„Putin kämpft längst auch um sein eigenes Leben“ – Jan Claas Behrends im Interview vor der Wahl in Russland
Wenn am 17. März in Russland gewählt wird, steht das Ergebnis schon fest: Wladimir Putin wird auch danach Präsident bleiben. Viel interessanter als das Ergebnis ist für Prof. Dr. Jan C. Behrends, Inhaber der Viadrina-Professur für Diktatur und Demokratie, die Propaganda im Vorfeld, der Umgang mit Protesten und die Stabilität der Diktatur.
Herr Behrends, die Wahl Putins gilt als sicher; was ist dennoch für Sie interessant am Wahlkampf und der Abstimmung?
Als Erstes muss man verstehen, dass es sich nicht um eine Wahl im Sinne einer Auswahl zwischen verschiedenen Kandidaten handelt, sondern um ein Plebiszit zur Bestätigung Putins. Im Kreml wird das Ergebnis von 70 oder 80 Prozent im Voraus festgelegt. Interessant ist, wie diese Abstimmung legitimiert wird, wie sie propagandistisch unterfüttert wird und mit welchen Methoden die Ergebnisse erreicht werden. Das kann ja auch nach hinten losgehen, wie die massiven Proteste 2011/12 in Moskau gegen die Wahlfälschung bei den Duma- und Präsidentschaftswahlen gezeigt haben.
Kann es auch diesmal eine ähnliche Protestbewegung geben?
Die Situation in Russland ist heute vollkommen anders. Damals hatten wir es mit einem autoritären Regime zu tun. Heute handelt es sich um eine persönliche Diktatur von Putin, die totalitäre Züge trägt. Das zeigt sich in Gerichtsurteilen nach kleinen Protestaktionen, die härter sind als in der Breschnew-Zeit. Berühmtes Beispiel ist die Aktivistin Alexandra Skotschilenko, die Preisschilder im Supermarkt gegen Anti-Kriegs-Postkarten ausgetauscht hat und dafür zu sieben Jahren im Lager verurteilt wurde. Das Risiko für jeden Einzelnen ist mittlerweile ungleich höher als 2011. Die Frage ist jetzt, wieviel Protest trotz dieser verschärften Repression noch möglich ist und welche Auswirkung auch der Mord an Alexej Nawalny hat. Es ist noch zu früh einzuschätzen, ob das nochmal Protestpotenzial mobilisiert oder die Leute noch stärker einschüchtert.
Da es aller Voraussicht nach keine Abwahl Putins geben wird: Welcher Weg zu einem Russland ohne Putin ist für Sie denkbar?
Niemand ist unsterblich, das gilt auch für Wladimir Putin. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass wir nicht wissen, wie lange die prekäre Stabilität dieser Diktatur anhält. Das ist ein Paradox: Einerseits sind diese Regime wegen ihrer Repressionen stabil, solange die Befehlskette hält. Das sehen wir auch im Iran, in Nordkorea und Kuba. Aber wir sehen andererseits, etwa auf dem Majdan in der Ukraine, wie schnell so ein Regime trotz Gewaltanwendung auch zusammenbrechen kann.
Und wie könnte ein Russland nach Putin aussehen?
Wir wissen aus der Geschichte, dass es in Russland immer eine Pendelbewegung, hin zum Westen und vom Westen weg, gab. Wir sind jetzt bei einer maximalen Entfernung des russischen, politischen Systems vom Westen. Die Entwicklungen nach Stalins Tod und nach Breschnews Tod zeigen aber, dass es immer wieder Phasen der Entspannung gibt. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es nach einem Putsch gegen Putin oder einem Ableben Putins oder einem Sieg der Ukraine auch wieder Liberalisierungstendenzen in Russland gibt. Schließlich sind auch Teile der Eliten in Russland ganz sicher nicht mit dem aktuellen Kurs einverstanden, der ja auch sehr teuer ist.
Welche Optionen hat Putin aktuell?
Putin bleibt nichts als der Kampf um die Macht. Seine Option ist nicht der Rücktritt oder ein Rückzug in seinen Palast in Sotschi. Niemand könnte für seine Sicherheit und die seiner Familie oder seines Umfeldes garantieren. Putin kämpft in der Ukraine und zu Hause nicht nur um einen Sieg in diesem Krieg, sondern um den Erhalt seiner persönlichen Macht und Sicherheit und damit letztlich auch um sein eigenes Leben. So funktioniert die russische Politik, das hat der Fall Nawalny wieder deutlich gezeigt. Das können wir mit europäischer Politik nicht vergleichen, hier sind andere Einsätze im Spiel.
Apropos deutsches Politikverständnis. Sie kritisieren immer wieder den verklärten deutschen Blick auf Russland. Hat sich aus Ihrer Sicht die Einsicht vergrößert?
Seit 2022 haben wir schon einen Quantensprung im Verständnis von Russland und der Einsicht in den Ernst der Lage. Ob daraus immer die richtigen Schlüsse gezogen wurden, ist eine ganz andere Frage. Nach meiner Überzeugung hätte man die Ukraine noch massiver unterstützen müssen. Ehrlich gesagt wünsche ich mir, dass die Osteuropa-Expertinnen und -Experten – auch die der Viadrina – mehr Gehör in der Politik und Öffentlichkeit finden. Es tummeln sich viel zu viele Pseudo-Experten in den Talkshows und anderen Sendungen, die nie in Moskau oder Kyjiw aufgewacht sind. Die meisten Osteuropa-Wissenschaftler*innen sind gerne bereit, sich in den Dienst der deutschen Politik zu stellen, aber das muss auch abgerufen werden. Außerdem brauchen wir von Land und Bund die Mittel, um die Forschung voranzutreiben. Das Ukraine-Zentrum an der Viadrina kann nur der erste Schritt in diese Richtung sein.
Welche Möglichkeiten haben Sie derzeit, sich über Russland zu informieren?
Es ist ein generelles Problem, das viele Forscher haben: Der Kontakt nach Russland reißt immer mehr ab. Ich selbst war zuletzt vor der Pandemie dort. Fast alle meine Bekannten in Russland, die ich früher anrufen konnte, haben in den vergangenen zwei Jahren das Land verlassen. Umfragen sind nur sehr bedingt aussagekräftig in einer Diktatur, weil sich die Leute ganz genau überlegen, was sie da antworten. Die russische Gesellschaft wird, wie in jeder Diktatur, immer mehr zu einer Black Box. Das beeinträchtigt ganz stark die Forschung und zwingt einen, die Grenzen der eigenen Aussagen ganz stark zu reflektieren.
Interview: Frauke Adesiyan