Dauerzustand Konfliktgemeinschaft – Agnieszka Pufelska über das deutsch-polnische Verhältnis

Die Viadrina-Absolventin und preisgekrönte Historikerin PD Dr. Agnieszka Pufelska sprach am 24. April 2024 an der Viadrina über „Dominanz und Verflechtung im deutsch-polnischen Verhältnis“. Sie skizzierte im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Grenzgespräche“ die historischen Gründe für ein negatives Deutschland-Bild, das auch im jüngsten polnischen Wahlkampf wieder mühelos heraufbeschworen werden konnte und benannte klare Verantwortlichkeiten.

„Für die Störung des Dialogs trägt nicht nur die politische Klasse die Verantwortung, sondern wir alle“, sagte Agnieszka Pufelska am Ende ihres Vortrages, um mit Blick auf die Parlamentswahlen in Polen im vergangenen Herbst einen bestärkenden Ausblick anzufügen. Sie appellierte: „Versuchen wir, den Sieg der Demokratie in Polen als Motivation und als Ansporn für die weitere Zusammenarbeit zu nehmen und eine breite Bildungsarbeit – und das sage ich bewusst an der Universität Viadrina – zu leisten, die die Grundlage für gegenseitiges Vertrauen stärkt.“

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In ihrem Vortrag hatte Agnieszka Pufelska zuvor anhand historischer Schlaglichter die „fragile Konfliktgemeinschaft“ von Deutschland und Polen als „Dauerzustand“ skizziert. Einen Schwerpunkt legte sie dabei auf das historische Verhältnis von Preußen und Polen und dessen heutige Berücksichtigung in Geschichtsbildern. Sie erinnerte daran, dass Preußen erst durch die Eroberung von Teilen Polens – bis zu 70 Prozent des preußischen Territoriums waren polnische Gebiete – zu einer europäischen Macht geworden sei und Polinnen und Polen die größte Minderheit in Preußen bildeten. Der heutige deutsche Blick auf den „Kulturstaat Preußen“ mitsamt den identitätsstiftenden Rekonstruktionen des Berliner Schlosses und der Potsdamer Garnisonkirche sei eine verklärende Reduktion ohne Interesse an den polnischen Dimensionen. „Würde man sich damit beschäftigen, wie sich dieser Kulturstaat gegenüber Polen verhalten hat, so würde das idealisierte Bild sicherlich Kratzer bekommen“, bemerkte die Historikerin spitz.

Eine Einrichtung wie das geplante Deutsch-Polnische Haus in Berlins Mitte, und damit ein Ausklammern dieses Themas aus der deutschen Geschichte, sei für sie nicht der richtige Weg, mit den Versäumnissen umzugehen. „Ich würde es vielmehr begrüßen, wenn stark frequentierte Einrichtungen wie das Deutsche Historische Museum, die Topographie des Terrors oder das Humboldt Forum dem Thema Polen viel mehr Raum widmeten“, riet sie.

Ein weiterer Punkt, den die Historikerin in ihrem Vortrag klar herausarbeitete, war die Abhängigkeit der deutsch-polnischen Beziehungen von denen zwischen Polen und Russland – historisch wie aktuell. Bevor der preußische Antislawismus Mitte des 19. Jahrhunderts in Polen für die Überzeugung sorgte, dass ein polnischer Patriot zwingend auch ein Deutschlandhasser sein müsse, habe lange Russland als Hauptfeind gegolten, so Pufelskas Darstellung. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei in der Volksrepublik Polen auch aus politischem Kalkül antideutsche Propaganda verbreitet worden, um in der nicht-kommunistischen Bevölkerung für Zustimmung zur Sowjetunion sorgen. In jüngster Vergangenheit sorgte hingegen Deutschlands naiver Umgang mit Russland für große Skepsis bei Polinnen und Polen. „Die deutsche Russland-Politik der vergangenen 20 Jahre hat die leidvollen Erinnerungen Polens mit Russland komplett ignoriert“, so Pufelska. Heute gebe es die verbreitete Befürchtung, Deutschland könnte sich mit Russland über die Ukraine einigen.

Und so rückte Agnieszka Pufelska auch in ihrem Abschluss-Statement die Ukraine ins Zentrum, als sie dafür plädierte, aus dem deutsch-polnischen Potenzial negativer Erfahrungen zu lernen. „Wir haben viel größere Probleme als das deutsch-polnische Verhältnis in dieser Welt. Wir können es nutzen, um die Welt besser zu machen und eine andere Einstellung zu jetzigen Konflikten zu entwickeln“, so ihr Wunsch.

Der Vortrag von PD Dr. Agnieszka Pufelska war eine Veranstaltung im Rahmen der der Viadrina Research Factory B/ORDERS IN MOTION in Kooperation mit der Reihe „Grenzgespräche“ des Oekumenischen Europa-Centrums Frankfurt (Oder) und mit dem Viadrina Center of Polish and Ukrainian Studies (VCPU). Das Gespräch zwischen Agnieszka Pufelska und Prof. Dr. Dagmara Jajeśniak-Quast, Leiterin des VCPU, moderierte Prof. em. Dr. Gangolf Hübinger.

Text: Frauke Adesiyan
Foto: Andrea Meissner

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