierung geplante „Zentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“, als dessen Standort sich Frankfurt (Oder) gemeinsam mit der Viadrina gerade bewirbt. Dort sollten genau solche Prozesse nachholend erforscht und dargestellt werden.

Die deutsch-polnischen Beziehungen haben laut Prawda eine besondere Bedeutung bei dem aktuellen Wandel Europas. Gemeinsam sollte man sie vor „politischen Pyromanen“ schützen, mit gemeinsamen Narrativen gegen antideutsche Hysterie und antieuropäische Agitation vorgehen. Die gemeinsamen aktuellen Herausforderungen seien das, was am meisten verbindet. In Bezug auf den Historiker und früheren polnischen Außenminister Władysław Bartoszewski, dem das Symposium gewidmet war, betonte Prawda, dass eine kollektive Identität eben nicht, wie so oft praktiziert, durch Abwendung und Abgrenzung gestärkt wird, sondern durch Offenheit gegenüber dem Nachbarn, im Bemühen um gegenseitiges Verstehen – auch indem man sich die mitunter schmerzvolle Wahrheit sagt.

Im Anschluss an Prawdas Vortrag wurde in drei Gesprächsrunden die aktuelle Bedeutung Europas als Interessengemeinschaft, Sicherheitsgemeinschaft und Wertegemeinschaft thematisiert. Zu Wort kamen unter anderem Prof. Dr. Gesine Schwan, frühere Viadrina-Präsidentin und heute Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Platform, Viadrina-Preisträgerin und Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Irena Lipowicz, Rolf Nikel, bis 2020 Botschafter in Polen, sowie die Viadrina-Forschenden Prof. Dr. Gangolf Hübinger und PD Dr. Carolin Leutloff-Grandits.

Das gesamte Symposium ist als Videomitschnitt in einer deutschen und einer polnischen Version abrufbar:
Videomitschnitt deutsch
Videomitschnitt polnisch

Die Veranstaltung wurde von der Karl Dedecius Stiftung in Kooperation mit der Kardinal-Stefan-Wyszynski-Universität (Fakultät Recht und Verwaltung), dem Oekumenischen Europa-Centrum, dem Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien sowie dem Viadrina Center B/ORDERS IN MOTION organisiert und von der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit finanziell unterstützt.

(FA)

Kontakt

Abteilung für
Hochschulkommunikation
Tel +49 335 5534 4515
presse@europa-uni.de

Sitz:
Hauptgebäude
Räume 114-117, 102

Postanschrift:
Große Scharrnstraße 59
15230 Frankfurt (Oder)