Auszeichnung für einen unerschrockenen Neustart – Juristin Anna Jürgens mit DAAD-Preis geehrt

Frankfurt (Oder), 

Für ihre herausragenden wissenschaftlichen Leistungen sowie ihr ehrenamtliches Engagement, unter anderem für Geflüchtete, hat die ukrainische Juristin Anna Jürgens am 11. Dezember 2024 den mit 1.000 Euro dotierten DAAD-Preis erhalten. Anna Jürgens hat an der Viadrina „Deutsches Recht für ausländische Jurist*innen“ studiert und vergleicht für ihre Dissertation aktuell ukrainisches und europäisches Privatrecht.

Wenn Anna Jürgens auf die vergangenen drei Jahre zurückschaut, kann sie manchmal selbst kaum verstehen, was sie alles geschafft und durchlebt hat: ein Studium, eine neue Sprache, eine Pandemie, ein Krieg. Sie zog 2021 nach Deutschland, erhielt ihre Aufenthaltserlaubnis und lebt seitdem zusammen mit ihrem Ehemann in Berlin. Es war ein kompletter Neustart für die damals 29-Jährige, die in der Ukraine längst ihren Abschluss gemacht und als Rechtsanwältin gearbeitet hatte. „In der Ukraine war ganz klar, wie ich meinen Weg gehe“, schaut sie heute zurück; ein Weg, der ihr in Berlin nicht mehr ohne Weiteres offenstand. Eine Bekannte empfahl ihr die Viadrina aufgrund der vielfältigen Beziehungen zu Osteuropa. „Ich habe hier angerufen und alle waren extrem nett und hilfsbereit“, erzählt sie rückblickend immer noch erstaunt darüber, wie leicht ihr der Start ins Studium „Deutsches Recht für ausländische Jurist*innen“ gemacht wurde.

Ganz so leicht war der weitere Verlauf des Studiums nicht. Da war zum einen die Sprache, die Anna Jürgens in den Lockdown-Monaten schon intensiv geübt hatte. „Ich hatte Deutsch gelernt, aber nun musste ich Jura-Deutsch lernen“, sagt sie. Sie erzählt, dass sie bis heute täglich an ihrem Deutsch arbeite und holt wie zum Beweis einen Stapel Karteikarten aus der Handtasche, auf denen sie ständig Vokabeln und Redewendungen notiert. Zu der sprachlichen Herausforderung kamen Besonderheiten im deutschen Studien-Alltag. So viele schriftliche Prüfungen, keine festen Seminargruppen, Kommunikation per E-Mail statt am Telefon – vieles ist anders, als es Anna Jürgens aus der Ukraine kennt.

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Anna Jürgens und Viadrina-Vizepräsident Prof. Dr. Jan-Hendrik Passoth bei der Übergabe der DAAD-Preis-Urkunde


Auch das für sie ungewohnt positive Image der wissenschaftlichen Arbeit fiel ihr auf. „An meiner Uni in Odesa fand ich immer die selbstbewussten Praktiker toll, die als Richter, Staatsanwälte oder Rechtsanwälte gearbeitet haben“, erklärt die Juristin, warum sie sich selbst für diesen Weg entschieden hatte. Erst an der Viadrina sei ihr bewusst geworden, dass Wissenschaft cool sein kann. Beim Verfassen einer Seminararbeit über soziokulturelle Rechte von Geflüchteten habe sie ihren Aha-Moment erlebt: „Ich fand es toll, tagelang zu lesen und zu schreiben in dieser großartigen Bibliothek hier.“ Ein Thema zu durchdringen und sich als Expertin zu behaupten, das habe ihr regelrecht einen „zweiten Atem“ geschenkt. Begleitet wurde sie bei der Arbeit von Viadrina-Sozialrechtlerin Prof. Dr. Claudia Hofmann, die später auch ihre Masterarbeit betreut hat. „Damals wurde die Freude an der Wissenschaft in mir geweckt“, sagt Anna Jürgens. Eine Freude, die sie seit April 2024 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht sowie Europäisches und Internationales Privatrecht von Prof. Dr. Oliver Knöfel, weiterführt. „Ich bin dankbar, wie sehr er mich unterstützt. Dadurch habe ich großes Selbstvertrauen als Wissenschaftlerin gewonnen“, sagt sie über Oliver Knöfel, bei dem sie für ihre Dissertation das Internationale Privatrecht in der EU und der Ukraine vergleicht. Es ist die praktische Relevanz, die sie an ihrer Forschung begeistert und die Beziehung, die sie dadurch zu ihrer Heimat herstellt. „Ich bin mir bewusst, dass ich nicht alles allein verändern kann. Aber vielleicht kann meine Arbeit doch etwas bewirken, um in der Ukraine Dinge zu verändern“, sagt sie.

Die Erfahrung, Dinge zu bewegen und zu verändern, hat Anna Jürgens in ihrem ehrenamtlichen Engagement immer wieder gemacht – auch dafür wird ihr der DAAD-Preis verliehen. Schon in Odesa engagierte sie sich für Kinder aus dysfunktionalen Familien und organisierte Gruppen, in denen diese Kinder Englisch lernen und Wertschätzung erfahren – durch Umarmungen, Gespräche und Bestärkung. Ein weiteres Ehrenamt kam am 24. Februar 2022 hinzu. An diesem Tag weckte sie ihr Mann mit den Worten: „Es ist Krieg!“ Noch heute steigen Anna Jürgens Tränen in die Augen, wenn sie sich an die Angst erinnert, die sie um ihre Eltern in der Ostukraine hatte. Im umkämpften Donbass saßen sie im Keller ihres Hauses und hörten den Krieg vor der Tür. Anna Jürgens begegnete emotionalen Ausnahmesituationen mit Engagement. Sie leistete „Schichten“ an den Berliner  Bahnhöfen, um ankommenden ukrainischen Familien zu helfen, Essen auszureichen und vor allem um zu übersetzen. Später half sie bei der Unterbringung von ukrainischen Freundinnen und ihrer Familie in Deutschland, übersetzte für die Kinder in der Schule und veranstaltete Treffen für ukrainische Geflüchtete. „Heute gehen sie in die Schule, machen eine Ausbildung oder arbeiten. Es ist tröstlich für mich, das zu sehen und ein Teil davon gewesen zu sein“, sagt sie.

Die jetzige Auszeichnung mit dem DAAD-Preis ist für sie eine Anerkennung für die Unbeirrbarkeit, mit der sie sich trotz aller Widrigkeiten in einer ganz neuen Umgebung zurechtgefunden und ein neues Leben aufgebaut hat. Sie sagt: „Dieser Preis ist ein Zeichen dafür, wie man in einer anderen Sprache und Kultur Ziele erreichen kann, ohne sich selbst zu verlieren.“

Frauke Adesiyan


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