Zwischen digitaler Transformation, Ethik und Migrationspolitik – ENS-Stipendiatin Nina Amelung erforscht die Erfassung biometrischer Daten von Asylsuchenden

Die European New School of Digital Studies (ENS) wird dank ihres Stipendienprogramms „Datafication in European Societies“ zur vorübergehenden wissenschaftlichen Heimat für internationale Forschende, die sich mit Digitalisierung und Daten in Europa beschäftigen. Als erste Stipendiatin war Dr. Nina Amelung im März und April 2022 zu Gast an der ENS. Sie untersucht, welche sozialen und politischen Folgen die Erfassung biometrischer Daten von Migrantinnen und Migranten an den EU-Außengrenzen hat.

Speziell schaut sie dabei auf die Daten der europäischen Datenbank Eurodac. In ihr sind biometrische Daten wie Fingerabdrücke und in Zukunft wohl auch Gesichtsaufnahmen von schutzsuchenden Menschen gespeichert, die in die EU eingereist sind, beispielsweise als Asylbewerber. „Das ursprüngliche Ziel war ausschließlich, Asylantragsverfahren zentral zu managen und ein sogenanntes Asylshopping in mehreren EU-Mitgliedsstaaten zu vermeiden“, erläutert Nina Amelung. Doch neben der europäischen Migrationspolitik berühre das Thema auch innenpolitische Sicherheitsinteressen. „Auf EU-Ebene beobachten wir, dass die Datenbanken zunehmend  für Strafverfolgungsbehörden geöffnet werden“, beschreibt sie aktuelle Entwicklungen. Eine schleichend zunehmende und undurchsichtige Zusammenführung verschiedener Datenbanken, die zunächst separat für Mobilitäts- und Migrationskontrolle einerseits und für Zwecke der Strafverfolgung andererseits entwickelt wurden, sowie eine Ausweitung der erfassten Daten kommen zu den erweiterten Zugriffsrechten hinzu. Kritische Migrationsforschung zu diesem Thema, der sich Nina Amelung anschließt, warnt angesichts dieser Entwicklungen vor einer Kriminalisierung von Asylsuchenden, vor Diskriminierung und Generalverdacht.

„Es stellt sich hierbei auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit: Welche Daten erfasst man zu welchen Zwecken von EU-Bürgern und welche von Nicht-EU-Bürgern?“, stellt Nina Amelung einen der zentralen kritischen Punkte heraus. Die Identität der Einreisenden werde durch biometrische und digitale Technologien erfasst und verwaltet. Während man allgemein annehme, dass diese Technologien fehlerfrei und reibungslos operieren, sei das nachweislich nicht immer der Fall, so Amelung. „Gerade neuere, umstrittene biometrische Technologien wie zum Beispiel Iris-Scans werden häufig an Personengruppen in Situationen wie beispielsweise Flüchtlingscamps getestet, in denen sie keine Wahl haben und sich nicht wehren können“, bringt Nina Amelung ihre Kritik auf den Punkt. Hinzu komme die mangelnde Information der Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen. Sie verstünden oft nicht, welche Daten zu welchem Zweck erfasst werden, wo und für wie lange sie gespeichert werden, und welche Einspruchsmöglichkeiten ihnen zustehen. Die Entwicklung der digitalen Technik sei dabei vor allem vom Gedanken der digitalen Transformation und Innovation getrieben; andere ethische oder migrationspolitische Implikationen würden vernachlässigt.

Die Monate des Stipendiums hat Nina Amelung für ihre Feldforschung genutzt und Interviews mit Akteuren aus der Asylverwaltung, Polizeibehörden und migrantischen Organisationen geführt. Der Zugang sei dabei durchaus kompliziert. „Bei schutzsuchenden Migrantinnen und Migranten stellen sich forschungsethische Fragen, ein Vertrauensverhältnis muss erst mal aufgebaut werden. Bei den Behörden ist es schwierig, weil hier ein hohes Maß an Diskretion herrscht“, beschreibt sie die Herausforderungen.

In ihrem Forschungsprojekt vergleicht Nina Amelung die Situation in Deutschland und Portugal. Nach vielen Monaten der Forschung unter Pandemiebedingungen kam für sie das zweimonatige Stipendium für die Arbeit an der deutsch-polnischen Grenze gerade Recht. „Die ENS ist an einem tollen Standort für Grenzforschung“, findet die Soziologin von der Universität Lissabon. Nicht zuletzt habe sie die Möglichkeiten des kollegialen Austausches mit Forschenden geschätzt, die ebenfalls kritische Migrations- und Grenzforschung betreiben. Der Fokus auf Digitalisierung und Datenschutz und der dazu mögliche interdisziplinäre Austausch mit weiteren Kolleginnen und Kollegen an der ENS durch das gemeinsame Forschungskolloquium waren für sie ebenfalls bereichernd.

Das von der Dieter Schwarz Stiftung finanzierte Stipendium an der European New School sieht die Soziologin am Ende ihres Forschungsaufenthaltes als gewinnbringend; eine Erfahrung, die derzeit auch Mennatullah Hendawy macht. Die interdisziplinäre Stadtplanerin von der Ain Shams University in Kairo ist die zweite Stipendiatin im Programm und noch bis Mitte Mai 2022 an der ENS.

(FA)

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