Klimapolitik im Europa-Wahlkampf – Studierende analysieren Wahlprogramme
Am 9. Juni 2024 sind 350 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, über die künftige Zusammensetzung des Europäischen Parlamentes abzustimmen. Aber welches Europa wählen wir eigentlich? Dieser Frage gehen Studierende in einem Seminar von Dr. Amelie Kutter nach und analysieren den Wahlkampf vor allem in Hinblick auf klimapolitische Positionierungen. Am 4. Juni 2024 stellten einige von ihnen erste Analysen vor.
Während die Plakate für die Europawahl an den Laternenmasten hängen und die Wahlwerbung über Social-Media-Clips verbreitet wird, analysieren Viadrina-Studierende live europäische Wahlprogramme. Im Seminar „Welches Europa wählen wir? Die Europa-Wahlen und die grüne Zukunft der Europäischen Union“ von Politikwissenschaftlerin Dr. Amelie Kutter fragen sie sich: Wie positionieren sich die Parteien zur Umsetzung des European Green Deal? In den Ad-Hoc-Analysen, die die Studentinnen wenige Tage vor der Wahl öffentlich präsentierten, wurde deutlich: Die profilierten Parteien nutzen Klimapolitik zur eigenen Positionierung, auch wenn die Relevanz des Themas im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren abgenommen hat.
Für Polarisierungen lässt sich das Thema offenbar weiterhin nutzen. Auch wenn die untersuchten Parteien – abgesehen von der AfD – den menschengemachten Klimawandel anerkennen und CO2-Emmissionen senken wollen, unterscheiden sie sich bei ihren Plänen über Tempo, Mittel und Ausrichtung der Transformation. So plädiert die CDU beispielsweise für weniger regulierende Maßnahmen und legt „gutes Klima in die Hände von Ingenieuren“. Die FDP setzt auf Anreize und Flexibilität und möchte vor allem die wirtschaftliche Nachhaltigkeit fördern. Im Parteiprogramm der Grünen haben die Studierenden vermehrt die Verknüpfung von Klimapolitik und sozialer Gerechtigkeit gefunden sowie eine Betonung der europäischen Klima-Außenpolitik. Am weitesten vom Konsens entfernt positioniert sich die AfD. Sie spricht in ihrem Wahlprogramm von CO2-Hysterie und dem European Green Deal als „Wohlstandsvernichter“ und „Tür zur Strafökologie“.
Frauke Adesiyan
„Als Studentin des Masterstudiengangs European Studies ist es für mich eine sehr interessante Zeit, die Europawahl und den Wahlkampf zu betrachten und sozusagen in Echtzeit zu analysieren“, sagt Vanessa Czerwionka auf die Frage, warum sie ausgerechnet dieses Seminar belegt hat. Auch methodisch habe sie viel dazugelernt, beispielsweise bei der qualitativen Datenanalyse mit dem Programm MAXQDA: „Dadurch konnten wir die klimapolitischen Positionierungen herausarbeiten und miteinander vergleichen.“ Viktoria Mesecke, die ebenfalls am 4. Juni erste Ergebnisse präsentierte, betont mit Blick auf das Seminar die persönlichen Begegnungen mit Europa-Politikerinnen und -Politikern. So sprachen die Studierenden unter anderem mit der Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes, Katarina Barley.
Die Aktualität des Wahlkampfes und der Fokus auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz habe auch Jana Lasota motiviert, das Seminar zu wählen. Für sie ist die spannendste Erkenntnis: „Klimapolitische Themen stehen – außer bei den Grünen – nicht mehr so stark im Fokus wie bei der Europawahl 2019. Sie ordnen sich eher wieder den Kernthemen der jeweiligen Parteien unter.“ Auch Vanessa Czerwionka hat bei ihren Analysen beobachtet, dass das Thema Umwelt durch Fragen von Frieden, Sicherheit und Wohlstand teilweise verdrängt wurde.
Neben den Analysen der Wahlprogramme gehörten auch Gespräche mit Kandidierenden für das Europäische Parlament zum Seminarprogramm. Zum Abschluss im Juli wird Dr. Amelie Kutter mit den Studierenden nach Straßburg fahren und live die erste Sitzung des neu zusammengesetzten Parlamentes verfolgen.
Zum Abschluss der Präsentation, wenige Tage vor der Europawahl, zog Amelie Kutter ein Zwischenfazit: „Klimapolitik kann einen Unterschied bei der Wahlentscheidung machen.“ Sie riet dazu, genau hinzuschauen und zu differenzieren. Instrumente wie der Wahl-O-Mat würden ihrer Erfahrung nach häufig zu einfache Zuordnungen anbieten. „Es wäre gut, das besser wissenschaftlich zu fundieren, welche Partei sich bei welcher These wo einordnen lässt.“
Für die meisten Studierenden steht es außer Frage, ihre Stimme bei der Europawahl abzugeben. Danach gefragt, was ihr die Wahl bedeutet, sagt Jana Lasota: „die Wahrnehmung meines Privilegs, wählen gehen zu dürfen und damit für eine freie und demokratische Gesellschaft stimmen zu können.“ Ihre Kommilitonin Clara Irmscher ergänzt: „Für mich persönlich bedeuten die Europawahlen, sich klar zu demokratischen Werten zu positionieren und für ein Europa einzustehen, das für alle lebenswert ist.“ Im Seminar sei noch einmal deutlicher geworden, welch großen Einfluss die EU auch auf das alltägliche Leben habe, so Vanessa Czerwionka. Ihr Resümee: „Die Europawahl sollte nicht nur als ,nationale Nebenwahl‘ betrachtet werden, sondern insgesamt mehr Relevanz erhalten.“
Frauke Adesiyan
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