„Die gläserne Decke verschwindet nicht durch Rhetoriktrainings.“ – Was es braucht, um mehr Frauen für Professuren zu gewinnen

Frankfurt (Oder), 

Die Viadrina ist zum dritten Mal im Professorinnenprogramm des Bundes erfolgreich. Die Auszeichnung ist vor allem eine Anerkennung für ihr Gleichstellungskonzept. Die Europa-Universität hat nun die Chance, bis zu drei Professuren finanziert zu bekommen, wenn diese weiblich besetzt werden. Welche Herausforderungen damit verbunden sind, wie es sich erklären lässt, dass nur ein Drittel aller Viadrina-Professor*innen Frauen sind und warum Gleichstellungsarbeit Systemkritik bedeutet, darüber sprechen Katja Kraft und Bettina Gebhardt anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März 2025.

Die gute Nachricht kam Ende Februar: Das Professorinnenprogramm der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern ermöglicht der Viadrina einmal mehr Anschubfinanzierungen für die Erstberufung von Frauen auf unbefristete W2- oder W3-Professuren. Das ausdrückliche Ziel des Programmes: mehr Frauen in die Spitzenpositionen der deutschen Wissenschaft zu bringen. Noch immer sind bundesweit deutlich unter 30 Prozent der Professuren weiblich besetzt; in Brandenburg sieht es mit 33,7 Prozent nur etwas besser aus; an der Viadrina haben Frauen 34,6 Prozent der Professuren inne. Dass es überhaupt so viele sind, ist auch das Ergebnis der Gleichstellungsarbeit an der Europa-Universität. „Das ist kein Selbstläufer“, betont Bettina Gebhardt, Leiterin der Abteilung Chancengleichheit.

Gemeinsam mit der zentralen Gleichstellungsbeauftragten Katja Kraft freut sie sich über den Erfolg im Professorinnenprogramm, vor allem, weil es eine Anerkennung des Konzeptes für Diversitätsorientierung und Chancengleichheit darstellt, wie die Fortschreibung des einstigen Gleichstellungskonzeptes inzwischen heißt. Allerdings ist die Freude gedämpft, denn die Aufnahme in das Programm bedeutet lediglich die Möglichkeit für eine Anschubfinanzierung von bis zu drei weiblich besetzten Professuren. Doch die Hürden sind hoch: Gefördert werden nur W2- und W3-Professuren und auch nur, wenn eine Frau ernannt wird, die noch keine solche Professur innehatte. „Ich würde es schon als großen Erfolg ansehen, wenn wir eine Professorin derart fördern könnten“, schätzt Katja Kraft die aktuelle Lage realistisch ein. In den förderfähigen Zeitraum fallen voraussichtlich zwei Besetzungsverfahren.

Bettin Gebhardt, Leiterin der Abteilung Chancengleichheit, und Katja Kraft, zentrale Gleichstellungsbeauftragte

Gelingt die Förderung einer Professur, werden Haushaltsmittel für Gleichstellungsmaßnahmen frei

„Auch wenn es für uns Hürden sind, eigentlich ist es ein cleveres Förderverfahren: In einem ersten Schritt müssen wir ein gutes Gleichstellungskonzept vorlegen und dürfen dann ,mitspielen‘. Dann müssen aktiv Frauen rekrutiert werden und da ist gute Gleichstellungsarbeit nötig“, schildert Bettina Gebhardt ihre Sicht auf das Förderprogramm. Um mehr Frauen an die Spitze zu bringen, brauche es Kompetenzen und den Willen dazu. „Wenn man gute Frauen haben möchte, muss man investieren, die Konkurrenz ist nicht gerade klein.“

Von den zwei vorherigen Durchgängen des Professorinnenprogramms konnte die Viadrina bereits profitieren. Einmal wurden drei Professuren – an jeder Fakultät eine – gefördert, im vergangenen Zyklus war es zumindest noch eine. Die durch die Förderung freigewordenen Haushaltsmittel wurden in Gleichstellungsmaßnahmen investiert, beispielsweise in Stipendien für Doktorandinnen und in das Mentoringprogramm der Viadrina. Letzteres ist seit 20 Jahren die zentrale Frauenfördermaßnahme und steht nun aufgrund mangelnder Finanzierung vor dem Aus. Neben dem auslaufenden Professorinnenprogramm der vorherigen Runde fehlen auch weitere Mittel.

Gezielt Frauen zur Bewerbung ermutigen

Zu den zentralen Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten gehört es auch, Berufungs- und Bewerbungsverfahren so zu begleiten, dass unter anderem Frauen nicht benachteiligt werden. Über ganz konkrete Schritte, um Wissenschaftlerinnen für die Spitzenpositionen in Lehre und Forschung zu gewinnen, berichtet Katja Kraft aus ihrer Erfahrung: „Man sollte sich schon vor der Ausschreibung überlegen, wie wird es wahrscheinlicher, dass insbesondere Frauen angesprochen werden?“ Welche Kompetenzen fordert man, welche Begriffe nutzt man in der Ausschreibung und nicht zuletzt: Wen macht man auf welchen Wegen darauf aufmerksam? „Ich rate immer dazu, sich zu überlegen: Wie viele Frauen sind potenziell in dem Feld? Wie können wir gezielt Frauen ansprechen? Und damit meine ich nicht eine per Mail weitergeleitete Ausschreibung, sondern einen Anruf, ein Treffen, eine aktive Ermutigung, sich zu bewerben“, so Katja Kraft.

Sind genügend Frauen im Bewerbungsfeld und werden diese dann eingeladen, wartet die nächste Hürde: die Einschätzung der Kompetenzen. Oft sei hier von einem Zielkonflikt die Rede, der die sogenannte Bestenauslese der Gleichstellung entgegenstellt. „Durch die Gleichstellung werden Frauen hineingebracht, die in gewisser Weise das System sprengen, aber welches System von Leistung liegt dem zugrunde? Das ist ein System, das sich Männer für Männer ausgedacht haben“, sagt Bettina Gebhardt. Katja Kraft nennt als Beispiel, dass Forschungserfolge immer an erster Stelle bei der Bewertung von Bewerber*innen stehen. Doch die Zahl der Publikationen, die die Forschungsleistungen belegen sollen, seien gerade bei Frauen mitunter nicht so zahlreich, vor allem wenn Frauen zeitgleich Familienarbeit leisten. Lehre und Transfer hingegen – Felder, in denen Frauen öfter punkten – werden nachrangig bewertet. Um das zu ändern, so Bettina Gebhardt, brauche es mehr Willen und mehr Verantwortung in leitenden Positionen.

Sorgearbeit, fehlende Vorbilder und Gatekeeper

Als Gründe dafür, warum es trotz zahlreicher Förderprogramme weiterhin viel weniger Professorinnen als Professoren gibt, sehen Bettina Gebhardt und Katja Kraft die Sorgearbeit als wesentliche Ursache. Frauen, die sich erwiesenermaßen auch weiterhin viel häufiger und intensiver als Männer um Kinder kümmern und Angehörige pflegen, haben einfach nicht so viel Zeit für Konferenzen und Publikationen wie ihre männlichen Konkurrenten. „Hier zeigt sich in der Wissenschaft genauso wie in anderen Bereichen, dass wir von gelebter Gleichberechtigung noch weit entfernt sind. Denn würden Frauen und Männer sich Familien- und Sorgearbeit selbstverständlich teilen, würde das automatisch auch in der Wissenschaft zu mehr Gleichberechtigung führen“, verdeutlicht Katja Kraft die Situation.

Hinzu kommen fehlende weibliche Vorbilder und Männer als Gatekeeper, die eher Studenten als wissenschaftliche Mitarbeiter einstellen, auf Konferenzen mitnehmen oder am Paper mitschreiben lassen. „Die informelle Förderung spielt gerade an Hochschulen eine große Rolle. Man fördert diejenigen, die einem ähnlich sind und die flexibel für anstehende Arbeit zur Verfügung stehen. Das heißt Männer fördern in erster Linie Männer“, bringt es Bettina Gebhardt auf den Punkt.

Es fehlen Männer, die aktiv an der Gleichstellung mitarbeiten

Um das zu durchbrechen, brauche es mehr als Gleichstellungsbeauftragte und begleitende Programme, sind Katja Kraft und Bettina Gebhardt überzeugt. Sie sprechen von einem nötigen Kulturwandel, der es selbstverständlich macht, dass beispielsweise paritätisch besetzte Professuren zu einer gleichberechtigten Gesellschaft gehören und dass alle Verantwortlichen an der Hochschule aktiv daran mitarbeiten, anstatt ausschließlich ihre Zustimmung für mehr Gleichberechtigung zu signalisieren. „Es müsste viel mehr Männer geben, die sich dafür einsetzen, dass Frauen bis an die Spitze kommen. Stattdessen sind es dann immer wir, die mit unseren flankierenden Maßnahmen an den Strukturen kratzen“, sagt Bettina Gebhardt. Die Leiterin der Abteilung Chancengleichheit ergänzt: „So ist es schwierig, etwas Grundsätzliches zu verändern, denn die gläserne Decke verschwindet nicht durch Rhetoriktrainings.“

Gleichstellungsarbeit sei eben mehr als Frauenförderung, es sei auch Kritik am aktuellen Wissenschaftssystem. Statt Frauen durch „Förderung“ anzupassen, brauche es einen Systemwandel hin zu mehr Durchlässigkeit und Offenheit, betonen Katja Kraft und Bettina Gebhardt. Als konkrete Maßnahmen fordern sie, Gremien und Kommissionen selbstverständlich paritätisch zu besetzen, wissenschaftliche Leistungskriterien zu reformieren und geregelte Arbeitszeiten auch für Wissenschaftler*innen zu etablieren.

Frauke Adesiyan

Zur Abteilung für Chancengleichheit

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