„Die Jüdische Gemeinde ist wie ein Spiegel der Stadt“ – Podiumsgespräch zu 25 Jahren Jüdische Gemeinde Frankfurt (Oder)

Wie schauen Gründerinnen und Gründer, Verwaltung sowie Bürgerinnen und Bürger auf 25 Jahre (Wieder-)Gründung der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt (Oder)? Welche Herausforderungen und Wünsche sehen Jüdinnen und Juden heute für die Doppelstadt? Um diese Themen kreiste ein Podiumsgespräch am 13. November 2023, zu dem die Jüdische Gemeinde Frankfurt (Oder) gemeinsam mit der Viadrina-Professur für Kultur und Geschichte Mittel- und Osteuropas und der Kulturkoordinatorin eingeladen hatten.

„Heute ist – trotz Kriegen in der Ukraine, in Israel und Gaza und trotz der zeitlichen Nähe zum 9. November – ein schöner Tag, denn wir begehen 25 Jahre Rückkehr des jüdischen Lebens in unsere Doppelstadt“, begrüßte Vizepräsidentin Prof. Dr. Dagmara Jajeśniak-Quast die Gäste im Logensaal. „Dieses Fest verdanken wir Ihnen, den rund 200 Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, der inzwischen größten in Brandenburg. Dank Ihnen werden wir zunehmend eine Doppelstadt, in der verschiedene Religionen und Kulturen zusammenkommen, werden von einem homogenen zu einem heterogenen Stadtraum.“

Gegründet worden war die jüdische Gemeinde 1998 vorrangig von Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, vor allem aus der heutigen Ukraine und dem heutigen Russland. Eine von ihnen war 1998 Larissa Bargtel. Seit vielen Jahren ist die in der heutigen West-Ukraine Geborene Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt (Oder). Im Gespräch erinnerte sie sich an die größten Herausforderungen: „Überhaupt nach Deutschland zu kommen, ist damals nicht leicht gewesen“, führte sie unter Zustimmung vieler Gäste aus. Vier Jahre hätten sie und ihre Familie auf die Erlaubnis zur Einreise nach Deutschland gewartet, 1998 dann die Zuteilung für Frankfurt (Oder) erhalten. „Richtig gut“ aus heutiger Sicht, zeigte sie sich überzeugt. „Ich stamme aus einer kleineren Stadt. Dort, wo ich wohne, möchte ich alle kennen, auch jeden Hund und jede Katze. Frankfurt (Oder) passt mir also sehr gut“, sagte sie.

Beschwerlich allerdings sei 1998 das Lernen der Sprache gewesen: „Wir mussten jedes Wort wirklich lernen und uns merken. Damals gab es keine Handys, die einem Texte übersetzen konnten“, fügte sie hinzu. Nach wochentäglichen acht Stunden Deutschkurs – für die sie heute dankbar sei – habe sie damals häufig Kopfschmerzen gehabt.

Aus Sicht der damaligen Stadtverwaltung erinnerte sich Martin Patzelt, ehemaliger Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder): „Auf einmal waren sie da. Und damit war klar, dass wir uns einsetzen und Unterstützung schaffen werden.“ Für ihn sei neben der Organisation von Sprachkursen das Wichtigste gewesen, einen Ort zur Verfügung zu stellen, an dem die Gemeinde sich treffen konnte. Nach Anfängen im Lutherstift und Umwegen über ein Souterrain seien die heutigen Räumlichkeiten in einer ehemaligen Kita gefunden worden. „Dort blüht seit vielen Jahren ein lebendiges Leben der Jüdischen Gemeinde, aufgebaut mit viel Kreativität. Im engen Kontakt mit der Gemeinde ist mir klar geworden: Wir Frankfurter werden beschenkt. Wir haben die Jüdische Gemeinde wieder zurückgeschenkt bekommen.“

Julian Bondarenko studiert heute Jura an der Viadrina; geboren ist er in Trier als Kind von aus der ehemaligen Sowjetunion eingewanderten jüdischen Eltern. Er engagiert sich in der Bildungsarbeit, besucht im Programm „Meet a Jew“ Schulen in Brandenburg. Was sieht er als die größten Herausforderungen der jüdischen Gemeinden? „Die Sicherheit ist strapaziert“, sagte er. Dass man seine Identität nicht offen und ohne Angst nach außen darstellen könne, sei für ihn die größte Herausforderung. Zum 25. Geburtstag wünsche er der Jüdischen Gemeinde viele ehrenamtlich Aktive und weitere Generationen, die sich für ein aktives Gemeindeleben engagieren.

Ein aktives Gemeindeleben und der Nachwuchs liegen auch Larissa Bargtel am Herzen. Zum Geburtstag ihrer Gemeinde hat sie einen Wunsch für Frankfurt (Oder): „Die Jüdische Gemeinde ist wie ein Spiegel der Stadt. Alle unsere jungen Leute sind weg. Wir wünschen der Stadt mehr wirtschaftliches Wachstum. Dann kommen auch wieder mehr Menschen, mehr Juden, mehr Leben.“

Text: Michaela Grün
Fotos: Michaela Grün und Katrin Hartmann

Ausstellung zu 25 Jahren jüdisches Leben in Frankfurt (Oder)
Bis Ende des Jahres ist in der 1. Etage des Gräfin-Dönhoff-Gebäudes eine Ausstellung zu 25 Jahre Jüdische Gemeinde in Frankfurt (Oder) zu sehen. Auf Roll-Ups erzählt die Gemeinde ihre Geschichte von Ankommen und Leben in der Oderstadt. Interessierte sind herzlich willkommen montags bis freitags, 7.00 bis 21.00 Uhr, Gräfin-Dönhoff-Gebäude, Europaplatz 1.

 

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