Drei Jahre Kriegsrecht – KIU-Stipendiat Prof. Dr. Viktor Muraviov untersucht Einschränkungen der Grundrechte in der Ukraine
Am 24. Februar 2025 jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine zum dritten Mal. Seit drei Jahren leben die Ukrainerinnen und Ukrainer damit nicht nur im Krieg, sondern auch unter Kriegsrecht. Wie das die Grundrechte der Bevölkerung einschränkt und ob dennoch die Rechtsstaatlichkeit eingehalten werden kann, untersucht der ukrainische Jurist Prof. Dr. Viktor Muraviov während seines KIU-Stipendiums an der Viadrina.
Seit drei Jahren können sich Ukrainerinnen und Ukrainer nur noch eingeschränkt frei bewegen; sie werden staatlich überwacht, wenn sie im Internet surfen; es gibt strenge Grenzkontrollen, Fernsehbilder werden zensiert, Parteien verboten, Firmen müssen statt ihrer eigentlichen Produkte Kriegsmaterial herstellen; es herrschen Ausgangssperren und wehrfähige Männer werden zum Kriegsdienst verpflichtet. Diese Maßnahmen sind begründet im Kriegsrecht, das seit Februar 2022 in der Ukraine herrscht. Trotz all dieser Einschnitte in das Alltagsleben sagt Prof. Dr. Viktor Muraviov: „Auch wenn es nicht angenehm ist – all das geschieht in Übereinstimmung mit dem Recht. Die Menschenrechte sind nicht bedroht.“ Das ist Muraviovs Forschungsergebnis nach drei Monaten, in denen er sich an der Viadrina im Rahmen eines Stipendiums vom Kompetenzverbund Interdisziplinäre Ukrainestudien (KIU) mit den Auswirkungen des Kriegsrechtes auf die Rechtsstaatlichkeit in seiner Heimat beschäftigt hat.
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Heide Fest
Für ihn ist entscheidend, dass alle Einschränkungen im rechtsstaatlichen Rahmen stattfinden. So seien beispielsweise die Parteiverbote nicht etwa eine präsidiale Entscheidung gewesen und hätten auch bei verfassungsrechtlicher Prüfung Bestand. Auch nach drei Jahren unter Kriegsrecht habe sich die Einstellung der ukrainischen Bevölkerung zu dieser Situation nicht geändert, so Muraviovs Beobachtung: „Die Leute verstehen, dass es ohne diese Maßnahmen noch schwieriger wäre, den Krieg zu gewinnen.“ Auch den festen Glauben daran, dass die Ukraine nach dem Krieg zu demokratischen Freiheiten zurückkehre, verliert er durch die lange Dauer des Ausnahmezustandes nicht.
Für seine Untersuchungen hat Muraviov Gespräche mit ukrainischen Entscheidungsträger*innen aus Politik und Justiz sowie mit Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft geführt, Fallstudien betrieben und Rechtsliteratur studiert. Seine Schlussfolgerung: „Durch die Einführung verfassungsmäßiger Einschränkungen der Menschenrechte bemüht sich die Ukraine um die Wahrung des Gleichgewichtes zwischen nationaler Sicherheit und dem Schutz der Menschenrechte.“
Das KIU-Stipendium habe ihm vor allem durch die persönlichen Kontakte zu Kolleg*innen den Zugang zur Bibliothek der Viadrina und die Betreuung durch das KIU-Team weitergeholfen. Allerdings seien die drei Monate Laufzeit zu knapp für sein Vorhaben gewesen. Auch aus diesem Grund möchte Muraviov der Viadrina und seinem hier begonnenen Thema über die Dauer des Stipendiums hinaus treu bleiben. Aktuell führt er Gespräche mit der Viadrina-Völkerrechtlerin Prof. Dr. Carmen Thiele über eine mögliche Zusammenarbeit.
Während Muraviov mit anderen Stipendiat*innen aus der Ukraine in Frankfurt (Oder) und Berlin forscht, läuft parallel sein anderes Alltagsleben als ukrainischer Rechtsprofessor weiter. Seit 18 Jahren ist er Inhaber zweier Lehrstühle an der Taras Shevchenko Universität Kyjiw; der Universität, an der er selbst studiert hat. Sein Fachgebiet ist die Rechtsstaatlichkeit und das vergleichende Organisationsrecht; darin unterrichtet er auch in den Kriegsjahren seine Studierenden – derzeit ausschließlich online. „Der Krieg hat mein Berufsleben kaum verändert; ich bin immer schon viel im Ausland gewesen, so wie jetzt, und ich gebe auch dieselben Kurse an der Universität“, erzählt er. Allerdings ermüden ihn inzwischen die Reisen zwischen Deutschland, der Ukraine und Polen. Nach Deutschland war er bereits vor dem KIU-Stipendium für ein zweijähriges Projekt an der Universität Regensburg gezogen; in Poznań lebt seine Familie derzeit und in Kyjiw kümmert er sich regelmäßig um private und berufliche Angelegenheiten. Den Krieg nehme er selbst bei seinen Aufenthalten in Kyjiw nicht als bedrohlich wahr. „Ich weiß nicht warum, aber ich habe keine Angst. Ich kann gut schlafen, selbst wenn es Raketenalarm gibt“, sagt er. Das Leben gehe eben weiter.
Frauke Adesiyan
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