„Freunden Sie sich mit dem Kapitalismus an, wenn Sie Demokratie mögen!“ – Früherer polnischer Finanzminister Leszek Balcerowicz eröffnet Winiecki-Konferenz

Am 23. und 24. Mai 2024 tauschten sich Forschende aus Polen, Deutschland und der Ukraine darüber aus, wie Gesellschaften wirtschaftliche Erschütterungen bewältigen können. Anlass war die „3. Prof. Jan Winiecki Scientific Conference“ in Gedenken an den 2016 verstorbenen Viadrina-Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Jan Winiecki. Den prominenten Auftakt der Konferenz bestritten der frühere polnische Finanzminister Prof. Dr. Leszek Balcerowicz und der Transformationsforscher Prof. Dr. Philipp Ther von der Universität Wien.

Mit Prof. Dr. Leszek Balcerowicz eröffnete einer der prägendsten Akteure des ökonomischen Umbruches in Polen die Konferenz. Als Finanzminister Polens (1989 bis 1991 und 1997 bis 2000) und Präsident der Polnischen Nationalbank (2001 bis 2007) prägte er die polnische Wirtschaft nach dem Ende des Sozialismus entscheidend mit. Mit dem nach ihm benannten Balcerowicz-Plan stellte er die Zentralplanwirtschaft Polens radikal auf Marktwirtschaft um. Dass er auch heute noch fest hinter der damals von ihm verordneten Schocktherapie steht, machte er in seinem Vortrag über „Ökonomische Krisen – Die Rolle des Marktes versus der des Staates“ deutlich.

Wenn man ökonomische Krisen und deren Ursachen genauer betrachte, so seine Überzeugung, könne man nicht den Märkten die Schuld geben. „Es sind politische Interventionen, die zu Krisen führen“, unterstrich er sein Hauptargument. Dass Intellektuelle über lange Zeit den Kommunismus priesen, sei ihm unverständlich. „Eine freie Wirtschaft – frei von politischer Einflussnahme – ist nicht zu hoch einzuschätzen für die Demokratie“, sagte Balcerowicz. Mit herausforderndem Blick in den Saal meinte er: „Falls Sie den Kapitalismus nicht mögen, freunden Sie sich mit ihm an, wenn Sie die Demokratie mögen!“

Auch im anschließenden angeregten Gespräch mit dem Publikum hatte Balcerowicz marktwirtschaftliche Argumente für alle Einwände gegen eine reine Marktzentrierung parat. Den Sozialstaat einzuschränken führe nicht automatisch zu einem populistischen Rechtsruck in der Gesellschaft, nur weil dies beispielsweise in Deutschland vor 1933 der Fall gewesen ist. Die enormen sozialen Ungleichheiten in den USA solle man mit gleichen Chancen – beispielsweise auf Bildung – begegnen und nicht etwa mit einer Angleichung der Löhne. Und auch bei Infrastrukturmaßnahmen – eine Zuhörerin nannte fehlende Bahnverbindungen in ländlichen Gebieten – müsse nicht zwingend der Staat eingreifen. „Hier reicht auch ein Bus, wenn sich Gleise nicht rechnen“, so der frühere Finanzminister.

Der Historiker und Transformationsforscher Prof. Dr. Philipp Ther, Gründer des Research Center for the History of Transformations (RECET) an der Universität Wien, gab in seiner Keynote einen Überblick über die radikalen ökonomischen Reformen in Südamerika und im postkommunistischen Europa in den 1980er- und 1990er-Jahren. Er berichtete von seiner vergleichenden historischen Forschung, in der er sich mit der „Stunde Null“ beschäftigt, die „ökonomische Experimente auf einem weißen Blatt Papier“ ermöglichte. Ausgehend von den radikalen Umbrüchen in Bolivien und Chile konzentrierte er sich in seinem Vortrag auf die Entwicklung in Polen und Ostdeutschland. Dass der Balcerowicz-Plan so erfolgreich sein konnte, hänge für ihn vor allem mit dem „Warschauer Konsens“ zusammen – eine über die Parteien und über die Jahre erzielte Einigkeit über die Schocktherapie. Zudem sei der Zeitpunkt des Umbruchs und die damit verbundene Vorreiterrolle in Europa sowie die geografische Lage in der Nähe zu Exportländern entscheidend für den Erfolg gewesen. Der Schuldenerlass und zahlreiche gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seien zusätzliche Erfolgsfaktoren.

Auf die Frage, warum Polens Wirtschaft sich nach dem Umbruch besser erholen konnte, als die ostdeutsche, nannte Ther unter anderem die Treuhand-Politik nach der deutschen Wende. In einer radikalen Privatisierungswelle seien 12.500 Unternehmen verkauft worden – aufgrund der fehlenden Nachfrage mit einem großen Defizit für den Staat. Ein Resultat: Die Menschen wanderten aus, gingen in den Westen. „Dadurch gab es in Ostdeutschland eben nicht den Gründungs- und Unternehmerboom“, so Ther.

Entscheidend sei für ihn die Frage, wie man Erfolgsrezepte für eine ökonomische Transformation auf andere Zeiten und Orte anpassen und übertragen kann. „Schon zu Friedenszeiten ist das eine Herausforderung; wie soll es aber in den aktuellen Kriegszeiten gelingen?“, fragte er nachdenklich im Hinblick auf die Zukunft der Ukraine.

Text: Frauke Adesiyan
Fotos: Sebastian Pape

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