„Inspiration und Auftrag zugleich“ – Osteuropa-Historiker Karl Schlögel mit Gerda Henkel Preis geehrt
Der Osteuropa-Historiker Prof. Dr. Karl Schlögel hat am 25. November 2024 in Düsseldorf den Gerda Henkel Preis entgegengenommen. Die mit 100.000 Euro dotierte Auszeichnung würdigt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre herausragenden Forschungsergebnisse. Karl Schlögel, der von 1995 bis 2013 an der Europa-Universität Viadrina eine Professur innehatte, nutzte die Preisrede, um die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf seine eigene Arbeit zu reflektieren.
Anlässlich der Verleihung sprach Prof. Dr. Karl Schlögel über den „Schock“ des russischen Überfalls auf die Ukraine. Er schilderte, wie er sein Russlandbild revidieren und als Wissenschaftler noch einmal ganz von vorne beginnen musste: „In einer Zeit, in der Russland zum Gegner, zum Feind geworden ist und ins Abseits der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu geraten droht, muss die Losung lauten: Jetzt erst recht! Nicht nur Ukraine-, sondern auch Russlandstudien auf der Höhe der Zeit!“ Besonders in Deutschland stehe eine Diskussion zur Bewältigung des Putinismus noch aus. Eindringlich rief Karl Schlögel zur Solidarität mit den politisch Verfolgten in Russland und im Exil auf.
Preisverleihung Gerda Henkel Preis an Karl Schlögel
Dr. Michael Hanssler, Vorsitzender des Vorstandes der Gerda Henkel Stiftung, hob die Strahlkraft der Sprache und die Fähigkeit zur stets kritischen Selbstbefragung hervor, die Karl Schlögels Forschung auszeichnen. Auf diese Haltung ging auch die Menschenrechtlerin und Mitgründerin der Organisation „Memorial“, Dr. Irina Scherbakowa, in ihrem Gespräch mit Karl Schlögel ein. Warum ausgerechnet er sich schuldig fühlt, wollte sie mit Bezug auf ein „Mea culpa“ im Vortrag, aber auch auf die deutsche Debatte wissen. Den Preis überreichte die Vorsitzende des Kuratoriums der Gerda Henkel Stiftung, Julia Schulz-Dornburg.
Einstimmig hatte sich die Preisjury in diesem Jahr für die Ehrung von Karl Schlögel ausgesprochen. In der Begründung hieß es: „Der Historiker Karl Schlögel hat nicht nur unser Verständnis der neueren Geschichte Russlands, der Sowjetunion und des östlichen Europa wesentlich geprägt, sondern auch ein eigenes Genre historischen Erzählens begründet, das die räumliche Dimension der Geschichte in einzigartiger Weise anschaulich werden lässt.“ Seine Werke fänden nicht zuletzt wegen ihres unverwechselbaren literarischen Stils und ihrer Anschaulichkeit überall auf der Welt ein fasziniertes Lesepublikum. Zuletzt hat Schlögel mit „American Matrix“ (2023) die Geschichte des 20. Jahrhunderts als eine Verflechtungsgeschichte der Imperien USA und Sowjetunion ganz neu erzählt. „Karl Schlögel zeigt auf eindrückliche Weise, dass historische Urteilskraft und stetige kritische Selbstreflexion unerlässlich sind, wenn wir die Konflikte der Gegenwart angemessen verstehen wollen“, so das Urteil der Jury.
Dieser Einschätzung schließt sich auch Prof. Dr. Timm Beichelt, Dekan der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Viadrina, in einem Glückwunschschreiben an. Er schreibt an seinen früheren Kollegen: „Als eines der bekanntesten Gesichter unserer Universität tragen Sie noch immer in entscheidender Weise zur Profilierung und Sichtbarkeit der Kulturwissenschaftlichen Fakultät und der Viadrina im Allgemeinen bei. (…) Ihre Forschungen und Veröffentlichungen werden weiterhin breit rezipiert, dafür kann ich nicht anders als Ihnen zu danken.“ Beichelt betont, dass Schlögels Ideen auch für die sich im Umbruch befindliche Fakultät und ihren zentralen Ost-/Mitteleuropabezug Inspiration und Auftrag zugleich bleiben.
Seit 2006 wird der Gerda Henkel Preis in einem Turnus von zwei Jahren an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verliehen, die in den von der Stiftung geförderten Disziplinen und Förderbereichen herausragende Forschungsleistungen erzielt haben und weitere erwarten lassen. Frühere Trägerinnen und Träger des Gerda Henkel Preises sind der Kunsthistoriker Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Martin Warnke, der Soziologe und Kulturhistoriker Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Richard Sennett, die Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Dr. h.c. Gudrun Krämer, der Historiker Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Osterhammel, der Ägyptologe Prof. Dr. Stephan Seidlmayer, die Expertin für die Geschichte der Frühen Neuzeit Prof. Dr. Dr. h.c. Lyndal Roper, der Vertreter der postkolonialen Theorie Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Achille Mbembe sowie die Wissenschaftshistorikerin Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Lorraine Daston.
Frauke Adesiyan
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