„Es ist eine Revolution im Denken geschehen.“ - Viadrina-Umweltökonom Reimund Schwarze über 50 Jahre „Die Grenzen des Wachstums“

Heute vor 50 Jahren erschien das Buch „Die Grenzen des Wachstums“, ein Bericht über die Lage der Weltwirtschaft. In Auftrag gegeben wurde die Studie vom „Club of Rome“, einem Zusammenschluss von Experten verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen. Mit dem Umweltökonomen Prof. Dr. Reimund Schwarze sprachen wir anlässlich des Jubiläums am 2. März 2022 über die Bedeutung des Buches für die damalige und für die heutige Zeit.

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Prof. Dr. Reimund Schwarze, Umweltökonom an der Europa Universität Viadrina. Foto: Heike Fest.


War das Buch „Die Grenzen des Wachstums“ ein Buch seiner Zeit? Oder war es seiner Zeit voraus?

Beides. Es war definitiv ein Buch seiner Zeit, geprägt vom Denken seiner Zeit. Dort, wo es dem Denken seiner Zeit verhaftet war, sind die größten Irrtümer passiert. Wo es die Systemdynamik beschrieben hat, war es zutreffend. Aber das Buch hatte eine große Wirkung in den Köpfen der Welt, insofern war es seiner Zeit voraus. Die Autoren des Buches haben etwas geschafft, was damals nicht Praxis war: Vorausschauendes globales Denken.

Auf welche Irrtümer beziehen Sie sich?

Man hat beispielsweise die Bevölkerungsdynamik nicht verstanden. Sie wurde zur „Bevölkerungsbombe“ deklariert. Man ist fälschlicherweise davon ausgegangen, dass sich das Bevölkerungswachstum immer so weiterentwickelt, quasi mechanisch wächst. Die sozialen Umstände, der Zusammenhang zwischen Bevölkerungsdynamik und Armut, wurden völlig ausgeblendet.

Falsch waren auch die Vorhersagen zur Rohstoffverfügbarkeit. Hätten sich die Vorhersagen bewahrheitet, hätten wir schon längst kein Chrom, Nickel und Kupfer mehr. Man kann sagen, dass das Buch zu wenig mit Gegenmaßnahmen gerechnet hat.

Vor dem Interview haben Sie mir geschrieben: „Ich habe mit diesem Bericht meine Karriere begonnen“. Wie war das gemeint?

Ich war 19 Jahre alt und habe das Buch eher zufällig gelesen. Aber es hat mich geprägt. Ich bin Umweltökonom. Aber als ich begonnen habe zu studieren, existierte es noch keinen Studiengang, der Ökologie und Ökonomie verband. Das Buch gab mir Stoff zum Nachdenken und hat mir gezeigt, dass es andere Ansätze in der VWL gibt, als alles auf ökonomische Vorteilhaftigkeiten zu reduzieren.

Was können wir aus dem Buch für die heutige Zeit lernen? Sollte man zur Lösung aktueller umweltökonomischer Probleme auf technische, wirtschaftliche oder rechtliche Maßnahmen setzen?

Die technischen Maßnahmen reichen nicht aus. Wir brauchen sie, sie sind notwendig, aber nicht hinreichend. Es geht vielmehr darum, Politik und Lebensgewohnheiten zu ändern. Weltfrieden war damals ein großes Thema, wie auch jetzt wieder. Das Buch wurde auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges geschrieben. Es klingt banal, aber es ist leider auch heute noch brandaktuell.

Letztendlich ist die Sicherung des Weltfriedens auch für den Erhalt der Natur mitentscheidend. Und wir müssen die extreme Armut überwinden, denn sie ist ein Grund für Naturzerstörung und Krieg. Wir brauchen Freiheit, Gleichheit, Solidarität.

Wichtig ist, stärker auf naturbasierte Lösungen zu setzen. Entscheidend ist, Mensch und Natur ins Gleichgewicht zu bringen, also die Sicherung der Funktionalität der Natur. Wir müssen die Kohle im Boden lassen – denn wir überfordern die Fähigkeit der Natur, wenn wir alle Ressourcen ausschöpfen. Es muss darum gehen, Wälder, Ozeane, Moore und fruchtbare Böden zu erhalten, denn sie sind die größten Treibhausgas-Senken, die wir haben – und die wir mehr denn je brauchen.

Wie lässt sich das umsetzen?

Wenn man es global denkt, gibt es keinen einfachen Weg. Das Völkerrecht bietet wenige Möglichkeiten. Ich wünschte mir eine Weltumweltpolitik, eine Weltregierung und ein Weltverfassungsgericht für die Umweltpolitik, aber das werde ich nicht mehr erleben. Den Klima-Aktivisten, die derzeit auf der Straße sind, möchte ich sagen: Die Politik hört euch schon. Sie ist weiter, als sie je war, hat für 2050 das 1,5-Grad-Ziel verbindlich beschlossen. Das ist ambitioniert. Allerdings sehe ich gerade im internationalen Bereich ein strukturelles Vollzugsdefizit. Da gebe ich allen recht, die z. B. die G7 und die Beschlüsse von Glasgow kritisieren. Das ist bisher nur eine vernichtend schlechte Bilanz, der Naturverbrauch geht weiter. Ich bleibe dennoch Optimist.

Worauf gründet sich dieser Optimismus?

Als das Buch erschien, war die Reaktion darauf Häme, auch beispielsweise seitens der fortschrittlichen New York Times. Heute sind wir weiter, es ist eine Revolution im Denken geschehen. Ich vergleiche das gern mit der Reformation. Das Buch ist sicher keine Bibel, aber die Idee von der notwendigen Begrenzung des Wachstums ist inzwischen gesellschaftsfähig.

Über das Buch

Die Studie „Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“ wurde vom Club of Rome in Auftrag gegeben. Dennis Meadows und sein Team am Institut für Systemdynamik des Massachusetts Institute of Technology spielten dabei mit Hilfe von Computersimulationen verschiedene Szenarien durch.
Untersucht wurden fünf Parameter mit globaler Wirkung: Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Unterernährung, Ausbeutung von Rohstoff-Reserven und Zerstörung von Lebensraum.
1973 wurde der Club of Rome für die Studie mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Das Buch wurde millionenfach verkauft und in 30 Sprachen übersetzt.

(YM)

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