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In seinen Grußworten hat Viadrina-Präsident Prof. Dr. Eduard Mühle bereits angekündigt, dass Antrittsvorlesungen historisch gesehen in der Themenwahl schon immer etwas „reißerischer“ waren. Sie galten als Werbeveranstaltungen der damals vornehmlich männlichen Akademiker. Mitreißen, das will auch Daniel Illger. Seit dem 1. Juli 2022 hat er den Lehrstuhl für Populäre Kulturen an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät inne.
Ich kann nicht garantieren, dass es alle gutfanden. Aber ich habe von ziemlich Vielen Freundliches als Rückmeldung bekommen. Sie sagten, sie hätten viel gelernt und sich keineswegs gelangweilt – was mir durchaus wichtig ist.
Mein Wunsch ist, dass Wissenschaft über Enthusiasmus funktioniert. Dass das innere Feuer auch bei anderen eines entzünden kann. Die Universität sollte nicht über Zwang und Notenangst, sondern über Begeisterung und genuines Interesse funktionieren.
Das ist eine spannende Frage, auf die ich keine definitive Antwort habe. Aber ich hoffe natürlich, dass sich viele junge Menschen für unsere Forschungsgegenstände interessieren und eine gewisse Grundbegeisterung mitbringen.
Es gibt aber auch eine gegenläufige Tendenz: Manche wollen das, was sie privat sehr lieben, schützen – wollen es beschützen vor Theorie, vor Druck, vor Leuten, die ihnen reinreden oder vor dem komischen Professor, der ihnen erklären will, das sei eigentlich alles ganz anders gemeint.
Es kommt nicht mehr so oft vor, dass ich etwas schaue, lese oder spiele, was nichts mit meiner Arbeit zu tun hätte.
Ich kann damit gut umgehen, andere empfinden das vielleicht als belastend. Ich verspüre eine große Freude über die Analyse. Denn wenn man gemeinsam über ein Spiel, über Literatur oder einen Film nachdenkt, dann entdeckt und entwickelt man etwas, das vorher vielleicht gar nicht erkennbar war. Und so kann auch ein langweiliger Film plötzlich sehr spannend sein.
Ich arbeite erfahrungsästhetisch; für mich ist die Erfahrung beim Schauen eines Films oder einer Serie, das Spielen eines Spiels oder das Lesen eines Buches der Ausgangspunkt. Man sollte Spiele, zu denen man arbeitet, auch von vorne bis hinten gespielt haben.
Das ist in der Tat doof. Ich habe zu einem als sehr schwer geltenden Spiel namens Dark Souls viel gearbeitet. Da durchzukommen, war echt hart. Es gab Stellen, an denen ich üben und üben und üben musste, bis ich es geschafft habe. Aber genau das gehört zur künstlerischen Idee des Spiels dazu, dass man hart kämpfen und in dieser finsteren und dunklen Spielwelt auch selbst leiden muss.
Kämpfen und leiden: Ausschnitt aus dem Action-Rollenspiel Dark Souls des japanischen Spiele-Entwicklers FormSoftware.
Die konkrete Herausforderung in den Seminaren ist, dass wir über die persönliche Spielerfahrung des Einzelnen sprechen, aber dabei nicht rein subjektivistisch bleiben wollen. Wir versuchen das, was wir erlebt haben, an etwas anzubinden, das zu einem gewissen Grad objektivierbar ist, wie etwa die Farbwahl oder die Bewegung einer Kamera. Es gibt eine Empirie des audiovisuellen Bildes und diese gilt es ernsthaft zu würdigen. Jenseits der Handlung gibt es eine Bedeutung, die durch die Anordnung des Raumes und der Gestaltung der Zeit bestimmt wird.
Für unsere wissenschaftliche Arbeit ist das nicht so relevant, weil wir nicht davon ausgehen, dass die Entwicklerin oder der Entwickler die Bedeutungsgeber sind, sondern der Film oder das Spiel selber.
Es ist bei solchen Kollektivmedien so, dass es in der Regel kein großes Schöpfer-Ich gibt. Sicherlich gibt es Spieldesigner oder Regisseure, die sich so inszenieren, aber meistens fließen in so ein Werk so viele Überzeugungen, Ideen und Intentionen hinein, dass die Einzel-Intentionen nicht mehr aufdröselbar sind.
Geisteswissenschaften leiden ja allgemein darunter, dass sie in der Gegenwart nicht allzu hoch angesehen sind. Polemisch würde ich sagen, dass wir in einer sehr positivistischen Zeit leben, in der nur das gilt, was wir quantifizieren und messen und als belastbares Faktum ausgeben können. Geisteswissenschaften arbeiten nicht mit solch vermeintlich eindeutigen Kategorien, sondern sie leben davon, dass sie versuchen, Unsicheres, Zweifelhaftes, Zweifelerweckendes, produktiv zu machen und neue Räume des Denkens aufzutun. Geisteswissenschaften stehen also gemeinhin im Verdacht mangelnder Seriosität und das ist sicherlich noch einmal potenziert, wenn man so einen Lehrstuhl hat wie den meinen. Einige Leute denken vermutlich schon, dass die ganze Sache ein bisschen halbseiden ist.
Andererseits glaube ich, dass viele die Relevanz sehen. Videospiele sind das Leitmedium unserer Zeit, wenn man die Gegenwart kulturtheoretisch untersuchen will, kommt man kaum an ihnen vorbei. Dasselbe gilt für populäres Kino und Fernsehserien. Das sind künstlerische ebenso wie politische und ökonomische Fragen. Diese unglaubliche Marktmacht etwa von Disney ist für mich eine Existenzfrage, nämlich zu verstehen, wie der Konzern etwa mit Star Wars die Wirklichkeit von zig Millionen nicht nur jungen Menschen gestaltet. Wir können es uns nicht leisten, das nicht zu untersuchen.
Ja, das würde ich auch unterschreiben: Sogar die Welten der post-apokalyptischen Videospiele, über die ich gesprochen habe, tragen eine Sehnsucht in sich, sich selbst zu überschreiten. Sie wollen nicht im Dunkeln, in der Gewalt enden.
Die Spiele sind aus meiner Sicht so beliebt, weil sie die Konflikthaftigkeit unserer Zeit in sich tragen. Wie wird unsere Zukunft aussehen? Ist unsere Welt vielleicht mehr als das, was sie schon immer war: Zerstörung und Elend und so weiter? Oder sind wir dazu verurteilt, die immer selben Kreisläufe zu wiederholen?
Ich denke nicht, dass die fantastischen Genres uns eine Kristallkugel zur Verfügung stellen, in der wir die Zukunft sehen können. Was ich aber glaube ist, dass die Populärkultur eine Art Seismograph ist und zeigt, was die Gesellschaft umtreibt. Es gibt in der Populärkulturforschung die Erwartung, dass wir etwas sehen können, was sich noch nicht begrifflich oder politisch manifestiert hat, aber in bestimmten Figuren, Bildideen, Handlungen schon vorgezeichnet ist. Unter anderem eben weil Videospiele und Filme kollektiv entstehen, sich an ein Millionenpublikum richten und dieses auch brauchen, um sich finanziell zu lohnen.
Ach so, na wenn wir das am meisten herbeigerufene Szenario betrachten, dann steht uns wohl eine Zombie-Apokalypse bevor.
Zombies soweit das Auge reicht: Ausschnitt aus dem Remake von "Resident Evil 3: Nemesis" der japanischen Softwarefirma Capcom.
Interview: Heike Stralau
Foto: Heide Fest
Screenshots: Daniel Illger
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