Eine Mission und eine Einladung – Kompetenzverbund Interdisziplinäre Ukrainestudien eröffnet
Knapp fünf Monate, nachdem der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) entschieden hat, den Kompetenzverbund Interdisziplinäre Ukrainestudien Frankfurt (Oder) – Berlin (KIU) mit 2,5 Millionen Euro zu fördern, wurde die Eröffnung des KIU am 11. Juli 2024 an der Viadrina gefeiert. Dabei wurden erste konkrete Maßnahmen vorgestellt und die Rolle und Aufgaben der Ukrainestudien diskutiert.
Der intensive, zweieinhalb Stunden lange Austausch darüber, was Ukrainestudien leisten können und sollen, bot einen eindrucksvollen Vorgeschmack auf die künftigen Möglichkeiten im Rahmen des KIU. Sämtliche Wortbeiträge – angefangen bei den Grußworten von der ukrainischen Botschaft und dem DAAD über die Keynote bis zur angeregten Podiumsdiskussion und dem Ausblick auf die KIU-Aktivitäten – machten deutlich: Dieser Kompetenzverbund wird dringend gebraucht und er wird schon jetzt von Mitwirkenden und Unterstützenden mit großer Expertise und Engagement getragen.
Bildergalerie Eröffnung Kompetenzverbund Interdisziplinäre Ukrainestudien Frankfurt (Oder) – Berlin (KIU)
In seinen Begrüßungsworten dankte Viadrina-Präsident Prof. Dr. Eduard Mühle allen Akteurinnen und Akteuren der Viadrina sowie der Partner-Institutionen für die Mitarbeit am Antrag und dem Start des KIU. Er beließ es aber nicht bei einem Blick zurück, sondern betonte: „Nachdem wir KIU nun geschaffen haben, wird von Ihnen natürlich erwartet, dass Sie abliefern, dass Sie mit KIU nicht nur ausdrücklich zu den Ukrainestudien beitragen, sondern sie auch auf ein neues Level heben.“
Wie konkret bereits vier Monate nach der Förderzusage die Aktivitäten des KIU sind, verdeutlichte die wissenschaftliche Koordinatorin des KIU, Dr. Susann Worschech. Jeweils neun Stipendien für Forschungsaufenthalte in Berlin und Frankfurt (Oder) sowie für Forschende in der Ukraine sind bereits ausgeschrieben; ein Zertifikatsprogramm für Studierende mit Ukraine-Seminaren, Sprachkursen und Möglichkeiten für Praktika wird im kommenden Wintersemester starten; zur gleichen Zeit wird die erste Gastdozentur besetzt, um vermehrt wissenschaftliche ukrainische Perspektiven an die Viadrina zu holen. Mit diesen und weiteren Aktivitäten soll der Kompetenzverbund zu einer einladenden und ermöglichenden Infrastruktur werden. Susann Worschech sagte: „Unsere Mission ist auch eine Einladung an Sie alle: Wir wollen Forschung und Lehre zur Ukraine fördern und dazu beitragen, sie zu institutionalisieren.“ Der Kompetenzverbund sei für sie ein Mittel gegen die Ratlosigkeit, die im Februar 2022 vorgeherrscht habe. „Wir machen das mit dem Ziel, nie wieder erleben zu müssen, dass politische und soziale Erdbeben unsere direkte östliche Nachbarschaft erschüttern und wir einfach nicht damit umgehen können“, so Susann Worschech.
Deutlich wurde in ihren Worten sowie in vielen weiteren Beiträgen des Nachmittags, dass die Intensivierung von Ukrainestudien angesichts des anhaltenden russischen Krieges gegen die Ukraine nicht als Hilfs- und Wiederaufbaumaßnahme missverstanden werden sollte. So betonte Prof. Dr. Mychailo Wynnyckyj, Vizeminister für Bildung und Wissenschaft der Ukraine und Soziologie-Professor der Kyjiw-Mohyla-Akademie: „Ich möchte Sie ermuntern, Ukrainestudien im Sinne einer Gegenseitigkeit zu denken. Die Ukraine hat viel anzubieten. Offensichtlich bitten wir aktuell um Unterstützung und sind dankbar, dass man uns hilft. Aber wir sind nicht nur Empfänger!“ Der beispiellose soziale Zusammenhalt und die schon legendäre Resilienz der Zivilgesellschaft seien Beispiele für eine lohnende wissenschaftliche Beschäftigung mit seinem Land.
Für Prof. Dr. Gwendolyn Sasse, wissenschaftliche Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und Internationale Studien (ZOiS), bietet der KIU die Möglichkeit einer solchen Forschung den richtigen Rahmen zu geben. „Was wir am allermeisten brauchen, ist gute und nachhaltige Forschung. Diese Art der Forschung benötigt – und hier sehe ich die potenzielle Stärke von KIU – institutionelle Strukturen“, sagte sie. Tief beeindruckt zeigte sich Prof. Dr. Dominique Arel, Professor für Ukrainestudien an der Universität Ottawa, von der Nachwuchsförderung, die der Kompetenzverbund anbietet. „Dass Sie neun Stipendien für Promotionsstudierende ausschreiben ist wirklich außerordentlich. Das gab es noch nie außerhalb der Ukraine, nicht einmal in Harvard“, lobte er.
Vor welchem Hintergrund der Ausbau der Ukrainestudien stattfindet und welche Bedeutung er hat, wurde an diesem Nachmittag im Audimax immer wieder deutlich. Prof. Dr. Tamara Hundorova betonte in ihrer Rede, dass der aktuelle Krieg Russlands neben ukrainischen Menschenleben und der Infrastruktur auch Archive, Museen und Bibliotheken zerstöre. Diesem „grausamen Versuch, ukrainische Geschichte und Erinnerung auszulöschen“ müsse auch die Wissenschaft andere Narrative entgegensetzen, so ihre Überzeugung. Der Bundestagsabgeordnete Dr. Anton Hofreiter sieht im Bereich des Transfers vor allem beim Umgang mit Sozialen Medien großen Aufklärungsbedarf: „Viele Menschen sind von Propaganda in sozialen Netzwerken eingenommen und können die Welt nicht mehr wahrnehmen, wie sie wirklich ist. Wir müssen uns bewusstwerden, dass Russland unsere Gesellschaft und unsere Demokratie angreift. Wir können diese Angriffe nicht abwehren, indem wir sie ignorieren“, mahnte er.
Trotz der aktuellen bedrohlichen sowie erschütternden Lage – auch an das jüngste ukrainische Opfer, das nach dem Angriff auf ein Kinderkrankenhaus starb, wurde erinnert – war die Eröffnungsveranstaltung des KIU von Engagement, Aufbruch und Ermunterung geprägt. Dafür sorgte neben der engagierten und einladenden Grundstimmung, die vor allem KIU-Koordinatorin Susann Worschech verbreitete, auch die Musik des Pianisten Yuriy Seredin und der Sängerin Ganna Gryniva. Letztere sorgte am Abend in der Frankfurter Konzerthalle mit dem GANNA-Ensemble und ihren Jazz-Adaptionen ukrainischer Volkslieder für einen bezaubernden und Mut machenden Ausklang des besonderen Tages.
Hintergrund
Der Kompetenzverbund Interdisziplinäre Ukraine-Studien Frankfurt (Oder) – Berlin (KIU) ist ein vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) für einen Zeitraum von vier Jahren gefördertes Projekt zur Stärkung ukrainebezogener Forschung, Lehre, Vernetzung und Transferaktivitäten. Zu dem von der Europa-Universität Viadrina initiierten und geleiteten Kompetenzverbund zählen das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Freie Universität Berlin, die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften sowie das Wissenschaftskolleg Berlin.
Zur KIU-Webseite
Frauke Adesiyan
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