„Notizbücher und Stifte sind Fremdkörper im Alltag der Reinigungskräfte“ – Prof. Dr. Jana Costas für Putzkräfte-Studie erneut ausgezeichnet

Frankfurt (Oder), 

Für ihr medial viel beachtetes Buch „Dramas of Dignity: Cleaners in the Corporate Underworld of Berlin“ hat die Academy of Management Viadrina-Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Jana Costas im August 2024 mit dem „Responsible Research in Management“ Award ausgezeichnet. Schon im Juli 2023 war ihr der Buchpreis der European Group for Organization Studies (EGOS) verliehen worden. Im Interview berichtet die Wissenschaftlerin, wie sie methodisch in der „Unterwelt“ der Reinigungskräfte vorgegangen ist, welche Herausforderungen es gab und welche Forschungsfragen sie nun verfolgt.

Frau Costas, was hat Sie interessiert an der Arbeitswelt der Reinigungskräfte?

Reinigungskräfte verrichten eine für Gesellschaft und Wirtschaft unverzichtbare Dienstleistungstätigkeit. Jedoch wird diese prekarisierte Arbeit stigmatisiert und unsichtbar gemacht. Mein Forschungsinteresse war es, besser zu verstehen, wie Ungleichheit innerhalb von Interaktion im Arbeitsalltag von Reinigungskräften entsteht und wie diese erlebt wird aus dem Blickwickel derjenigen, die am unteren Ende der Arbeitsmarkthierarchie stehen: Was heißt es, als Reinigungskraft zu arbeiten? Wie nehmen sie selbst ihre Rolle wahr? Und wie nehmen sie diejenigen wahr, für die sie diese Dienstleistung verrichten?

Auszeichung Academy of Management

Wie sind Sie methodisch vorgegangen?

Ich habe ethnographisch geforscht und mich in die Arbeitswelt der Reinigungskräfte begeben. Fast ein Jahr lang habe ich bei einer der größten deutschen Reinigungsfirmen an firmeninternen Workshops mit Kundenbetreuerinnen und Vorarbeiterinnen oder auch an der Weihnachtsfeier teilgenommen. Sechs Monate lang habe ich Reinigungskräfte am Potsdamer Platz in ihren verschiedenen Schichten unterstützt: von der Außen- bis zur Innenreinigung von Büros, Wohnungen und einem Einkaufszentrum. Von Anfang an habe ich allen im Unternehmen offen mitgeteilt, dass ich von der Universität komme und zum Thema Arbeit in der Gebäudereinigung forsche.

Was waren die Herausforderungen dabei, worin liegen Vor- und Nachteile einer solchen Methode?

Eine ethnographische Herangehensweise erlaubt es zu verstehen, wie die Reinigungskräfte ihren Arbeitsalltag erleben, wie sie untereinander, und wie andere mit ihnen interagieren. Ich habe so auch Zugang zum „Minus-Bereich“ des Potsdamer Platzes erhalten: diese bis zu vier Ebenen umfassende Unterwelt, von der aus Servicekräfte für die Instandhaltung der oberen Stadt sorgen. Die Herausforderung der Methode liegt in der Doppelrolle: einerseits mitzuarbeiten, früh aufzustehen, körperlich anstrengende Tätigkeit zu verrichten, sich über mögliche Kundenbeschwerden bei Fehlern zu sorgen und andererseits zu forschen, also das Vertrauen zu den unterschiedlichen Reinigungskräften aufzubauen, zwischendurch kurze Notizen und nach dem Arbeitstag zu Hause detaillierte Feldnotizen zu machen. Auch stellen sich ethische Fragen, etwa: Wie schütze ich Informantinnen oder Informanten und wie verhalte ich mich bei Auseinandersetzungen im Feld?

Wie sind Sie konkret vorgegangen?

Tatsächlich hatte ich zu Beginn meiner Studie geplant, ein kleines Notizbuch mitzunehmen. Allerdings wurde mir dann schnell klar, dass Notizbücher und Stifte totale Fremdkörper im Alltag von Reinigungskräften darstellen. Ich hatte sogar den Eindruck, als würden sie mit Dokumenten ausschließlich negative Assoziationen verbinden, als handle es sich um etwas Offizielles, das im Zweifelsfall gegen sie verwandt werden könnte. Stattdessen habe ich zwischen den Schichten oder in Pausen Stichpunkte in mein Smartphone getippt.

Wie waren die Reaktionen der Reinigungskräfte?

Zu meiner Überraschung haben die Reinigungskräfte viel aufgeschlossener als erwartet auf meine Anwesenheit reagiert. An meinem allerersten Tag im Feld hat eine Reinigungskraft – einige nannten sie „Mutti“ – auf meine Vorstellung während der Frühstückspause mit folgenden Worten reagiert: „Endlich schaut sich mal jemand an, was wir hier tun, anstatt es für selbstverständlich zu halten.“ Natürlich gab es auch einige Reinigungskräfte, die mir gegenüber skeptisch blieben, aber insgesamt wurde mein Interesse an ihrer Sicht der Dinge als wertschätzend empfunden und begrüßt.

Was sind die zentralen Erkenntnisse, die Sie in Ihrem Buch beschreiben?

Reinigungskräfte wenden sich ihrer Arbeit zu, um Würde zu erlangen: Sie sind stolz darauf, arbeiten zu gehen, selbstständig Schichten zu übernehmen und sie zelebrieren ein starkes Arbeitsethos. Einige entfernen mit Vorliebe schlimme Verunreinigungen, prahlen teilweise damit. In Interaktionen mit anderen wird ihnen jedoch gerade aufgrund ihrer Arbeit wenig Anerkennung entgegengebracht: Kundinnen oder „die Oberwelt“ beschweren sich oder behandeln sie wie Unpersonen. Sie werden nicht nur durch den „Minus-Bereich“ und die Randzeiten ihrer Tätigkeit räumlich und zeitlich unsichtbar gemacht, sondern auch sozial: Selbst wenn sie anwesend sind, werden sie ignoriert. Überwachung durch Vorgesetzte suggeriert ihnen gegenüber Misstrauen. Untereinander nehmen die Reinigungskräfte permanente Binnendifferenzierungen vor und sprechen sich so gegenseitig den Status ab. All dies ist der Ausgangspunkt eines fortdauernden Kampfes um Würde.

Bleiben Sie dem Thema treu und wird es Folgeprojekte geben?

Ich beschäftige mich weiterhin mit dem Themenkomplex Arbeit, Organisation und Ungleichheit, auch wenn ich kein direktes Folgeprojekt habe. Im Moment arbeite ich zusammen mit dem Medienwissenschaftler Professor Patrick Vonderau von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg an einem von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien geförderten Forschungsprojekt zum Thema Vergütung von Musikschaffenden im deutschen Musikstreaming-Markt sowie an einem Forschungsprojekt zum Thema Lobbying-Praktiken von Tech-Unternehmen.

(Das Interview ist im Sommer 2023 nach der Auszeichnung mit dem EGOS-Buchpreis entstanden.)

Zur Publikation in Deutsch und Englisch:

Costas, J. (2023). Im Minus-Bereich: Reinigungskräfte und ihr Kampf um Würde https://www.suhrkamp.de/buch/im-minus-bereich-t-9783518127926 (R. Barth, S. Gebauer & M. Müller., Übers.). Berlin, Germany: Suhrkamp Verlag.

Costas, J. (2022). Dramas of Dignity: Cleaners in the Corporate Underworld of Berlin https://www.cambridge.org/core/books/abs/dramas-of-dignity/dramas-of-dignity/E4093D50F611563EF81A60B9F3CF4ED0. Cambridge: Cambridge University Press. Winner of the European Group for Organization Studies Book Award 2023

Interview: Frauke Adesiyan


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