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Frau Thiele, welche juristische Bedeutung hatte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor 75 Jahren?
Sie war der erste Menschenrechtskatalog, der auf universeller Ebene in der UNO angenommen wurde. Dieser erste Schritt der Staatengemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, der den Menschenrechten eine ganz besondere Bedeutung beigemessen hat, war geprägt von dem Gedanken, dass die massiven Menschenrechtsverletzungen nicht mehr geschehen dürfen. Die Generalversammlung hat diese Erklärung als Resolution angenommen und nicht als völkerrechtlichen Vertrag; die Inhalte sind also nicht rechtlich verbindlich. Das heißt: großer Schritt nach vorn, aber nicht weit genug. Eine Rechtsverbindlichkeit ergibt sich erst aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, beide wurden 1966 angenommen. Wir Juristen schauen auf diese rechtsverbindlichen Verträge. Dennoch sollten wir die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht unterschätzen, sie ist der Grundstein. Wir finden die Erklärung in vielen Präambeln von Menschenrechtsverträgen und sogar in Verfassungen von Staaten.
Wie wirken sich die Pakte auf die Realität aus?
Schauen wir einmal auf Europa und auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Da sehen wir, dass die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verbindlich sind und deren Umsetzung kontrolliert wird. Einen solchen starken Mechanismus haben wir auf UN-Ebene noch nicht. Es gibt Kontrollorgane und Kontrollmechanismen, die die Einhaltung des Menschenrechtsschutzes überwachen. Durch Staatenberichte, Staatenbeschwerden und Individualbeschwerden können zwar Menschenrechtsverletzungen festgestellt werden. Diese Feststellungen sind jedoch nicht rechtsverbindlich. Die Staaten haben die Möglichkeit, darauf zu reagieren. Niemand möchte in der Öffentlichkeit zitiert werden als Staat, der Menschenrechte verletzt hat und schon gar nicht, wenn das in massiver, systematischer Form passiert. Das hat einen Einfluss beispielsweise auf wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe.
Inwieweit spielt der Menschenrechtsschutz eine Rolle in der Lehre an der Viadrina?
Ich halte schon sehr lange die Vorlesung zum europäischen und universellen Menschenrechtsschutz. Ich habe eine menschenrechtliche Promotion geschrieben und mich in den Folgejahren darauf spezialisiert. Neben den Vorlesungen gibt es für mich zwei wichtige Projekte: die seit 1999 bestehende internationale Sommerschule zum europäischen Menschenrechtsschutz und unseren Masterstudiengang International Human Rights and Humanitarian Law. Mit all dem zeigen wir die Spezialisierung unserer Fakultät auch nach außen. Das Interesse an Menschenrechten und Völkerrecht ist unter Studierenden sehr groß, meine Vorlesungsräume sind immer gut gefüllt.
Sicher auch, weil die Themen ebenfalls medial anhand von aktuellen Ereignissen sehr präsent sind. Das alltägliche Verständnis von Begriffen wie „völkerrechtswidrig“ oder „Menschenrechtsverletzung“ scheint dabei oft nicht dem Rechtlichen zu entsprechen.
Ja, ich versuche den Studierenden ins Bewusstsein zu bringen, dass die Wertungen aus den Medien oder den sozialen Medien nicht unkritisch übernommen werden sollten. Ob eine Rechtsverletzung stattgefunden hat, muss immer auf der Grundlage von rechtlich verbindlichen Verpflichtungen geprüft werden. Beispiel: Sind Terroristen an den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte gebunden? Haben sie Rechtsverpflichtungen, die sich aus menschenrechtlichen Verträgen ergeben? Oft wird gesagt, sie verletzen Menschenrechte. Dann muss aber die Rechtsgrundlage dafür gesucht werden. Wenn wir das Schritt für Schritt durchgehen, kommen wir zu dem Schluss, dass Terroristen Privatpersonen sind und keine (Vertrags)Staaten. Aber auch sie agieren nicht in einem rechtsfreien Raum. Da können das humanitäre Völkerrecht oder das Völkerstrafrecht anwendbar werden. Ich versuche den kritischen Blick dafür zu öffnen, dass man nicht allgemeinsprachliche Wertungen übernimmt.
75 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sind die Nachrichten voll von Menschenrechtsverletzungen. Überkommt Sie da nicht manchmal auch die Ernüchterung?
Das werde ich oft gefragt, auch von Studierenden. Dann sage ich: Wie müsste man sich denn die Welt vorstellen, wenn wir die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht hätten? Das wäre ja noch viel schlimmer, denn dann hätten wir gar keinen Maßstab, an dem wir uns orientieren können für das Zusammenleben in der menschlichen Gesellschaft innerhalb eines Staates und zwischen Staaten! Ich gehe davon aus, dass sich der Menschenrechtsschutz im Völkerrecht weiterentwickelt – hoffentlich in eine positive Richtung.
Was meinen Sie damit?
Wenn die Staaten nicht zusammenarbeiten, dann können sie auch nichts gemeinsam regeln. Konfrontation, wie wir sie jetzt teilweise beobachten, wird keine positive Entwicklung des Völkerrechtes schaffen. Das mag einigen befremdlich in den Ohren klingen, aber auch die UN-Charta beginnt mit der Notwendigkeit der Zusammenarbeit. Ich bin nicht blauäugig und denke auch, dass Völkerrechtsverletzungen wie Aggressionen sanktioniert werden müssen. Aber wer den Gesprächsfaden abreißen lässt, kann kein Völkerrecht schaffen; das wäre eine Stagnation für den universellen Menschenrechtsschutz. Es ist doch der Grundgedanke der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dass die Menschenrechte universell gelten und nicht nur regional. Die Rückentwicklung zu Blocksystemen ist dem Menschenrechtsschutz jedenfalls nicht zuträglich.
Interview: Frauke Adesiyan
Foto: Heide Fest
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