„Wir können Rassismus nicht als Randphänomen betrachten“ – Prof. Dr. Naika Foroutan stellt Rassismusmonitor vor

Erstmals werden in Deutschland empirische und repräsentative Daten gesammelt, um Ausmaß, Ursachen und Folgen von Rassismus zu erforschen. Beauftragt wurde damit das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Dessen Direktorin Prof. Dr. Naika Foroutan war am 16. Juni zu Gast in der Research Factory des Viadrina Center B/ORDERS IN MOTION, um über erste Ergebnisse des Projektes zu berichten.

Nach dem tödlichen Terror des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU), den rassistischen Morden von Hanau und der Black-Lives-Matter-Bewegung, die aus den USA nach Deutschland schwappte, ist das Thema Rassismus auch in der höchsten Ebene der deutschen Politik angekommen. „Die Zeit, in der Rassismus ein Tabu war, man ihn Fremdenfeindlichkeit nannte und darum kämpfen musste, überhaupt darüber zu reden, ist definitiv vorbei“, sagte Prof. Dr. Naika Foroutan. Die Studie, die sie im Senatssaal der Viadrina vorstellte, ist an sich schon ein Beleg für diese Beobachtung. Sie ist der Auftakt des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa), mit dem die Bundesregierung das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) beauftragt hat. Nachdem es bisher vor allem aktivistische Arbeit und rassismustheoretische Forschung in Deutschland gegeben habe, so Foroutan, werden nun erstmals kontinuierlich repräsentative Daten gesammelt, mit denen Ausmaß, Ursachen und Folgen von Rassismus in Deutschland empirisch messbar werden.

20220616_Naika Foroutan_UV_2530 ©Heide Fest

Vor wenigen Wochen veröffentlichte das DeZIM erste Ergebnisse, die zeigen: Rassismus betrifft die breite Gesellschaft. Nur 35 Prozent der rund 5.000 für die Auftaktstudie Befragten sagten, sie hätten noch nie Rassismus selbst oder mittelbar erlebt. Das verdeutlicht für die Integrationsforscherin: „Wir können Rassismus nicht als Randphänomen betrachten.“ Die Aussage, dass es Rassismus in Deutschland gibt, teilen 90 Prozent der Befragten; die Hälfte der Interviewten stimmt zudem dem Befund zu, Deutschland sei eine rassistische Gesellschaft. „Das Bewusstsein für Rassismus ist stark. Das könnte am Aufflammen der Gewalt liegen, aber auch an der Veränderung der Gesellschaft“, sagte Naika Foroutan. Immer mehr Menschen aus von Rassismus betroffenen Gruppen werden sichtbar und sprechfähig.

Allerdings führe die „Awareness“ nicht immer zu einer klaren Ablehnung von Rassismus. „Es gibt zwei Wege: Die einen gehen ins Engagement, die anderen in die Verharmlosung“, so formulierte es die Berliner Wissenschaftlerin. 45 Prozent der Befragten finden, Rassismusvorwürfe und sogenannte politische Korrektheit schränken die Meinungsfreiheit ein. 33 Prozent halten Menschen, die sich über Rassismus beschweren, für zu empfindlich. Diese Abwehr sei vor allem in der gesellschaftlichen Mitte zu beobachten, bei den 45- bis 54-Jährigen mit mittlerem Schulabschluss. „Das gibt uns zu denken, denn das ist die saturierteste Gruppe, die am wenigsten verunsichert ist und am häufigsten in fester Beschäftigung.“

Naika Foroutans „semioptimistische“ Prognose: Mit steigender Sichtbarkeit von Rassismus werde auch die Abwehr und Aversion größer. Sie betonte die Bedeutung von politischer Bildung. „Von Rassismus zu hören und ihn – auch indirekt – zu erleben, hat einen Effekt auf antirassistisches Engagement“, ist sie überzeugt. An dieser Stelle müsse die Forschung an die Pädagogik abgeben. Neben diesen Lehren aus den gewonnenen Zahlen, die kontinuierlich weiter ausgewertet und mit immer neuen Daten ergänzt werden, habe der Rassimusmonitor noch eine weitere Funktion: „Das Ziel ist, Rassismusforschung in Deutschland zu etablieren. Wir haben bisher keinen einzigen Lehrstuhl dafür“, betonte sie.
(FA)

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