„Wenn man Hoffnung hat, ist es leichter“ – Schriftstellerin Maria Tkachivska beim Grenzgespräch an der Viadrina
Prof. Dr. Maria Tkachivska ist Schriftstellerin, Germanistin und Lehrstuhlinhaberin im westukrainischen Iwano-Frankiwsk. Seit der Ausweitung des russischen Angriffskrieges in der Ukraine lebt sie in Frankfurt (Oder) und ist assoziierte Wissenschaftlerin am Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien. Bei einem Grenzgespräch am 18. April 2023 sprach sie über ihre Arbeit in Kriegszeiten und die ukrainische Literatur.
Zum Ende der Veranstaltung wird Maria Tkachivska gefragt, welches Bild sie von der Ukraine vermitteln möchte und sie fasst in wenigen Worten zusammen, was sie voller Leidenschaft und Poesie in den vergangenen anderthalb Stunden ausgeführt hat: „Die Ukraine ist kein Aushängeschild und kein weit entferntes Land. Sie ist ein Land mit eigener Kultur, voller Literatur und Bildung. Wir haben so viel Schönes.“ >>> weiterlesen
Nachdem sie im ersten Teil der Veranstaltung einen rasanten und facettenreichen Einblick in die Geschichte der ukrainischen Literatur geboten hatte, der immer wiederkehrende Einschränkungen durch Sprachverbote, Kriege und Verfolgungen verdeutlichte, kommentierte Moderatorin Dr. Ilona Czechowska: „Du hast viele Namen genannt, aber einen hast du vergessen“. Und tatsächlich hat Maria Tkachivska selbst viele preisgekrönte Werke zur ukrainischen literarischen Welt beigetragen. Darunter ein humorvolles Buch mit Anekdoten vom Aufwachsen ihrer Tochter und ihres Sohnes – beide sind inzwischen erwachsen und leben in Berlin –, ein detailreich recherchierter historischer Roman über die Fürstin von Ostrog und Werke über die Lebensrealität von Zwangsarbeiterinnen im Zweiten Weltkrieg. Von jedem einzelnen Buch kann Maria Tkachivska so mitreißend erzählen, dass viele im Publikum es gern lesen würden – auf Deutsch erschien bisher aber nur ihre humorvolle Heimatkunde „Ukraine von A bis Z“.
Auch wenn sie über mitunter schreckliche Erfahrungen ihrer Roman-Protagonistinnen und -Protagonisten schreibt, seien ihre Bücher im Ton immer hell und hoffnungsvoll, betont Maria Tkachivska. „Es ist für mich sehr wichtig, die Hoffnung nicht zu verlieren“, sagt die Autorin und spricht dabei auch die aktuelle Situation an. Allerdings findet sie seit der Ausweitung des Krieges in der Ukraine kaum Zeit und Ruhe für das Schreiben. Das Hin und Her zwischen ihrer Heimatstadt Iwano-Frankiwsk, wo sie an der Universität lehrt und wo noch ihre Eltern leben und Frankfurt (Oder), wo ihr Mann Vasyl Tkachivskyi als Gastwissenschaftler an der Viadrina arbeitet, mache es schwer, sich zu konzentrieren. Hinzu komme, dass sie der Gedanke, die aktuellen Kriegsgräuel literarisch zu verarbeiten, innerlich zerreiße.
Zum Abschluss der Veranstaltung rezitiert Maria Tkachivska eines ihrer Gedichte, die schon im Jahr 2014 entstanden sind, als der Krieg in der Ukraine tatsächlich anfing und als man im Westen davon noch nicht viel wissen wollte. Darin fragt sie: „Denkst du, ich habe kein Recht auf mein eigenes Nest auf dieser Erde?“ Komplett still wird das Publikum im Saal schließlich, als sie sich auf die Brust klopfend das einzige Gedicht vorträgt, das seit der Ausweitung des Krieges im vergangenen Jahr entstand. In dem Text mit dem Titel „Herzschlag 130“ erzählt Maria Tkachivska von einer geflüchteten ukrainischen Frau: „40, verheiratet, zwei Kinder, der Mann daheim ein Soldat. Herzschlag 130, das Herz ist obdachlos. Denkst du, es ist leicht? Wenn man Hoffnung hat, ist es leichter!“
Das Grenzgespräch war eine Kooperationsveranstaltung vom Oekumenischen Europa-Centrum, der Karl Dedecius Stiftung und dem Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien.
Text: Frauke Adesiyan
Fotos: Katrin Hartmann