„Ich fühle mich gar nicht unkonventionell“ – Janine Nuyken über 25 Jahre als Vizepräsidentin

Frankfurt (Oder), 

Jung, weiblich, ohne wissenschaftliche Karriere – als Janine Nuyken vor 25 Jahren Vizepräsidentin der Viadrina wurde, sorgte das für einige Diskussionen. Anlässlich des deutschlandweit einzigartigen Jubiläums im Amt spricht sie über verletzte Üblichkeiten, warum sie nicht gern „führt“, über farbenfrohe Outfits und ihre Sorge um den Gemeinschaftssinn an der Viadrina. Am 30. Januar 2025 findet anlässlich des Jubiläums eine öffentliche Diskussion zur Frage „Was ist gute Hochschulgovernance?“ statt.

Frau Nuyken, offensichtlich braucht man keinen Professorinnen-Titel um eine gute – und sehr ausdauernde – Vizepräsidentin zu sein. Dabei war das zu Beginn Ihrer Laufbahn das meistdiskutierte Thema …

Ich war wirklich davon überrascht, dass es am Anfang beziehungsweise eigentlich eher vor der Wahl so ein Riesenthema war. Gesine Schwan hatte mit ihrem Vorschlag die Üblichkeiten verletzt, dass nur professorale Kolleginnen und Kollegen Teil der Hochschulleitung sein können. Ich hatte da auch kurz den Moment, wo ich dachte: Das geht nicht, mir fehlt alles. Gesine Schwan hat damals gesagt: „Frau Nuyken, es geht bei der Aufregung nicht um Sie. Hier gibt es viele Herren, die wollen nicht, dass sich die politische Kultur verändert, aber ich will das“. Ich habe beschlossen, ihr zu vertrauen und nicht aufzugeben. Nachdem es dann ausgestanden war, habe ich eher selten wieder darüber nachgedacht. 

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Wenn es nicht der Titel ist, welche Eigenschaften und Kompetenzen sind es dann, die man in der Hochschulleitung braucht?

Ein Teil der Antwort scheint mir, dass man das allgemein gar nicht beantworten kann. Ich kann nur sagen, welche Dinge für mich und meine Arbeit wichtig waren und sind.

Für mich war immer wichtig, wirklich gern mit verschiedensten Menschen zusammenzuarbeiten; ich habe gerne mit Menschen aus allen Teilen dieser Institution zu tun. Wenn ich jemand wäre, die eigentlich lieber die meiste Zeit alleine am Schreibtisch sitzt, wäre ich in der Rolle der Hochschulleitung nicht glücklich geworden.
 
Mir war und ist immer wichtig, Dinge zu machen und zu sagen, von denen ich Ahnung habe. Bevor ich mich äußere, arbeite ich mich ein. Das klappt natürlich auch nicht immer, aber dann setze ich mich hin und arbeite ziemlich akribisch nach.

Und Verlässlichkeit war mir immer wichtig. Da muss man natürlich die Menschen an der Viadrina fragen, ob das gelungen ist. Glücklicherweise ist die Kultur an der Viadrina so, dass wenn die Menschen Verlässlichkeit vermissen, sie mir das ziemlich umgehend und direkt sagen. Das freut mich sehr, denn es zeugt von Vertrauen.

Außerdem bin ich persönlich sehr identifiziert mit Frankfurt (Oder) – eigentlich eher noch der Doppelstadt – und der Viadrina. Ich würde diese Arbeit nicht an jeder Uni machen wollen – und vermutlich merkt man das.

Ihre Rolle hat sich inzwischen gewandelt: von der Anfängerin zu der Person in der Hochschulleitung, die die Viadrina am längsten kennt …

Stimmt – aber ich möchte auf keinen Fall ein Archiv auf zwei Beinen sein. Wenn das meine einzige Rolle wäre, würde ich gehen.

Was ist dann Ihre aktuelle Rolle in der Hochschulleitung?

Wir sind gerade in einer besonderen Phase; wir müssen die Viadrina nochmal neu denken und das ist total spannend und schwierig zugleich.

In der Mediation, in der ich ja stark verwurzelt bin, geht es zentral darum, wirklich zu hören, was allen Beteiligten in einer Situation wichtig ist. Das mache ich, glaube ich, recht ausdauernd und versuche das dann mit Ideen zu kombinieren, die ich selber habe.

Diese Rolle haben wir gerade insgesamt in der Hochschulleitung: Wir haben Reformideen und müssen gut zuhören, wo wir andocken können, um gemeinsam etwas Neues zu schaffen. Ich bin kein Freund von bestimmten Formulierungen, die nicht nur an Hochschulen solche Veränderungsprozesse prägen – „mitnehmen“ zum Beispiel, das ist mir zu passiv. Ich mag auch das inflationär gebrauchte Wort Führung nicht. Das suggeriert ja, dass die, die nicht zur „Führungsebene“ gehören, die Geführten sind. Das ist nicht meine Vorstellung einer modernen Universität. Mir geht es darum, gerade in so einer Institution wie einer Uni, die aus vielen verschiedenen und überdurchschnittlich eigenständigen und meist auch engagierten Akteuren besteht, gemeinsam etwas zu bauen, was aber deutlich größer sein sollte als der kleinste gemeinsame – und langweilige – Nenner.

Nachhaltige Lösungen entstehen meiner Überzeugung nach am ehesten, wenn man vor der Entscheidung viel in Kommunikation, Aushandlung und Überzeugung investiert. Das ist nur scheinbar der längere Weg, denn schnelle Entscheidungen, von denen die Institution nicht überzeugt ist, produzieren häufig viel negative Energie und Obstruktion. Entscheiden kann man schnell; ob man schnell ans Ziel kommt, ist ein ganz andere Frage.

Auf Fotos der vergangenen 25 Jahre sieht man Sie immer wieder in farbenfrohen Outfits bei offiziellen Anlässen und auch mit Baby auf dem Arm am Redner*innenpult. Seit Jahren haben Sie kein eigenes Büro mehr. Konventionen scheinen Ihnen nicht so wichtig zu sein. Macht das die Arbeit leichter oder schwerer?

Ich fühle mich gar nicht unkonventionell. Aber natürlich ist mir aufgefallen, dass ich ohne Kostüm und hochhackige Schuhe und ohne Anzug gerade neben Gesine Schwan am Anfang ein wenig merkwürdig, jedenfalls nicht vizepräsidentiell aussah. Es gab immer wieder Menschen, die mich gefragt haben, warum ich mich kleidungsmäßig nicht anpasse, dann würde mir doch vieles vielleicht leichter fallen. Bei Tagungen der Hochschulrektorenkonferenz ist es mir in der Tat anfangs nicht nur ein Mal passiert, dass ich in den Raum für die studentischen Gäste geschoben wurde und den ungläubigen Menschen am Empfang versichern musste, dass sie mich wirklich in Vertretung von Gesine Schwan als Hochschulleitung reinlassen können. Von solchen eher lustigen Anekdoten abgesehen, hat es mir das Arbeitsleben aber nicht schwerer gemacht.

Letztlich muss man sich, denke ich, immer selbst fragen, wie man sich wohlfühlt. Ich kenne viele Menschen, die es sehr schätzen, ein Arbeitsoutfit und ein anderes Privatoutfit zu haben. Ich mache da keinen Unterschied. Und bunte Farben machen mir einfach gute Laune, die wiederum enorm beim Arbeiten hilft.

Zur Feier Ihres Jubiläums laden Sie nach der offiziellen Veranstaltung zur Party ins verbuendungshaus fforst ein. Warum liegt Ihnen dieses studentische Wohnprojekt besonders am Herzen? Und auf welche anderen Dinge schauen Sie zufrieden zurück?

Das fforst ist mir wichtig, weil es ein Projekt von Uni und Stadt ist. Die Uni ohne die Stadt zu denken oder die Stadt ohne die Uni – das geht für mich nicht. Die Besonderheit der Viadrina hat mit der Besonderheit der Stadt zu tun. Aus meiner Sicht haben sowohl die Viadrina als auch die Stadt einen im besten Sinne eigenwilligen und spezifischen Charakter – das fforst ist wie eine Schnittmenge dieser Besonderheiten: Großartige engagierte Studierende, die die Chance nutzen, aus einem Haus, das wir ihnen zur Verfügung gestellt haben, ein interkulturelles Wohn- und Begegnungsprojekt zu machen, das jetzt schon fast 20 Jahre besteht, eine Stadt, die sich über so ein Projekt freut und es unterstützt. An diesem Ort spürt man das, was viele den Viadrina-Spirit nennen, ziemlich gut: Es gab wirklich wenige, die an die Möglichkeit dieses Projektes geglaubt haben; wir haben es aber trotzdem versucht und es steht bis heute.

Ein anderes Projekt, das ich großartig finde und auf das ich auch ein wenig stolz bin, ist die Verankerung und der allmähliche Ausbau des Themas Konfliktmanagement und Mediation an der Viadrina mit dem Master Mediation, der Professur für Mediation, Konfliktmanagement und Verfahrenslehre und dem Institut für Konfliktmanagement (IKM). Was jetzt ein von vielen in der Viadrina und in der Doppelstadt genutzter und geschätzter Bereich ist, hat sich nur mit viel Geduld und gegen einige Widerstände aufbauen lassen. Daran erinnert sich heute keine*r mehr und das ist großartig. Das macht mich froh, weil unter anderen ich – die, die das unbedingt wollte und als große Chance gesehen habe – nie aufgegeben habe und weil so was Tolles daraus geworden ist.

Und was waren neben diesen Erfolgsgeschichten die größten Herausforderungen in Ihrer bisherigen Amtszeit?

Es gab immer wieder sehr intensive Diskussionen, sei es die erste Verwaltungsreform, die Stiftungswerdung oder die Bewerbung im Rahmen der Exzellenzinitiative. Immer wieder hätte der Kommunikationsfaden reißen können. Ich schätze an der Viadrina sehr, dass es genug Leute gibt, denen es wichtig ist, dass dieser Faden eben nicht reißt. Das ist das Pfund der Viadrina: Die Menschen, die hier arbeiten und sich engagieren und etwas mit diesem Ort verbinden, der ihnen nicht gleichgültig ist. Das hilft, schwierige Situationen zu bewältigen.

Eine der wirklich großen Herausforderungen aktuell ist, nach Corona wieder in so einen Community-Tritt zu kommen. Das habe ich total unterschätzt – für mich persönlich war Corona kein großer Einschnitt und ich hatte lange das Gefühl, dass es eigentlich keinen Grund gibt, nicht wieder da anzuknüpfen, wo wir vor der Pandemie als Gesamtuni waren. Ich erinnere mich an so viel Spontanes, Treffen auf dem Uni-Platz, in der Mensa, im Sommerkino auf dem Ziegenwerder, um nur ein paar Gelegenheiten zu nennen. Wie viele Ideen für Projekte oder Lehrveranstaltungen sind bei solchen Gelegenheiten entstanden! Das ist sehr viel weniger geworden.

Heute verabredet man sich viel funktionaler; wir geben uns weniger Raum für Spontanität. Wir sind in eine viel zeiteffizientere, manchmal überrationalisierte Struktur gekommen, von der alle – Studierende und Mitarbeitende – wissen, dass sie nicht guttut, aus der wir aber trotzdem nicht wirklich rauskommen. Die meisten vermissen etwas, so mein Eindruck, denn wir sind eine Institution, die einen Gemeinschafts-Sinn hat. Die Viadrina an diesem speziellen Ort, mit diesem speziellen Profil, braucht die Community-Orientierung, die sie von Anfang an geprägt hat.

Wie lässt sich das wieder ändern?

Wir müssen wieder mehr vom Wollen zum Machen kommen; Community entsteht nur, wenn man selbst etwas tut. Es gibt viele Initiativen an einzelnen Stellen, aber wir brauchen mehr. Aus meiner Sicht müssen wir als Hochschulleitung in dieser Hinsicht noch stärker ein Ermöglicher sein. Dazu gehört es, Räume für Begegnung und Kommunikation zu schaffen. Unser Hauptgebäude ist ein sehr schönes Haus, aber kommunikativ sind die vielen Räume mit geschlossenen Türen und die langen, eher ungemütlichen Flure nicht. Man trifft außer in der Cafeteria oder der Mensa kaum jemanden zufällig. Der Uni-Platz ist auch ein schöner Ort, aber total versiegelt und im Sommer viel zu heiß. Wir müssen uns noch viel intensiver fragen: Wie schaffen und unterstützen wir Orte, an denen man sich trifft? Das klingt alles immer so gefühlig, aber für diese Institution bedingt die Community einen wichtigen Teil ihrer Funktionalität; sie macht für viele auch den Reiz der Viadrina aus. Wenn wir diesen Community-Geist der Institution nicht wieder gehoben kriegen, wird auch jede inhaltliche oder strukturelle Reform schwer. Vielleicht ist es ein Teil dessen, was ich in die Hochschulleitung mitbringe: Dass mir so etwas so wichtig ist.

 

Frauke Adesiyan

Zur Veranstaltung „Was ist gut Hochschulgovernance?“

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