Weltpolitik im Audimax – Ukrainischer Präsident Wolodymyr Selenskyj im Gespräch mit Studierenden
Studierende der Viadrina und der Berliner Universitäten hatten am 17. Januar 2023 die Gelegenheit, mit Wolodymyr Selenskyj per Videokonferenz ins Gespräch zu kommen. Der Präsident der Ukraine sprach über alltäglich gewordene Kriegsgräuel, seine Dankbarkeit für internationale Unterstützung und Jobchancen für Viadrina-Studierende in der Ukraine.
Pünktlich um 15 Uhr tauchte er auf: als Kachel einer Zoom-Konferenz, die an die große Leinwand im Viadrina-Audimax projiziert wurde. Im schwarzen Pullover saß der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor ukrainischen Flaggen und schaute direkt in den Frankfurter Hörsaal, der mit mehr als 500 Studierenden und Beschäftigten vollbesetzt war. An der Humboldt-Universität zu Berlin erwarteten rund 250 Menschen gespannt das Gespräch, mehrere Tausend Klicks zählte später die Aufzeichnung der Veranstaltung. Nicht nur die Präsidentinnen der Universitäten, Prof. Dr. Eva Kocher und Prof. Dr. Julia von Blumenthal, zeigten sich dankbar für diesen Moment. Auch dem Publikum war die fast ungläubige Freude darüber anzumerken, dass sich der Präsident der Ukraine trotz seiner exponierten Rolle im Zentrum der Weltpolitik Zeit für sie nahm.
In seiner Ansprache knüpfte der ukrainische Präsident dort an, wo viele im Hörsaal beim Nachrichtenlesen aufgehört hatten: Er beschrieb die Bergungsarbeiten an einem Wohnhaus in Dnipro, in dem wenige Tage zuvor 44 Menschen durch russischen Raketenbeschuss getötet wurden. „Diese Gräueltaten sind zu unserem Alltag geworden“, sagte er und warb um Verständnis dafür, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer bereit seien zu kämpfen. „Wir möchten nicht, dass der Krieg zum Alltag wird; wir möchten, dass der Frieden alltäglich herrscht.“ Das aber könne nur gelingen, wenn der Krieg gewonnen werde.
Der Zusammenhalt Europas und auch die Haltung Deutschlands gäben ihm dabei Hoffnung: „Die deutsche Politik befreit sich von der russischen Optik“, so seine Beobachtung. Der Kreml denke, Europa sei schwach. „Aber Russland hat sich vertan. Wir haben uns nicht verloren. Die Demokratien sind immer stärker und werden gewinnen.“ An die Studierenden appellierte Selenskyj: „Habt keine Angst, alles zu verändern, tragt nicht das Gewicht der Vergangenheit. Man muss immer nach vorn schreiten, Neues eröffnen, die Freiheit sehen und Fehler eingestehen.“
Im Anschluss an seine Rede nahm sich Wolodymyr Selenskyj Zeit für Fragen der Studierenden. Er berichtete davon, wie sein Land gegen sexualisierte Gewalt vorgehen wolle und dass sich die Ukraine auch im Kriegszustand auf den Reformweg in Richtung EU mache. Auf die Frage von Viadrina-Studentin und AStA-Referentin Hannah Jerger, wie ausländische Universitäten und Studierende der Ukraine helfen können, sagte Wolodymyr Selenskyj: „Es ist das Wichtigste, ein kluger, zivilisierter, moderner Mensch zu sein und alles dafür zu tun, dass die Kinder, die ihr Land verlassen haben und zu Ihnen gekommen sind, sich fühlen wie Menschen. Unsere Studentinnen und Studenten werden später in der Ukraine gebraucht, um das Land aufzubauen. Ich bin dankbar, dass unsere Studentinnen und Studenten weiter studieren können und keine Pause machen müssen.“
Kurz darauf musste Selenskyj die Videokonferenz unterbrechen und es wurde deutlich: Hier spricht der Präsident eines Landes im Krieg – Ein Videoanruf von ukrainischen Streitkräften war für wenige Minuten wichtiger als die Hörsäle in Frankfurt (Oder) und Berlin. Der in Berlin anwesende ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev übernahm kurzerhand die Rolle des Gesprächspartners für die Studierenden. Wenige Minuten später war Selenskyj zurück in den Hörsälen und lieferte sich mit dem angehenden Juristen Vasyl Havrylyshyn von der Viadrina einen spontanen Dialog über künftige Berufschancen. Der Student hatte nach der Besetzungspolitik von diplomatischen Posten gefragt. „Wenn Sie darauf Lust haben, müssen Sie erstmal zu uns kommen und sich bewerben“, entgegnete Selenskyj lächelnd und erwähnte zehn neue Botschaften allein auf dem afrikanischen Kontinent.
Wie ernst die Frage des Exils und der künftigen Rückkehr junger Ukrainerinnen und Ukrainer ist, wurde bei der abschließenden Frage von Viadrina-Studentin Vlada Ilovska deutlich. Sie berichtete davon, dass ihre Heimat-Universität und ihr Wohnheim in Charkiw von russischen Raketen getroffen wurde und fragte den Präsidenten anschließend, warum die Ukraine dennoch ein Land mit Zukunft sei. Selenskyj antwortete: „Die ganze Welt wird irgendwann verstehen, dass die Ukraine ein starkes Land mit starken Menschen ist, die ihre eigene Freiheit mit dem Leben verteidigen.“ Die Ukraine sei das freieste Land der Welt und Freiheit das höchste Gut. Selenskyj sagte weiter: „Die Freiheit ist in uns, in unserem Staat, das werden wir weitergeben an Sie und die neuen Generationen. Sobald Sie die Möglichkeit haben, kommen Sie nach Hause!“ Kurz darauf verschwand das Gesicht des Präsidenten aus den Zoom-Kacheln. Der Applaus und Standing Ovations im Audimax der Viadrina dauerten an.
Zur Aufzeichnung des Livestreams: https://www.youtube.com/watch?v=T_kphp-GbF8
(FA)